Einhundert Delegierte und viele Gäste, vor allem Funktionsträger und Aktivisten der Partei, finden sich am
zur Generalversammlung des SPD-Unterbezirks Zeitz-Weissenfels-Naumburg ein. Dicht gedrängt sitzen sie in der
Jeder Ortsverband hat das Recht und die Pflicht, einen Delegierten zu entsenden. Einige Genossen und Genossinnen gelangten erst nach einer stundenlangen Fahrradfahrt durch den Regen vor Ort. Die Stadt an der Weißen Elster liegt am östlichen Rand des sich 60 Kilometer in Ost-West ausdehnenden SPD-Unterbezirks Zeitz-Weissenfels-Naumburg und 40 Kilometer südlich von Leipzig. Das soziale Antlitz der Stadt prägt Industriearbeiterschaft.
Nach Kriegsende verlor die SPD zunächst an politischen Einfluss. Die Autoren von "Zeitzer Arbeiter schlagen den Kapp-Putsch nieder" (1959/60) ermittelten für 1919/20 im Wahlkreis 475 Gemeindevertreter der USPD und 28 Mehrheitssozialisten. Doch sie erholt sich von den Stimmverlusten. Am 15. Juni 1919 zählt der SPD-Unterbezirk laut Mitteilung der Kreis-Generalversammlung 10 300 Mitglieder in 65 Zahlstellen. Auf 378 Seiten zeichnet Adolf Leopoldt (SPD) in der 1931 erschienenen
die aufopferungsvolle Arbeit der Sozialdemokraten für politischen und sozialen Fortschritt nach. SPD, USPD, SAP und KPD brachten in der Arbeiterstadt markante, beeindruckende Persönlichkeiten hervor. Zeitz ist keine gewöhnliche deutsche Stadt. Heftiger als anderswo toben hier die Kämpfe der Zeit. Widersprüche brechen sich emotionaler als in anderen Gegenden Deutschlands ihren Weg.
Unter Verhältnissen wie heute, fand noch keine SPD-Versammlung statt. Über den Genossinnen und Genossen im Diana-Saal schwebt die Ahnung vom bevorstehenden Kampf um Leben und Tod. Die Republik ist in Gefahr! Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Dies ist für das Verstehen der Umstände der nun folgenden regionalen Ereignisse und seine Bewertung außerordentlich wichtig. Überall müssen die Anti-Hitler Leute mit Schikanen, Beschwernissen und Drohungen rechnen, weshalb die Generalversammlung allemal ein mutiges Unterfangen ist.
Punkt 9 Uhr morgens eröffnet im Diana-Saal die Fanfaren-Abteilung der Zeitzer Arbeiterjugend die Versammlung. Nach den Begrüssungsfloskeln folgt der Beschluss zu den Regeln Durchführung der Versammlung. Der Kassenbericht liegt schriftlich vor. - Wie aber werden die Delegierten die politische Lage einschätzen?
Erwartungsvoll sehen im Diana-Saal von Zeitz die Delegierten und Gäste dem Rechenschaftsbericht von Albert Bergholz und dem Referat Über die politische Lage von Paul Franken (1894-1944) entgegen. zurück Von der übergeordneten Leitung ist der Vorsitzende des SPD-Bezirkes Halle-Merseburg Franz Peters (1888-1933) aus Halle angekündigt. Gemeinsam wollen sie den Nationalsozialisten die Fackelzugstimmung vermasseln.
Welche Schlussfolgerungen werden die Genossinnen und Genossen formulieren? Ähnlich den Kommunisten fürchten die Sozialdemokraten des SPD-Unterbezirks Zeitz-Weissenfels-Naumburg die Wiederaufrüstung der Wehrmacht und sehen darin ein sicheres Zeichen für einen neuen Krieg. Bald legen die Hauptredner los. (a) Auf Ablehnung stoßen die Bemühungen von Reichskanzler Kurt von Schleicher (3.12.1932 bis 28.1.1933) für eine Politik der Massenbasis, daß heißt: Einbeziehung der Nationalsozialisten in die Regierung. (b) Eine harte Auseinandersetzung erfolgt mit der Harzburger-Front und ihrem Korruptionssumpf. (c) Viel Beachtung findet der Osthilfe Skandal.
Albert Bergholz (*10.01.1892), erhält das Wort zum Referat. Zügig und konzentriert analysiert er die Tätigkeit des SPD-Unterbezirks in Vorbereitung und Durchführung der Reichstagswahlen im November `32: 442 Versammlungen, 15 Frauenversammlungen, 64 Filmabenden und 45 Konsum-Veranstaltungen wurden durchgeführt. Hundertausende Werbezeitungen und Druckschriften brachten sie in die Haushalte. 600 Falken aus dem Unterbezirk halfen dabei. Ihr Volksbote verteilte zusätzlich und kostenlos 1 1/2 Millionen Aufklärungsschriften unter die Bürger. Bewährt hat sich Aufstellung von Wahlhelfern für das Land. Obwohl die Frauen bei der Wahlpropaganda eine große Arbeit leisteten, muss die Hausagitation im Allgemeinen noch verbessert werden. Immer wieder agitiert Albert Bergholz seine Genossen: Wie im Sturmjahr `32, der Kleinarbeiter bildet der Rückgrat unserer Parteiorganisation. Die KPD, sagt er, führte einen "konzentrierten Angriff" auf den Unterbezirk durch, worauf etwas abrupt die Einschätzung folgt: "Kommt auch die Einheit spät, so kämpfen doch jetzt die KPD-Proletarier mit uns um die Demokratie." Nach ihm spricht Paul Franken (*27.6.1894) der sofort auf die grundsätzlich veränderte politische Lage rekurriert: Eine Regierung gegen das arbeitende Volk ist entstanden. Delegierte und Gäste stösst er auf Ernst Thälmann (KPD), der am letzten Donnerstag in der "Roten Fahne" ausführte, dass die Arbeiterklasse selbst den Zeitpunkt des Angriffs bestimmen muss. Wie sich herausstellte, wollen alle Redner die Kooperation der Arbeiterparteien. Damit reichen die Sozialdemokraten des Unterbezirks Zeitz-Weissenfels-Naumburg den Kommunisten erneut die Hand zur Zusammenarbeit. Das war bei weitem nicht überall so. "Die Sozialdemokraten werden der kommunistischen Generalstreikhetze" der Roten Fahne (Berlin), kommentierte zum Beispiel die Salzburger Wacht am 1. Februar 1933, "nicht folgen".
In der weiteren Debatte sprechen die Genossen Münker, Thieme und Rektor Schulze - alle aus Zeitz - und Genosse Völker aus Droysig. Es folgt dann die Annahme der Entschliessung, die dokumentiert, im Diana-Saal von Zeitz ist man sich einig:
Noch am selben Tag, dem 6. Februar 1933, verkündet Reichspräsident Hindenburg auf Grundlage der Weimarer Verfassung Artikel 48 Absatz 1 die
Durch das Verhalten
des Landes Preußen gegenüber dem Urteil des Staatsgerichtshofs
für das Deutsche Reich vom 25. Oktober 1932 "ist eine Verwirrung
im Staatsleben eingetreten", weshalb er bis auf weiteres dem Reichskommissar
für das Land Preußen und seinen Beauftragten die Befugnisse,
die nach dem erwähnten Urteil dem preußischen Staatsministerium
und seinen Mitgliedern zustehen.
Gustav Thate protestiert auf dem Markt zurück Tags darauf, als Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, ziehen am Nachmittag in Naumburg an der Saale einige hundert Kommunisten nebst Sympathisanten in geordneter Weise durch die Stadt und protestieren gegen die Hitler-Hugenberg Regierung und für den "Generalstreik gegen die faschistische Terrorherrschaft!".
Auf dem Markt halten sie inne. Gustav Thate (*27.01.1901), ein passabler Redner, tritt vor. Immer auf der Seite der organisierten Arbeiter. Zuletzt in Naumburg Kassierer des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV). 1901 in Annaberg / Sachsen geboren, lebte der Sohn des Eisendrehers Emil Thate und dessen Ehefrau Paula, geborene List, während der Kindheit im Erzgebirge. Acht Jahre Mittelschule in Olbernhau. Von 1915 bis 1917 Lehre im Schmiedehandwerk. Olga, geborene Heurich, tritt in sein Leben. 1923 heiraten sie. Im Frühjahr wird ihre Elfriede geboren. Zwischen Kriegstrauma und Modernisierung, droht die Familie in Armut zu versinken. 550 Mark kostet der Liter Milch im Februar `23 in Naumburg. "Wenn diese Steigerung allerdings so weitergeht, in den Sprüngen von 180 und 120 M[ark] das Liter," schreit eine Mutter ihren Kummer in die Stadt hinaus, "dann werden wir bald unsere Lieblinge dahinscheiden sehen."
Nach der Hyperinflation verbessert sich das Leben der Familie Thate. Der Vater arbeitet ab 1927 als Schlosser im etwa zwanzig Kilometer entfernten Leuna-Werk. Hier zahlt man die besten Löhne in der Umgebung. In diesem Jahr begann die Herstellung des Leuna-Benzins aus Braunkohle im Bergius-Pier-Verfahren. Zu den Schichten bugsiert ihn der Eisenbahn-Arbeiter-Berufsverkehr. Mutter Olga war Köchin, was gut in die Zeit passte, brachte es doch der Familienversorgung manchen kleinen Vorteil. Unweit ihrer Wohnung am Marienplatz 17 warben Kinos um Besucher. Zwischen 1929 und 1932 existierten in Naumburg 57 Kneipen, Speiserestaurants und Cafés, 18 Gasthöfe mit Hotel und vier Weinstuben sowie drei Kaffeestuben mit Feinbäckereien (NBT, Silvest. 2005). In Arbeiterlokalen konnte man sich verabreden und die Neuigkeiten besprechen. Turn- und Sportvereine unterbreiteten interessante Freizeitangebote. 1919 fasste die Volkshochschulbewegung in Naumburg wurzeln. Seit ihrer feierlichen Eröffnung am 29. September 1919 im Ratskellersaal organisierte sie viele Vorträge und Kurse (NBT 1.10.1919). Weithin bekannt wurden die Vorträge von Walter Hege über den Dom. Ganze 600 Meter von der Wohnung der Familie Thate entfernt lag der Reußenplatz 18, wo sich 1931 bis 1933 der Naumburger Verein für Bildung und Wissenschaft der Kommunisten installierte. Als Vater Thate 1930 wegen politischer Aktivitäten entlassen wurde, waren die Töchter Elfriede und Sonja sieben und drei Jahre alt. Ein Unglück kommt selten allein. Jetzt folgt das Zweite: Weil er mit den Mitgliedsbeiträgen des DMV nicht korrekt verfahren, verurteilt ihn das Schöffengericht Naumburg am 2. Juli 1931 zu drei Monaten Gefängnis. Peinlich genug, dass man sich über ihn im Feldschlösschen (Spechsart 20), Gasthof zum Goldenen Hufeisen und am Markt 3 im Cafe Furcht das Maul zerriss? Nein, da musste sich noch der Zeitzer Volksbote über den KPD-Mann beugen. Schnell war ein Artikel, verziert mit allerlei Deftigem und Törichtem nebst etwas Schnickschnack geschrieben. Dann zog der Watschenmann am 31. Juli 1931 damit ins Zeitzer-Weissenfelser Industrierevier. Jetzt erfuhr der Kumpel alles über
Noch hinter Freyburg an der Unstrut und Laucha, in Naumburg sowieso, konnten die Abonnenten und Leser diese Ausgabe nach Neuigkeiten durchstöbern und die Nachrichten in ihrer Bedeutung ergründen. Ist das heute vergessen? - Was wird der Schmied - seit 1927 Mitglied der KPD - jetzt tun? Gustav Thate verdammt am Nachmittag des 31. Januar 1933 vor einigen Hundert Gleichgesinnten auf dem Naumburg Markt die Koalitionsregierung unter Adolf Hitler in Grund und Boden. Jetzt tritt ein, wovor SPD, ADGB, Afa-Kartell, Arbeiter-Sport-Kartell, Sozialistischer Arbeiterjugend (SAJ), Arbeitersängerschaft, Reichsbanner, Sozialistische Arbeiterpartei und KPD am 6. Juli 1932 in Naumburg mit der Demonstration Gegen den Terror der braunen System-Armee Hitlers warnten: Im Schutz der Junkerregierung und den faschistischen Bürgerkriegs- und Kriegsparteien wird den Nationalsozialisten und Deutschnationalen der Weg zur faschistischen Diktatur geebnet. Die Rote Fahne (Berlin) und der Klassenkampf (Halle) sind bereits verboten. Sie, die Genossen um Gustav Thate, agieren isoliert. Der Beschluss der Generalversammlung des SPD-Unterbezirkskonferenz Zeitz-Weissenfels-Naumburg vom 6. Februar 1933 orientierte doch auf Zusammenarbeit aller Anti-Hilter Kräfte? Was war passiert? Die überlieferte Erzählung wird hier brüchig. Im gewissen Abstand zum letzten Krieg wurde versäumt, ihre Sinnstränge zu knüpfen. - An der Leitung des SPD-Unterbezirkes lag es nicht. Albert Bergholz warb um die KPD, aufrichtig und frei von allen Winkelzügen. Auf dem Markt fehlten viele Mitglieder aus den Gewerkschaften. Ihr Verhalten erklärt die Stellungnahme des Bundesausschusses vom 1. Februar 1933, veröffentlicht in der Leipziger Volkszeitung unter der Überschrift
Am liebsten würden die Mitglieder, heißt es, sich "in unmittelbarer Aktion" gegen die reaktionäre Regierung zur Wehr setzen. Doch die Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes gibt folgende Handlungsanleitung: Das "wäre menschlich richtig, aber taktisch falsch". Denn "Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Gewerkschaften die Interessen der deutschen Arbeiterschaft schädigen würden, wenn sie diesen Impulsen nachgeben würden." Hiernach fixiert sich der Vorsitzende des ADGB und SPD-Mitglied Theodor Leipart auf die Frage, was "von dieser Regierung sozialpolitisch zu erwarten ist" und befasst sich in d i e s e r S i t u a t i o n mit den Folgen möglicher Umstrukturierungen des Reichsarbeitsministeriums. "Organisation - nicht Demonstration: das ist die Parole der Stunde." So reagiert der ADGB auf den 31. Januar 1933. Der Hitler-Staat war akzeptiert, strittig waren lediglich die "Ansprüche der Arbeiter auf Gleichberechtigung in Staat und Wirtschaft". Am 1. April 1933 erklärt der ADGB: "Die Gewerkschaften beanspruchen nicht, auf die Politik des Staates unmittelbar einzuwirken." Reichsminister Göring, meldet am 2. Februar 1933 die Leipziger Volkszeitung, hat in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für das preußische Innenministerium ein Demonstrationsverbot für die Kommunistische Partei und ihnen angeschlossenen Organisationen erlassen. Arbeiterklasse und Gewerkschaften droht die soziale und politische Entrechtung. Den Mann vom Marienplatz 17 erwartet nichts Gutes. Auf Antrag von Hauptwachtmeister Blietz in Nebra, angeordnet von Bürgermeister Roloff, nimmt die Polizei den "Hetzer gegen die NSDAP" am 11. März 1933 in Schutzhaft. 1935 ergeht gegen ihn wegen Vorbereitung des Hochverrats ein Urteil über zwei Jahre Gefängnis. Anschliessend erfolgt seine Überführung in das KZ Lichtenburg. Von hier führt die Schleifspur der Repression bis ins KZ Buchenwald bei Weimar. Im Einlieferungsbuch findet sich unter dem "31. Juli 1937, 14 Uhr" der Eintrag: "Gustav Thate". Und doch war die NSDAP nicht der einzige Gegner, den Thate sich am 31. Januar auf dem Markt von Naumburg vorknöpfte. Sozialdemokratische Spitzenfunktionäre boten in letzter Zeit ihre Dummheiten feil, lobten beispielsweise Hitlers Steigbügelhalter zu den Präsidentenwahlen im März 1932 als vertrauenswürdigen Politiker aus. Musste sich aber deshalb sein "Blutgeheul" zu neunzig Prozent gegen die Sozialdemokraten richten? Die Arbeiterzeitung aus Zeitz verstand das nicht. Für sie war es ein unüberwindlicher Widerspruch zur Forderung nach der Einheitsfront, stand doch andererseits einwandfrei fest, dass der hiesige "Einheitsausschuss nur auf Betreiben der kommunistischen Führer nicht weiter in Funktion treten konnte". Desweiteren verhinderte erst im letzten September die Orts-KPD durch ihr Verhalten die Entsendung von Arbeitervertretern in den Naumburger Gefängnisrat. Hätte sie die fünf Stimmen der SPD unterstützt, dann wäre es gelungen Gewerkschaftssekretär Gottfried Rublack (Siedlungsstraße 35) zu delegieren. Dazu konnten sich die Kommunisten leider nicht entschliessen und präsentierten dafür lieber eine Liste, die keine Aussicht auf Erfolg versprach. In den Gefängnisbeirat wählten dann die Stadtverordneten am 22. September 1932 den Rechtsanwalt Erich Dietze, der bald zum Leiter des Rechtsamtes der NSDAP-Kreisleitung Naumburg aufsteigt, und den Rechtsanwalt Doktor Rudolf Funke, dessen antiliberale Rechtsauffassung einmal mehr 1934 im Logen-Prozess zu Tage treten wird. Hitler-Gegner protestierten in einigen deutschen Städten. Am 31. Januar folgen, eruierten 1982 Hans-Joachim Althaus und Friedrich Bross, in der 4 000 Einwohner zählenden schwäbischen Kleinstadt Mössingen 800 Bürger dem Streik-Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschland, Bezirk Württemberg. In Mannheimer Betrieben und in der Konstanzer Zeltfabrik Strohmeyer legten, meldete am 2. Februar 1933 die Rote Fahne aus Wien, die Belegschaft die Arbeit nieder. Arbeiterzeitungen, wie die Leipziger Volkszeitung, der Volksbote in Zeitz und Lübeck oder die kommunistische Rote Fahne in Berlin, lehnen das Hitler-Kabinett ab und formulieren klar ihre politische Kampfansage. Noch einmal marschiert am 6. Februar die Zeitzer Arbeiterschaft auf. 3 Uhr nachmittags vereinbaren sich die Eiserne Front, SPD, KPD, KJVD (Kommunistische Jugendvereinigung Deutschlands), SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend), Arbeitersportler und die Genossen von der SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) am Volksheim. Genosse Albert Bergholz (SPD) kümmert sich um die Organisation. Fünftausend Demonstranten. Hunger plagt sie. Arbeit und Brot fordern sie. Immer wieder erklingt aus der Marschformation der Ruf nach "Freiheit". Die Kommunisten rufen "Rot Front" und singen verbotene Lieder. Sofort hinderte die Polizei sie am Mitgehen. Elf von den "Störern" werden festgenommen. Am Rossmarkt warten die Nationalsozialisten auf die Kolonne. Zügig tauschen sie verbale Aggressionen aus. - Gegen 18 Uhr trifft der Zug auf dem Altmarkt ein. Genosse Richard Dietrich (1885-1963) hält eine kurze Ansprache. Dann ist die Kundgebung beendet.
Unter Mackensens Führung nach oben
Das Naumburger Tageblatt erklärt am 11./12. Februar 1933: Der "Wahlkampf um Deutschlands Schicksal, um Deutschlands Zukunft, um die Entscheidung am 5. März ist nun eröffnet."
"um die Einigkeit im Kampfe und den siegreichen Ausgang zu verbürgen. Über den Rundfunk rufen die Führer der nationalen Front das ganze Volk auf, der neuen Regierung Hitler-Papen-Hugenberg-Seldte in Einigkeit und Zuversicht zu folgen." Was die Zeitung nicht preisgibt, der nach Hindenburg beliebteste Soldat Deutschlands ist ein Kriegsverbrecher. Und, wie sich nach der Liquidierung der SA-Führung am 30. Juni 1934 herausstellte, ein Mann ohne Haltung und Prinzipien gegenüber den Kameraden. Schon einmal, damals im Februar 1920, als die Diskussion über die Auslieferung der deutschen Kriegsverbrecher an Frankreich aufbrandete, bekam das lebende Soldatendenkmal Kratzer. Aber der Mann mit dem zerknirschten Soldatengesicht wurde für die Popularisierung der Wehrhaftmachung und Unterstützung der Revisionspolitik gebraucht. Besonders der Bund der Frontsoldaten nahm seine Dienste für nationalen Aufgaben ersten Ranges gerne in Anspruch. "Der Stahlhelm und der Generalfeldmarschall von Mackensen verstehen sich einander," stellt ihr Erster Bundesführer Franz Seldte fest, "sind eines Sinnes und Willens in Trotz und Treue und Kameradschaft." Wer seinen Verstand unverkümmert nutzen konnte, der wusste, Unter Mackensen Führung! ist nichts Gutes zu erwarten. Er verkörpert den deutschen Offiziersgeist, der von Brutalität, Stumpfsinn, Ueberhebung und Mangel an Zivilcourage durchsetzt (Tucholsky 1922). Trotzdem flogen den auf einem Schimmel reitenden Husaren die Herzen nur so zu. Denn den meisten Naumburgern diktierte der Zeitgeist, die vaterländische Kriegsliteratur und deutschnationale Geschichtspropaganda das politische Urteil.
Unterdrückung, Repression und Terror nach oben Hitler-Papen verbrauchen sich genauso schnell wie ihre Vorgänger, war eine Meinung, die man im März-April `33 in der Stadt öfter hörte. In den ersten Monaten nach der Machtübernahme betrachteten, was durch den am 4. April 1933 beurlaubten Oberlandesgerichtspräsidenten Georg Werner überliefert, viele Naumburger Richter die Herrschaft des Nationalsozialismus als Übergangserscheinung (Möhring 2011, 87). Aus heutiger Sicht ist dies schwer verständlich, denn bereits durch die ersten Massnahmen hob sich die neue Regierung deutlich von ihren Vorgängern ab, indem sie zügig die kommunale Diktatur konstituierte. Das gilt fürs ganze Land. Die Hälfte der sozialdemokratischen Zeitungen ist verboten, schlägt der Lübecker Volksbote am 7. Februar 1933 Alarm. Am 22. Februar macht Hermann Göring 40 000 SA- und SS-Leute sowie 10 000 Stahlhelmleute zu Hilfspolizisten. Sondergerichte werden eingerichtet. Am 27. Februar 1933 brennt in Berlin der Reichstag. Für die NSDAP war es ein Signal für den Aufstandsversuch der KPD, was nun ihren Terror gegen jede Opposition rechtfertigen konnte. Marinus van der Lubbe (1909-1934) und Ernst Torgler (1893-1963, KPD-Mitglied, 1949 Mitglied der SPD) werden als Brandstifter beschuldigt. Ist jetzt überhaupt Widerstand möglich? Wer soll ihn organisieren und leisten? Die Gewerkschaften nicht. Auch nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 betrieb die ADGB-Führung weiter ihre Anpassungspolitik und stellte sich in den Dienst des neuen Staates". `Der Hitler`, ahnten einige von den Konservativen und nicht-nationalsozialistischen Reichswehroffizieren, `wird uns ruinieren`. Eine demokratische Front? Etwa mit den Sozis und Moskauern? Das ist unmöglich, wenn man einst "mit Gott für König und Vaterland" im Kampfe stand, schrieb am 2. April 1931 Generalleutnant a. D. Dietrich aus Naumburg, Körnerstraße 9, an Richard Scheringer (1904-1986) in Gollnow, als der sich vom "knechtselige(n) Bürgertum aller Schattierungen" abwandte. Pfarrer Lorenz Bertheau und Pfarrer Albert Mielke kollidierten mit den Nationalsozialisten, widersetzten sich ihrem totalitären Erziehungsanspruch gegenüber der Jugend. Demungeachtet dominieren die deutschen Christen. Sie tragen am 1. Mai 1933 ihre Fahnen bis auf den Ostlettner des Naumburger Doms. Blieben noch die Linken. Im März 1920 streikten und kämpften die Aktionsausschüsse in der Region Zeitz-Weißenfels-Naumburg gegen den Kapp-Putsch. Im Jahr darauf bäumen sich die Leuna-Arbeiter gegen ihre schlechte Behandlung und das Treiben der Organisation Consul auf. Den Blausäureanschlag am 5. Juni 1922 auf den Oberbürgermeister von Kassel Philipp Scheidemann (SPD) durch die rechtsradikale Organisation "Consul" kontert tags darauf die Linke der Stadt mit einer sozialistischen Demonstration. Vom Militarismus angewidert und abgestossen vom gefährlichen deutschen Nationalismus, protestieren die politisch bewussten Arbeiter am 11. Mai 1924 in Halle gegen den Deutschen Tag. 1926 werfen sie sich in den Fürstenentscheid. 1928 stellten sich wieder große Teile der Linken dem Panzerkreuzerbau entgegen. Zwei Jahre später verteidigten Sozialdemokraten, Kommunisten, Reichsbanner-Mitglieder, Antifa und sonstige Sympathisanten die SPD-Versammlung in Freyburg an der Unstrut. 1931/32 entstand die Eiserne Front, eine hoffnungsvolle Formation zur Abwehr der Diktatur. Am 6. Juli 1932 demonstrierten sie gegen die wachsende faschistische Gefahr und Armut. Inzwischen war das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Naumburg zu einer bewährten politischen Kraft herangewachsen, das massgeblich an vielen politischen Aktivitäten, Maßnahmen und Protesten beteiligt. In den demokratischen Gefilden der Stadt wuchs sein Ansehen merklich. Erst am 30. Januar 1933 tagte im Deutschen Haus zu Zeitz ihre Kreiskonferenz. 1932, dem Jahr mit den zwei Reichstagswahlen, den Wahlen zum preussischen Landtag und den Präsidentenwahlen, wehrten SPD, Reichsbanner, KPD, Antifa, Gewerkschafter, Anarchisten und (SPD-) Naturfreunde den Nazisturm auf den Spechsart-Konsum ab. Aber was passiert jetzt? Gemäß den Gemeindevertretungsgesetzen ist das Staatsministerium ermächtigt, durch Verordnung die gemeinschaftlichen Vertretungskörperschaften aufzulösen. Davon macht die kommissarische Regierung Preußen am 4. Februar 1933 gebrauch und ruft für den 12. März Neuwahlen aus. Mit der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes vom 4. Februar 1933 wird die Entfaltung der demokratischen Kräfte verhindert. Am 28. Februar 1933 folgt die Verordnung .... zum Schutz von Volk und Staat: "Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung [...] auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig." Elementare rechtsstaatliche Sicherungen, wie die Vorführung des Verhafteten vor einen Richter, sind damit außer Kraft. Das Grundgesetz des Dritten Reiches dient der schrankenlosen Ausweitung der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer Instrumente. Oppositionelle, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Kommunisten werden verhaftet, ihre Abgeordnetenmandate kassiert und Konten beschlagnahmt. Auf Grund Paragraph 1 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 wird die periodisch erscheinende Handzeitung der KPD Naumburgs Rote Wacht für die Dauer von acht Monaten verboten. "Wer hat die Verteiler gesehen?", fragt die Stadtzeitung in der Ausgabe am 4. März. Jetzt beginnt, wie es offiziell heißt, der
Allenfalls ein organisierter Generalstreik in Industrie und Verwaltung könnte Hitler noch aufhalten. Aber das scheint aussichtslos: Denn wie will man gegen mehr als siebzig Prozent der Bevölkerung in den Aufstand treten?
Widerstand aus dem Volk Und trotzdem, einige wenige Bürger - Sozialdemokraten [1, 2, 3], Kommunisten [1], Anarchisten, SAP-Mitglieder - widersetzen sich der Machtübergabe an Hitler und dem politischen System des Nationalsozialismus. Kleine Gruppen reorganisieren sich im Laufe der Zeit zum Widerstand aus dem Volk. Ihre Möglichkeiten sind begrenzt, besonders durch die Terrorgesetze, Verhaftungswellen und die Wahlergebnisse zugunsten des nationalsozialistisch-deutschnationalen Machtblocks. In einer längeren Etappe der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Widerstandes entstand, wie Ian Kershaw 1994 (279 ff.) im Ergebnis einer Studie festhielt, der Eindruck vom "Widerstand ohne das Volk". Als der Widerstands-Begriff einer Revision unterzogen, die Forschung sich mehr dem Alltag zuwandte und die regionalen Ereignisse mehr beachtet wurden, da war er nicht länger zu übersehen:
Oft eng mit dem renitenten Charaktertyp vergesellschaftet, mutet er in der Rückschau vielen Bürgern naiv an. Bis heute wird er deshalb oft nicht beachtet, unterschätzt und nicht gewürdigt. Und doch ist er im Leben der Bürger Richard Hertel, Wilhelm Kayser, Franz Melchrick, Rosemarie Böttger oder Otto Neumann gut erkennbar. Gegenüber den von Gesellschaft hochgeschätzten organisierten politischen und verspäteten Widerstand aus dem System heraus, ist er keineswegs zweitrangig.
Die Reichstagswahlen vom 5. März nach oben Alexander Schifrin analysiert 1932 im Aufsatz Sprengstoffe in der deutschen Politik die höchstgefährliche Ambivalenz einiger von der Allgemeinheit anerkannten und gutgeheißenen Arbeits-, Sozial- und Wahltechniken der Demokratie. Vornan das Phänomen, dass sie die Stimmung und Massenpsychologie zum entscheidenden Faktor im Staate erhebt. Diese Momente und Kräfte nutzte die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands aus und trieb es bis zur plebiszitären Ausrufung der Diktatur voran. Die Mitglieder und Sympathisanten der Arbeiterparteien wurden in Vorbereitung der Wahlen am 5. und 12. März durch Verhaftungen, direkte und unterschwellige Drohungen und Schikanen an der Wahrnehmung des freien Wahlrechts gehindert. Einen Tag vor den Reichstagswahlen fanden politisch indizierte Hausdurchsuchungen statt. Um die Wahllokale gruppierten sich kleine SA-Trupps. "Zum ersten Male", vermerkt ein öffentlicher Wahlbericht, "war von der Agitation der Linken nichts zu sehen." Die streng nationale Familie bekundet mit einem schwarz-weiss-rot Fahnenmeer und unzählbaren Hakenkreuzzeichen ihre Sympathie für Adolf Hitler. Ihre Propaganda stilisiert die Reichstagswahlen zum Tag der erwachenden Nation. Am Vorabend eilten SA, SS-Standarte 4, Abordnungen von den Vaterländischen Verbänden, Schulklassen und viele Bürger eilten zur Kundgebung. Zu Tausenden standen sie auf dem Markt in Reih und Glied. Von ½ 9 bis ½ 10Uhr brüllten die Lautsprecher Adolf Hitlers Kampfrede aus Königsberg gegen den Marxismus und seine Helfershelfer in die Menge. Zum Abschluss stimmte die Prozession der Willigen das Horst-Wessel-Lied an und schloss mit einem dreifachen Sieg-Heil. Langsam kroch aus der Masse ein langer Fackelzug. Vor dem Jägerdenkmal gedachten sie den Gefallenen des Ersten Weltkrieges und legten einen Kranz nieder. Am Morgen des nächsten Tages ziehen die Stahlhelmkapelle und ein Trommelkorps mit Marschmusik durch die Stadt, um die Bürger zur Wahl zu animieren. Viele von ihnen suchen in feldgrauer Uniform oder im Braunhemd das Wahllokal auf. An ihren Eingängen wachen ausgesuchte, politisch zuverlässige Personen, Vaterlandstreue. Mittags spielt zur großen Freude der Bürger wieder die Stahlhelmkapelle zum Platzkonzert auf. Nebenher schleppen am Tag der erwachenden Nation Stahlhelm- und SA-Leute die Wahlmüden an die Urne. Im Reich votieren 43,9 Prozent der Wähler für die NSDAP. Die Sieger stilisieren es als Durchbruch der nationalen Revolution und Revanche für 1918. Schnell wird die ungeliebte Republik demontiert. Das Naumburger Tageblatt jubelt über die "Wendung in Deutschlands Geschichte". Weder deutschlandweit noch in Naumburg erhält die NSDAP die absolute Mehrheit und kann deshalb nicht allein regieren. Von den ersten dreizehn Ministern im Hitler-Kabinett sind lediglich drei Mitglieder der NSDAP. Indess es steht die Kampffront Schwarz-Weiss-Rot, am 11. Februar 1933 als Bündnis von Deutschnationaler Volkspartei (DNVP), Stahlhelm- und Landbund gegründet, bereit. Die Farbkombination erinnert an das deutsche Kaiserreich (1871-1918) und symbolisiert die Abkehr vom Weimarer Parteienstaat. Im Reich erhält das Bündnis acht und
Im Stadtkreis Naumburg triumphiert die NSDAP mit 44,7 Prozent der abgegebenen Stimmen über alle anderen Parteien. Für den nationalsozialistisch-deutschnationalen Machtblock votierten eindrucksvolle 71,5 Prozent. Bei den Stadtverordnetenwahlen sind es dann 60,7 Prozent. Im September 1939 gehören 105 Personen der Stadtverwaltung, gleich 91,6 Prozent aller Mitarbeiter, der NSDAP an, teilt Oberbürgermeister Oskar Schaffernicht am 14. März 1946 den Präsidenten der Provinz Sachsen mit.
Zur Rolle der Haus- und Grundbesitzer nach oben Einen Tag vor den Stadtverordnetenwahlen am 9. März 1933 rufen
in den Großen Ratskellersaal, die vom langjährigen Vorsitzenden Papierhändler Karl Becker eröffnet wird. Die Mitglieder des Vereins sind gegen die Sozialisierung der Wohnungswirtschaft und lehnen die Gesetzesmacherei mit immer neuen Mehrforderungen ab. Steuern nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit, heisst ihre Losung. Bei einer ähnlichen Zusammenkunft am 8. November 1927 beklagten sie, dass der Mittelstand ein Drittel aller Steuern zahlt. Sie sind unzufrieden mit der Regierungspolitik. Das wäre nicht weiter schlimm, denn wer war oder ist das nicht in dieser fürchterlichen Wirtschaftskrise? Der Unzufriedene ist nicht gleich und immer der Regierungsfeindliche .... Doch hier liegt es anders. Die Hausbesitzer melden einen Motorschaden, keine Reifenpanne. Sie fühlen sich nach eigener Aussage im parlamentarischen System nicht ausreichend vertreten. Ihnen fehlt das Vertrauen in die Zukunft. Als Referent erscheint heute Bürgermeister Gerber, Syndikus des Provinzialverbandes der Grundbesitzervereine. Die Wahlen bezeichnet er von "allergrösstem Interesse", um die Selbstverwaltung wiederzuerlangen. Vor dem Krieg bestand das Stadtparlament wenigstens zur Hälfte aus Hausbesitzern. Erst die neue Zeit brachte die Aufhebung dieser Vorschriften. Die neuen Herren im Stadtparlament, beklagt er, waren bekanntlich sehr bewilligungsfreudig. So begannen die Finanzen der Gemeinde zu schwinden. "Das Bezahlen überließen sie anderen." "Die Not im Hausbesitz ist sprichwörtlich geworden. Der Hausbesitz ist ausgepresst bis aufs Letzte. Und damit ist ein Auftraggeber für das Baugewerbe ausgeschaltet worden ...." Viele Bürger bewegen andere Gefühle, Sorgen und Gedanken, als sie auf dieser Versammlung vorgetragen werden, zumal der Referent verquollene Bilder zeichnete und sich vorzugsweise im Feld politischer Fehden tummelte. Deutschland steht mitten in einer tiefen und mächtigen Wirtschaftskrise, weshalb die entscheidende Frage jetzt heisst:
Vielleicht, antworten sie, wenn die Regierung ihre Forderungen erfüllt. "Unverschämt", klingts vom Arbeiter-Stammtisch herüber. - Der im August 1931 in Würzburg tagende 52. Verbandstag des Zentralverbandes deutscher Haus- und Grundbesitzervereine artikuliert erneut ihre Forderungen:
Und wieder erklang am 10. August 1932 in Danzig von der Jahrestagung des Zentralverbandes deutscher Haus- und Grundbesitzervereine der
Er stand, berichtet am Tag darauf die Vossische Zeitung, völlig im Zeichen des Abbaus der Wohnungszwangswirtschaft. Vorsitzender Josef Humar (München) begrüsste den Abbau der Hypotheken-Zwangsgesetze. Trotzdem herrscht in dieser Abteilung des materiellen Besitztums, wie sie selbst sagen, Kampfstimmung. Ihre Forderungen lauten:
Stadtverordnetenwahlen vom 12. März nach oben Adolf Hitler kündigte am 21. Juli 1932 in Göttingen die Abschaffung des Mehrparteiensystems an, was praktisch die Beseitigung der Demokratie bedeutet. Verfolgt man die Reden und Diskussionen auf den Versammlungen in Vorbereitung der Reichstagswahlen und Stadtverordnetenwahlen, dann gewinnt man den Eindruck, dass
kaum irgendjemand gebührend ernst nahm. Nur Klar zum Gefecht! (1932) erkennt die Gefahr, verleiht der Sorge und Angst um die Zerstörung der Republik ihren Ausdruck. Drei Tage vor Wahl der Gemeindevertreter ruft die Kampffront Schwarz-Weiss-Rot und Deutschnationale Partei (DNVP) die Bürger im Saal des Ratskellers zusammen. Gleich zur Eröffnung gibt es die üblichen monarchistischen Sottisen. Doktor Wolfgang Schöbel, Vorsitzender der DNVP-Ortsgruppe Naumburg, fordert zum Gedenken an den 45. Todestag von Kaiser Wilhelm I. auf, worauf sich alle von ihren Plätzen erheben. Konzentriert auf die Ausgabenpolitik der Gemeinden und die Bekämpfung des Bonzentums referiert dann Oberbürgermeister i. R. Hertzog aus Merseburg. Auch diese Versammlung berührt die höchstbedrohliche Gefahr für die Demokratie als Ganzes in Stadt und Land nicht. Mit "Heil Deutschland" verabschiedet Doktor Schöbel die Bürger zur Wahl am 12. März 1933. Ein "großer Regierungssieg", jubelt am Tag nach der Wahl das Naumburger Tageblatt. Die Stadt-NSDAP erhielt 6 129 Stimmen. Sie gewann die Wahl mit 37 Prozent der Stimmen. Vor vier Jahren waren es noch 2 185 Stimmen.
Für Stahlhelm und Deutschnationale Volkspartei, vereint mit dem Landbund in der Kampffront Schwarz-Weiss-Rot, votierten 3 928 Bürger und entspricht 23,7 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Am 10. März abends erscheinen im Saal vom Hotel Zur Post unter dem Vorsitz von Kaufmann Schröter der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes. Vereint wollen sie den handwerklichen und gewerblichen Mittelstand erhalten und die jüdisch-liberalistisch-kapitalistische Weltanschauung bekämpfen. Ihre Protagonisten fordern: "Allerschärfsten Kampf gegen die Warenhäuser", "höhere Besteuerung jüdischer Geschäfte". "Die Beamten" sollen bei der Auftragserteilung "nur die Geschäftswelt am Orte berücksichtigen". 1 265 Naumburger Bürger entscheiden sich für die Wählervereinigung Geeinter Mittelstand, Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes, Haus- und Grundbesitzer Verein sowie Beamte, vertreten mit Julius Eix, Friedrich Hagemann, Ewald Petschik, Hermann Siegel, Carl Plötnner, Karl Cramer, Otto Schramm, Otto Keil. Einen Tag vor der Stadtverordnetenwahl verhaftete die Polizei die Gegner des Faschismus Gustav Thate, Paul Reiszweck und Paul Zeitschel, alle KPD. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war bereits am 7. März verboten worden. Angesichts dessen erreichte die SPD mit 12,6 Prozent und die KPD mit 10 Prozent ein formidables Ergebnis. Es sind etwa 230 Stimmen weniger als 1929. Bei einem fairen politischen Wettbewerb wäre ihr Stimmenanteil wahrscheinlich geringfügig höher ausgefallen. Zweifellos konnten sie aber den nationalsozialistisch-deutschnationalen Machtblock - ohne das Wagnis eines Bürgerkrieges - nicht verhindern.
Eine Missachtung des Wählerwillens und demokratischer Regeln bedeutet, dass die drei gewählten Abgeordneten der KPD ihr vom Wähler am 12. März erteiltes Mandat nicht wahrnehmen dürfen, weshalb die Stadtverordnetenversammlung ihre naturrechtliche Legitimation verliert. Den sozialdemokratischen Stadtrat Otto Grunert (Tischler, Steinweg 14) beurlaubt Bürgermeister Karl Roloff bereits am 28. März 1933. Allerdings tritt er in der Stadtverordnetenversammlung am 11. Mai, was Fragen zum Ablauf der Ereignisse aufwirft, erneut kämpferisch in Erscheinung.
Haus- und Grundbesitzer nach oben Der Verein der Haus- und Grundbesitzer tagt am 29. März 1933 zur 40. Generalversammlung im Hotel Zur Post (Lindenring 34). Vorsitzender Karl Becker (Steinweg 5) erklärt, dass es gelungen sei, die Verrentung der Hauszinssteuer zu verhindern. Sie war nach vielen drängeln zum 1. April 1932 gesenkt worden. Gefallen ist ebenso, dass Wohnungsmangelgesetz, das nach seiner Meinung für Naumburg schon längere Zeit ohne Bedeutung war. Der Kassenbericht weist eine günstige Vermögenslage aus. Weiter legt er den Mitgliedern dar, dass die
also mit den Nationalsozialisten erfordert. Denn die Interessen der Hausbesitzer sollte, begründet der Vorsitzende das Vorgehen, die stärkste Fraktion im Gemeinderat vertreten. Das war einmal ganz anders. In der Sitzung am 24. Juni 1920 kritisierte Karl Becker die Politisierung des Vereins. Damals fühlten sich die Eigentümer durch Gesetze zum sozialen Wohnen in unangenehmer Weise bedrängt. Jetzt empfindet man den Zusammenschluss mit der NSDAP als erstrebenswert und angenehm. Bereits 1930 kollaborierte der Haus- und Grundbesitz mit den Nationalsozialisten. Heute reihen sie sich bei der NSDAP-Fraktion ein. Dies kann nicht jeder und will nicht jeder, was von seitens des Vereins einen Personalaustausch erforderlich macht. Nähmaschinen- und Fahrradhändler Martin Schmidt meldet die NSDAP-Machtansprüche an: Der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes möchte Sattlermeister Curt Schröter und Eisenwarenhändler Karl Forwergk in der Leitung des Vereins wissen. Im Resultat der Ergänzungswahl scheiden die altgedienten Vorstandsmitglieder Allstedt, Hagemann, Kutke und Böckler aus. Die Abstimmung ergab die Wiederwahl von Kaufmann Allstedt, die Neuwahl von Curt Schröter, Karl Forwergk und des Reichsbahnbeamten Bergmann. Vorsitzender bleibt Karl Becker. Am nächsten Tag kündigt das Naumburger Tageblatt ab 1. April 1933 "Neue Steuererleichterung für den Hausbesitz" an. Am 1. April 1935 wird nochmal die ungeliebte Hauszinssteuer gesenkt. Aber man soll sich davon nicht täuschen lassen. Die Fraktionsgemeinschaft von Haus- und Grundbesitzern und NSDAP ist der Herkunft nach wirtschaftlicher Natur und zugleich ein Bündnis des Extremismus der Mitte.
Weg mit den Kommunisten nach oben Am 1. März 1933 gibt die Stadtzeitung auf der ersten Seite
bekannt. Zu diesem Zeitpunkt rechnet man bei den zuständigen Stellen in Preußen bereits mit einer Anordnung "nach der die Kommunisten nicht nur aus dem Landtag, sondern auch aus den Provinziallandtagen, Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindeversammlungen ausgeschlossen werden." Die Ankündigung des Reichsinnenministers Frick erreicht die Stadtverwaltung Naumburg am 18. März und lautet:
Anlass bot der Reichstagsbrand vom 27. / 28. Februar 1933. Die Verhaftungswelle erreicht Naumburg. In Schutzhaft kommen: nach oben Doktor
Artur Samter 1 Paul
Reissweck 1 Paul
Zeitschel 1
2
3 4 Gustav
Thate 1 Karl
Krause Fritz
Burkhardt 1 Paul
Noack 1 Max
Saupe Adolf
Schuster 1
2
3 4 Eugen
Wallbaum 1
2 3
4
5
Nach dem Krieg bringt er vor: "Am 4. April fuhr ich mit Genossen Paul Müller per Rad in den Unterbezirk, übernehme die Beiträge zur Weiterführung der illegalen Arbeit. 5. April. Ich erhalte von zwei Genossen der Bezirksleitung Besuch. Ausweise, alles in Ordnung Mein Auftrag, Fortführung der Partei war erfüllt, ich hatte nur das Gefühl einer Verhaftung. Wir trafen Vereinbarung für den 6. April Treffpunkt 9 Uhr auf dem Markt. Am gleichen Tage erhalte ich von dem Polizeimeister Helbig [eine] Vorladung für 9.00 Uhr zur Kriminalpolizei. Meine Frau geht mit. Genosse Meissner ist da .
Um 10.00 Uhr werde ich in Schutzhaft genommen, es wird mir vorgeworfen, die verbotene KPD weiter geführt zu haben. ... In der Haftzelle stand Genosse Müller, er war bereits am 4. April in Haft genommen, eine Vernehmung hatte nicht stattgefunden." nach oben
"Dreißig Kommunisten in Naumburg in Schutzhaft", meldet die Stadtzeitung am 17. März 1933. Sie wurden aus der Schutzhaft der Merseburger Polizei in das Naumburger Gerichtsgefängnis überführt. Am gleichen Tag verkündet der Oberbürgermeister öffentlich das Verbot für den Druck, die Herstellung, Verbreitung und Einführung kommunistischer Schriften aller Art. In Berlin besetzt die SA in Berlin die Zentrale des Deutschen Freidenker-Verbandes (Verbandsverbot und Vermögenseinzug).
Auf der Burg Hohnstein in der Sächsischen Schweiz werden, meldet das Naumburger Tageblatt am 21. März 1933, 150 politische Gefangene interniert. Ist das die erste Nachricht über die Einrichtung eines der frühen Konzentrationslager? Am 11. April 1933 befanden sich im Regierungsbezirk Merseburg, zu dem die Stadt Naumburg gehörte, 796 Personen in Schutzhaft. 782 von ihnen waren KPD-Mitglieder oder Sympathisanten, 14 wurden der SPD zugerechnet. Bürgermeister Karl Roloff triumphiert über die verhassten Linken:
So steht es in der Festschrift zur 4. Reichsführertagung des Stahlhelm-Studentenrings Langemarck vom 8. bis 11. Juni 1933 in Naumburg geschrieben. Polizeiobermeister Weißenborn von der Ortspolizeibehörde Naumburg meldet am 7. Juli 1933 an den Oberbürgermeister:
Am 20. November 1933 erstattet er wieder Bericht:
Endlich konnten die Pg`s [Parteigenossen] ihre gemütlichen Schulungsabende mit NSDAP Ortsgruppenführer Curt Schröter im Goldenen Hufeisen (Marienstraße) ungestört entgegensehen. Nun ohne die Raufereien mit dem Reichsbanner und den Kommunisten und der Antifa . nach oben All die schönen Erfolge bei der Herrichtung der Volksgemeinschaft posaunt die eben zum Preis von 621,34 Reichsmark installierte Lautsprecheranlage auf dem Markt hinaus. Verfolgung und brutale, unmenschliche Unterdrückung, dass waren die Methoden der nationalen Revolution. Ihre politisch-moralischen Grundsätze und Legitimation erklärt Vollrad Hagen (*1874), seit 1919 Direktor des Landgerichts Naumburg, aus Anlass des Führergeburtstages 1933 im Schwurgerichtsgebäude von Naumburg so:
Durch rücksichtsloses Zupacken, so die Legende von der nationalen Revolution (Hitler), rettet die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei das deutsche Volk vor dem Bolschewismus und der Überfremdung. Schnell ist ein Rettungsamt eingerichtet: Das Gefangenensammellager Weißenfels (siehe Ramona Ehret 2003, 2005, 2013).
Es befindet sich 15 Kilometer nordöstlich von Naumburg auf Schloss Neu-Augustusburg und nimmt am 4. März 1933 seine Tätigkeit auf. In der ehemaligen Residenz des sächsischen Herzogs von Sachsen-Weißenfels werden Kommunisten, Sozialdemokraten, Stadtverordnete, Mitglieder des Reichsbanners und Unterstützer der Roten Hilfe aus Zeitz, Merseburg und Weißenfels interniert. Am 21. April 1933 waren hier bereits 85 Männer aus der Stadt und dem Landkreis Weißenfels gefangen. (Ehret 2003, 243) Max Benkwitz (1889-1972) aus Zeitz schildert 1972 (35-37) die Haftbedingungen. Albert Bergholz (Zeitz) erzählt von Misshandlungen. Am 12. August 1933 wird das Lager geschlossen. Felix Zeitschel (Naumburg) berichtet darüber, wie die Häftlinge in das KZ-Lichtenburg bei Prettin verfrachtet werden.
Das System der Unterdrückung funktioniert. Die Konzentrationslager sind überlastet. Es droht die Überinanspruchnahme der zuständigen Dienststellen durch Schreibarbeit. Besorgt stellt am 19. September 1933 der Preußische Innenminister fest, dass die erforderliche Bewegungsfreiheit der Polizeibehörden gefährdet ist. nach oben
Für die Ausführung unrechtmäßiger und repressiver Maßnahmen erhalten die Diener des nationalsozialistischen Staates eine Belohnung. "Gemeindepolizeivollzugs-beamten, die sich um die nationalsozialistische Revolution besonders verdient gemacht haben" können, instruiert der Regierungspräsident die Landräte und Oberbürgermeister im Brief vom April 1934, befördert werden. Für sie lohnt sich das Mittun bei der Unterdrückung der politischen Opposition. 1929 umfasst die uniformierte OPB (Ortspolizeibehörde) 29 Beamtenstellen. Sie gliedert sich in die Aufgabenbereiche Vollzugspolizei mit Polizeioberkommissar Mollenhauer, Polizeisekretariat (Strafverfolgung, Kraftfahrzeug-Angelegenheiten, Gewerbepolizei), Einwohnermeldeamt, die Verwaltungspolizei und Kriminalpolizei (Strafgefängnis, Waffenschein, Überwachung). Dazu kommen 6 Beamtenstellen für die Kriminalpolizei. Dass Polizeibeamte, wie
Mitglied der Nationalsozialistischen
Arbeiterpartei Deutschlands sind, wusste der politisch Interessierte Bürger längst.
Am 26. April 1933 wird das Gesetz über die Errichtung des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapo) erlassen. In Preußen heisst sie Gestapa, Geheimes Staatspolizeiamt. Aus den Landeskriminalstellen im Regierungsbezirk entstehen Stapa Stellen. Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Merseburg (Halle, Merseburg, Naumburg, Weißenfels, Wittenberg-Lutherstadt, Zeitz) nimmt ihren Sitz in Halle (Saale). In Weißenfels, Bitterfeld und Merseburg entstehen Aussenstellen. Die Sicherheits-Organe des Nationalsozialistischen Staates dienen zur brutalen Unterdrückung der politischen Opposition. Mit dem Gesetz über die Geheime Staatspolizei vom 10. Februar 1936 ändern sich die Aufgaben der Ortspolizeibehörde. Der stellvertretende Chef der Preußischen Geheimen Staatspolizei teilt dazu am 9. März 1936 mit:
Die Ortspolizeibehörde nimmt damit Stapo-Aufgaben wahr. Sie erfüllt nicht nur eine ordnungspolitische und repressive Funktion. Sie betätigt sich ebenso als Integrationshelfer für das System.
Heldengedenktag
Zum Heldengedenktag am 16. März schliesst sich die NSDAP der Kreisgruppe des Stahlhelms Naumburg Stadt zur Kranzniederlegung auf dem neuen Friedhof an. Treffpunkt ist der Holzmarkt. Friedrich Uebelhoer hebt zur Rede an:
Der
Tag von Potsdam Ungestüme Begeisterung entfacht bei den Naumburgern die feierliche Eröffnung des Reichstages am 21. März in der Garnisonkirche Potsdam. Symbolisch fallen die letzten Schranken zwischen Nationalsozialisten und Deutschnationalen, die nationale Revolution triumphiert. Speziell im kommunalen Raum sind dank der Tätigkeit des Stahlhelms, ausgewählter Kriegervereine, dem Kolonialbund oder dem Verein der Haus- und Grundbesitzer längst bedeutende Gegensätze geglättet oder überwunden.
Noch am selben Tag, was über die Vorbereitung interessante Rückschlüsse zulässt, bringen viele Bürger ihre Freude mit einer Kundgebung und einem großen Fackelumzug durch die Strassen von Naumburg zum Ausdruck. Auf dem Markt angekommen, verstummen langsam die deftigen Märsche der NSDAP-, Stahlhelm- und Bergkapelle Zeitz. Vier- bis fünftausend Menschen nehmen Aufstellung, darunter: NSDAP, SA, SS, Hitlerjugend, Stahlhelm (Kreisgruppe), Jungstahlhelm, Jungmarine, Pfadfinder, Kolonialgruppe Rochus Schmidt, Kolonialmädchengruppe Hedwig von Wissmann, Scharnhorstbund, Turnerschaft, Schüler und Schülerinnen des Städtischen Reform-Realgymnasiums, Landesschule Pforte und Bund deutscher Jungmannen. Zeichenlehrer Robert Langermann vom Reformrealgymnasium verliesst den Feuerspruch: "Wir bitten, dass uns der Allmächtige den Sieg des Wollens gebe und die Liebe zur Heimat von neuem. Hebe deine Hände schützend über den greisen Führer unseres Vaterlandes, schütze unseren Führer, den jungen Reichskanzler, schütze sein Leben, bis es vollbracht. Siegend führ uns dein Ruf bis in den Tod, gib uns zum Sieg auch die Kraft, die uns ein neues Deutschland schafft, bis du dein heiliges Amen unter den Sieg gesetzt." Das autosuggestive Zeremoniell setzt Lehrer Knehans aus Wethau fort und beginnt mit dem Satz: "Der Herrgott hat uns diesen Tag geschenkt ..." Dann stösst Kamerad Loewe vom Stahlhelm [1, 2] ein Hurra auf Hindenburg aus und stimmt den ersten und vierten Vers vom Deutschlandlied an. Zum Schluss der Große Zapfenstreich und die vierte Strophe aus "Für dich sei ganz mein Herz und Leben" von Gerhard Tersteegen: Ich bete an die Macht der Liebe, intoniert von der Bundeskapelle des Stahlhelms. Anschliessend zieht die Menschenmenge als Tross geordnet in Richtung Vogelwiese, um sich dort aufzulösen. Einige kommen nicht voneinander los und trinken im Schwarzen Ross noch einen darauf, dass nach Jahren der Erniedrigung, wieder die Schwarz-Weiss-Rot Fahne über dem Reich und der Stadt weht. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Kundgebung hatte die Organisatoren gute Arbeit geleistet. Die verschiedensten Organisationen und Bevölkerungsgruppen mussten mobilisiert und zusammengeführt werden. Alles klappte. Zur Provinzial- und Stadtverordnetenwahl 1929 versprach die NSDAP-Ortsgruppe die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Schutz der Inflationsgeschädigten und Verbesserung der Lebenslage der Sozial- und Kleinrentner. Viele hofften nun, dass mit der "Wiedergewinnung" der "neuen deutschen Einheit" (Hitler) dies in Erfüllung geht. Tatsächlich entstehen nach der Machtübernahme beim Kasernen-, Wohnungs-, Tief- und Strassenbau, im Heeresverpflegungs- und Heereszeugamt, in der Kreis- und Gauamtsleitung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), im Parteiapparat der NSDAP und Winterhilfs-Werk (WHW) neue Arbeitsstellen und Pöstchen. Für die alten Kämpfer sollen neue Beamtenstellen eingerichtet werden. Nach Hunger, Lebensmittelrationierung, Hyperinflation und Massenarbeitslosigkeit keimt die Hoffnung auf ein besseres Leben. "Viele aus dem Volk", schreibt die Schneiderin Anna Possögel aus der Kleinen Wenzelstrasse 9 in ihren Erinnerungen, "versprachen sich von Hitler goldene Berge und bei jeder Gelegenheit schrien diese `Heil Hitler`."
NSDAP-Kreisparteitag Am Sonntag, den 19. März 1933 finden sich die Mitglieder der NSDAP zum Kreisparteitag im Saal des Ratskellers ein. Zuvor hält Pfarrer Ernst Walter Korn (*22.02.1907) aus Gröst für sie in der Garnisonkirche St. Othmar den Gottesdienst ab. Er beschreibt die Lage als nationale Revolution, die bis zum erfolgreichen Ende fortgeführt werden muss. Daran schließt sich der Propagandamarsch durch die Michaelisstraße und Neuengüter, weiter über den Markgrafenweg hin zum Jägerdenkmal (Bergstraße). Hier hält Kreisleiter Friedrich Uebelhoer eine Ansprache.
Ermächtigungsgesetz nach oben
Die Annahme des Ermächtigungsgesetzes durch den Deutschen Reichstag am 23. März 1933 öffnet den Weg zur Diktatur. Hitler kann nun zunächst begrenzt auf vier Jahre und ohne Mitwirkung des Reichstages Gesetze erlassen. Allein der sozialistische Oppositionsführer Otto Wels (SPD) erhebt dagegen seine Stimme. Mit ihren 93 anwesenden Abgeordneten stimmt die SPD-Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz. Zehn ihrer Abgeordneten sind bereits inhaftiert. Die 81 von der Kommunistischen Partei Deutschlands sind zur Abstimmung nicht zugelassen. Ihre Mandate sind mit der Reichstagsbrand-Verordnung annulliert worden. Weder das Ermächtigungsgesetz noch das Parteienverbot lösen in der Stadt irgendwelche Proteste aus. Kein Murren, kein Knurren. Stattdessen eine Welle deutschnationaler Euphorie. Das hat überhaupt nichts Unerklärliches. Wehrwolf, Stahlhelm, die militanten Deutschnationalen um Georg Schiele und die NSDAP-Ortsgruppe schürten viele Jahre das Revanchedenken und den Antisemitismus, verunglimpften den demokratischen Kampf der Parteien, verherrlichten das Führertum und gaben sich einem irrationalen Antisozialismus und -kommunismus hin. Die politische Katastrophe nimmt Fahrt auf. Merken tun es nur wenige.
Den Nationalsozialismus läutern und stärken nach oben
Im März 1933 weht auf dem Turm des St. Wenzel (Karte) die Hakenkreuzfahne. Das musste gar nicht sein. Denn das Preußische Staatsministerium nahm in seiner Anordnung vom 2. März 1933 die Kirchentürme von der Pflicht zur Hissung der Naziflagge und Schwarz-Weiß-Roten Fahne aus. Die neue Zeit, deutet der Naumburger Kirchenbote in seiner April-Ausgabe die jüngsten Ereignisse, teilt sich durch "Frühlingsstürme" mit. Eine pittoreske, literarische Umschreibung für Ungesetzlichkeiten, Drohungen, politische Lügen, Verhaftungen, Schikanen, Judenboykott, Misshandlungen der NS-Gegner und ihre Internierung in Konzentrationslagern. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 entfernt man alle Ungehorsamen, politisch und rassisch Unliebsamen aus dem öffentlichen Dienst. Der Kirchenkreis Naumburg begrüßt diese Personalpolitik im April 1933 und legt sein Interesse unumwunden offen dar:
"Die evangelische Kirche sei wie der Nationalsozialismus ein Gegner des Marxismus", hebt Superintendent Moehring am 13. Juni 1934 auf der Tagung der Kreissynode Naumburg nochmals hervor. Das Kirchliche Amtsblatt der Kirchenprovinz Sachsen erteilt in der Nummer 18 vom August 1934 ihren Hirtenden Rat:
Und:
Diese Orientierung setzt die am 13. Juni 1934 tagende Kreissynode Naumburg um. Oberpfarrer Plath fragt die 63 Vertreter von 43 230 Evangelischen, worin die Beschönigung der Verhältnisse schon angelegt:
Wir sind gewöhnt den Segen Gottes in der Stille zu sehen, aber Gott ist in der Stille wie im Sturm. ... Fürchten wir den Sturm, so trifft uns Jesu Wort: Oh, ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam. Gott wartet auf die Männer und Frauen der Kirche, dass sie mit großem Glauben dem Sturm begegnen. Auch die ersten Christen haben ihn erlebt - und bestanden. Es muss wohl ein Sturm kommen, um hinwegzufegen, was nicht fest ist." Auf diese Weise erklärt der Gottesmann die Unrechtsverhältnisse für "heilig". Ob NSDAP-Mitglied oder nicht, Pfarrer Plath leistet den Nationalsozialisten hervorragende Dienste. Die Institution Kirche unterstützt den Nationalsozialismus. Sie hat maßgeblichen Anteil an seinem Aufstieg und der Festigung seiner Macht. Typisch war das Unverständnis der Geistlichen gegenüber der parlamentarischen Demokratie oder die ausgeprägte Neigung zum deutschnationalen Denken. Sie übernimmt die Rassenideologie und verniedlicht die massive Unterdrückung Andersdenkender als Frühlingsstürme (1933). Der Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitlerjugend setzen die Geistlichen - mit Ausnahme von Pfarrer Albert Mielke (Oberschmon) - keinen Widerstand entgegen. Deshalb konnten sie sich den Deutschen Christen - ausser Pfarrer Lorenz Bertheau (Bad Kösen) - nicht erwehren oder wirkten gar in dieser Bewegung mit. Zur Evangelischen Kirchgemeinde bekennen sich in Naumburg 91 Prozent der Bürger. Ihr Kirchenbote, im Januar 1931 das erste Mal erschienen, erreicht 8 500 Mitglieder. Besuchten 1913 im Kirchenkreis noch 10 000 das Abendmahl, dann waren es 1931 ziemlich exakt dreißig Prozent weniger. Die Gottlosenbewegung ist aktiv. Und im Dezember 1930 konnte den Weihnachtsliedabend in der Moritzkirche nur das Überfallkommando retten. Unter den Arbeitern breitete sich gegenüber den Vertretern der Kirche Misstrauen aus. Oft wird es der kommunistischen Agitation zugeschrieben. Vielmehr erfüllt sich nun, was Heinrich Heine 1834 in Zur Geschichte der Religion und Philosophie Deutschlands (1834) aussprach: Martin Luther "hatte nicht begriffen, daß die Idee des Christentums, die Vernichtung der Sinnlichkeit, gar zu sehr in Widerspruch war mit der menschlichen Natur". Ihre Fähigkeit zur Empathie verkümmerte. Die Folge war eine Entweltlichung und Gleichgültigkeit gegenüber der massiv aufkommenden Erwerbslosigkeit und Armut die fehlende Hinwendung zu den Schwachen und Kranken. War die Kirche ihnen gegenüber wohlmeinend genug? Das bejahten damals nur wenige. Mit was war man alles beschäftigt, als 1928 Sonntag Invokavit ("Er hat gerufen."), dem ersten Sonntag in der Passionszeit 1928, die feierliche Übergabe der vollständig erneuerten Moritzkirche erfolgte? Konfirmanden betreuen, Täufling mit Wasser übergiessen, Trauergottesdienste durchführen, Kirchenboten redigieren, Kassenberichte erstellen, Kirchenkreise neu einteilen (1925), Pfarrstelle in Almrich planen, neues Gesangbuch einführen (1931). Und dann, Achtung der Hinweis, vor den Heidenländern muss man sich schützen. Zum Festtag der nationalen Arbeit 1933 hält im Dom der Superintendent des Kirchenkreises Naumburg die Andacht. Die Nationalsozialisten waren zahlreich erschienen. Über dem Ostlettner flammen ihre Fahnen. Gelehrt doziert Pfarrer Moehring zum "deutschen Acker", darüber, dass dem Deutschen die "Arbeit Bedürfnis ist" und wie "tüchtig und arbeitswillig der deutsche Arbeiter" ihm erscheint. Über die täglichen Sorgen der Naumburger entfährt dem Mund des Predigers nichts. Deshalb darf er, und nicht etwa Otto Grunert von der Orts-SPD, zum Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse 1933 die Festansprache halten. Mit dem Festhalten an der Zwei-Reiche-Lehre von Martin Luther legt sich die Evangelische Kirche selbst in Fesseln. Die weltliche Obrigkeit - der Staat - schafft die Gesetze und die geistige Obrigkeit kümmert sich gefälligst ausschließlich um das Seelenheil. Gemäß dem Brief des Apostels Paulus an die Römer nimmt man die faschistische Diktatur als normalen Staat wahr, gegen den kein Widerstand, solange nur der Glaube ausgeübt werden kann, möglich ist. Karl Barth (1886-1968) trat dieser Lehre in Deutschland mutig, aber ziemlich allein entgegen. In seinem Bonner Kreis war rasch klar geworden, dass Christentum und Nazismus unvereinbar sind. "Wo Christen sich in der Oppositionsbewegung zur Bekenntnisgemeinde sammelten," berichtet Helmut Gollwitzer (1984), "verlor sich der Rausch, in den sie hineingeraten waren, trat an die Stelle der Faszination die Ernüchterung, bildete sich wieder ein selbständiges Urteil über die Massnahmen des neuen Staates, die Judenverfolgung, den Militarismus, die Untaten des Regimes, entstand auch eine selbstkritische Trennung von jener traditionenellen Verfilfzung, die die protestantischen Christen so stark zum mitmachen disponiert hatte." Im Rahmen der Entnazifizierung stellt man 1945 fest, dass viele evangelische Pfarrer der NSDAP nicht als Mitglieder beigetreten waren. nach oben Dies steht nicht im logischen Widerspruch zum Charakter der Tätigkeit der evangelischen Kirche von 1933 bis 1945 in Naumburg. Denn die Institution Kirche darf weder mit der Summe der Kirchenmitglieder noch mit dem Christenmenschen verwechselt oder gleichgesetzt werden. Ausserdem öffnet uns, was manchmal vergessen wird und dann zu undifferenzierten Urteilen führt, die Parteimitgliedschaft nur ein winziges Fenster zur Persönlichkeit. Zu wenig wissen wir über die Biografien der Geistlichen - bis auf Lorenz Bertheau (Bad Kösen) und Albert Mielke (Oberschmon), um daraus weitergehende analytische Schlussfolgerungen ziehen zu können. nach oben Wie soll der Bürger sich gegenüber der Diktatur, dem Hitler-Faschismus, verhalten? Pfingsten `33, dem Tag der Masse (!), erteilt die evangelische Kirchenleitung Naumburg ihren Mitgliedern folgende Instruktionen: "Der Führer will´s, es wird gehorcht! und das ist gut so. Das ist jetzt unerlässlich, damit die Spannung wiederhergestellt, die das Leben selber ist." Das fällt den meisten nicht besonders schwer, präsentiert sich doch die neue Macht als Garant für Ruhe, Ordnung und wirtschaftlichen Aufschwung. "Naumburg wurde", stellt die Propaganda der Stadt-NSDAP immer wieder ihre Arbeit heraus, "aus einem Schwung- und lustlosen Dahinwelken geweckt." (Feise 1938)
Aufschwung nach oben "Eduard! Eduard, unser Haus wird schöner als das vom Gauleiter", ruft Lucie, die Frau des Bürgermeisters von Rhaunen, in einer Szene der Film-Trilogie Heimat (Edgar Reitz). Ähnlich die Stimmung in Naumburg, schien doch der Traum von einer besseren und sicheren wirtschaftlichen Zukunft, endlich Wirklichkeit zu werden. Mit der großen Arbeitsschlacht sinkt die Erwerbslosigkeit. Die Angestellten der Banken, Gerichte, der Stadtverwaltung und ihrer Einrichtungen - geplagt von der Brüningschen Sparpolitik - erhalten das Versprechen auf eine bessere und gerechte Bezahlung. Das Immobilien besitzende Bürgertum der Stadt kann mit der sofort einsetzenden Militarisierung der Stadt auf mehr Einnahmen durch Vermietung und Verpachtung hoffen. Die Kleinindustriellen erwarten regulative Eingriffe des Staates zum Schutz der deutschen Industrie.
"Erst das Jahr der Machtübernahme durch den Führer gewährte," erinnert die Lederfabrik Johannes Freytag am Reussenplatz zum 150-jährigen Bestehen, "wie auf allen anderen Lebensgebieten, die ersehnte Rettung und Hilfe. Dankbar und freudigen Herzens erkennt die Fabrik den Segen der ersten fünf Jahre nationalsozialistischer Staatsführung an. Mit der Wiedereröffnung und dem Neubau von Kasernen, der Errichtung des Heereszeugamtes (HZA) und Heeresverpflegungsamtes (HVA) entsteht ein erweiterter Bedarf für Einfamilienhäusern. Blaumänner finden eine bezahlte Beschäftigung beim Kasernen- und Wohnungsbau sowie Schaffung der dafür notwendigen Infrastruktur. In der Eisenwarenhandlung von Karl Forwergk, Große Jacobstraße 6, arbeiten in guten Zeiten fünf Angestellte und sechs Lehrlinge. In der Krise aber verkaufen sich Nägel, Schrauben, Haken, Stabeisen, Bleche, Röhren, Haus- und Küchengeräte schlecht, weshalb die Firma am 24. Juni 1931 beim Amtsgericht Naumburg zur Abwendung des Konkurses ein Vergleichsverfahren anmelden muss. Die Stadtverordnetensitzung vom 13. Juni 1933 kürt Karl Forwergk zum Mitglied des Steuerausschusses für die Grundbesitz- und Gewerbeabteilung. Der Umsatz der Eisenwarenhandlung steigt von 3 804,76 Reichsmark im Jahre 1932 auf 58 064,25 Reichsmark im Jahr 1934. Ab 1. Oktober 1935 sitzt er im Gemeinderat, verstand sich aber durchaus nicht als politisch neutraler Geschäftsmann. Beispielsweise platzierte er sich 1935 öffentlich als Stoßtruppführer gegen die Kämpfer des Aktionsausschusses im März 1920. nach oben Eine Stadt in Hochstimmung. Zeit für neue Geschäftsideen. Wohin tendiert der Geschmack des Kunden? Käthe Kruse (1883-1968) in Bad Kösen, die ihre ersten handgefertigten Puppen 1910 im Kaufhaus Tietze in Berlin ausstellte, entwirft einen HJ-Jungen und den SA-Mann Friedebald. Für die vielen Selbstständigen, Handwerker und Händler besteht die Aussicht auf Belebung ihres Geschäfts und steigende Umsätze. Für Arbeitslose errichtet die Stadt Wohnungen und initiierte nationalsozialistische Mustersiedlungen. "Durch dieStadtrandsiedlung am Sperlingsholz", meldet das Naumburger Tageblatt am 7. März 1933, "wird den arbeitslosen Volksgenossen ein Heim für sich und ihre Familie geschaffen." Außerdem stellt die Regierung am 11. Oktober mit dem zweiten Gesetz zur Minderung der Arbeitslosigkeit 500 Millionen Reichsmark zur Gewährung von Zuschüssen für Instandsetzungs-, Ergänzungs- und Umbauarbeiten an Gebäuden zur Verfügung. Im Rahmen des Reinhardt-Programms, das mit dem Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit vom 1. Juni 1933 begann, wurden Ehestandsdarlehen vergeben. Die Schuld, sagte der Volksmund, konnte "abgekindert" werden. Für jedes Kind wurden den Eheleuten 1/4 des Kredits erlassen. Bereits 1933 stiegen die Eheschliessungen. Im Zeitraum von 1934 bis Mitte 1938 stieg die Zahl der Personenkraftwagen in der Stadt von 477 auf 798, der Motorräder von 460 auf 595, der Zugmaschinen von 8 auf 20 und der Omnibusse von Null auf 7. Am Ende der Inflation 1923/24 verwaltete die Sparkasse Naumburg noch ganze 40 000 Goldmark. Jetzt nehmen die Spareinlagen wieder zu. Pro Einwohner betragen sie etwa 348 Reichsmark (RM). Die Gesamteinnahmen der Stadtsparkasse Naumburg erhöhten sich von 12,824 Millionen RM im Jahr 1935 auf 14,229 Millionen RM im Jahr 1936. Der wirtschaftliche Aufschwung beruhte auf einer inflationistischen Kreditausweitung mittels der Mefo-Wechsel (Metallurgische Forschungsgemeinschaft mbH), womit der Staat in der Lage war Ausgaben zu finanzieren, ohne auf Bankkredite rückgreifen zu müssen. Als Handelswechsel erschienen sie nicht im Reichshaushalt. Mefo-Wechsel dienten vor allem zur Finanzierung der Aufrüstung, was in Naumburg im umfangreichen Kasernenbau seinen sichtbaren Ausdruck fand.
Hetze gegen die Juden nach oben Massnahmen und Aktionen der Erniedrigung, Unterdrückung und Schikane treffen jetzt vor allem die Juden. Gegen die jüdischen Geschäftsleute organisiert die NSDAP ein Boykott. Das
ruft am 1. April, 8 Uhr abends zur Kundgebung gegen das Judentum auf. Der Jude ist an der Arbeitslosigkeit schuld, schallt es über den 17 Ar großen Markt. "Viele alte Kämpfer hätten damals gern gesehen," sagte im Juli 1935 Kreisschulungsleiter Walter Schmöller von der NSDAP-Kreisleitung Naumburg im Ratskeller der Stadt, "wenn diese Maßnahme nicht nur einen Tag, sondern 14 Tage oder 3 Wochen angedauert hätte. Dann wären die Juden restlos ruiniert gewesen."
Konstituierende
Sitzung
Die konstituierende Sitzung des Stadtparlaments findet am Donnerstag, den 6. April, 17 Uhr, in der Marienkirche statt. "Den wichtigsten Punkt der Tagesordnung wird die Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Naumburg an den Reichskanzler Hitler bilden", teilt die Stadtzeitung mit. Zur Eröffnung der Versammlung spricht der 1. Bürgermeister Karl Roloff folgende Worte:
Aber zu den von der Bürgerschaft am 12. März berufenen Vertreter zählen ebenso die gewählten SPD- und KPD-Stadtverordneten. So beginnt die kommunale Diktatur mit der Roloff-Lüge. Denn die drei kommunistischen Abgeordneten
sind bereits ausgeschlossen. Hierzu vermerkt das Sitzungsprotokoll:
Laut Fortsetzung des Protokolls über die Stadtverordnetensitzung vom 6. April 1933 werden ebenso die vier gewählten SPD-Stadtverordneten
ausgeschlossen. Sie alle: Grunert, Schwenke, Rublack, Blüthgen und Samter, - sie alle waren politische Schwergewichte, stemmten sich mit ihrer ganzen Kraft seit über 10 Jahren gegen die nationalsozialistische Bewegung. Stadtverordneter Uebelhoer (NSDAP) "erklärte, dass die sozialdemokratische Fraktion auf die ihr zukommenden Sitze in den Ausschüssen verzichtet und Mitarbeit bei der Wahl abgelehnt haben" (GR 6.4.1933). In Wahrheit ist es etwas anders: Weil die Regeln der Demokratie missachtet, anerkennt die SPD-Fraktion die Konstituierung der Ausschüsse nicht. Nicht alle widersetzen sich. Einige ziehen es vor sich anzupassen. "Eine ganze Anzahl [von SPD-] Mitglieder trug doppelte Mitgliedsbücher in der Tasche. In der Hauptsache waren es Magistrat[s-] und staatliche Beamte. Nach der Wahl [am 5. März 1933] zerrissen sie ihre SPD-Mitgliedsbücher," erzählt Eugen Wallbaum (9), "und waren so legale Mitglieder der Nazipartei." Zu ihnen gehört der ehemalige SPD-Stadtrat und -Verordnete, der selbständige Schneidermeister Robert Manthey, geboren am 8. Juli 1869 in Langenhof, wohnhaft Jägerstrasse 5 (NSDAP Mitgliedsnummer: 3 841 727). Dies bewahrt ihn nicht vor Nachstellungen und Beobachtung durch die Polizei (und Gestapo?), die 1944 einschätzt: "Er ist trotz seines Alters rüstig und lagerfähig [!]." Nominell besteht die
Stadtverordnetenversammlung aus 30 Mitgliedern. Mit Ausschluss der
KPD- und SPD-Stadtverordneten reduziert sie sich auf 23 Personen.
Die Koalition von NSDAP und Kampffront Schwarz-Weiß-Rot verfügt
über 19 Sitze. In der ersten Stadtverordnetenversammlung nach der Wahl vom 12. März wird Georg Schmidt (NSDAP) zum ersten, Dr. Burkhardt (Kampffront Schwarz-Weiß-Rot) zum zweiten und Martin Schmidt (Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes) zum dritten Stadtvorsteher gewählt. Erich Dietze wird Schriftführer. Für sie stimmen laut Protokoll jeweils 23 Abgeordnete. Anschließend werden die Bau-, Betriebs-, Feuerwehr- und Finanzdeputation und so weiter gewählt. Martin Schmidt erklärt auf dieser Sitzung, dass der Stadtverordneter Eix vom Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes der Fraktion des geeinten Mittelstandes beigetreten ist. Und das sich die Fraktion (Eix, Hagemann, Schmidt, Dietze) mit der NSDAP zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen hat. (Der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes wurde auf Anordnung von Adolf Hitler am 15. Dezember 1932 gegründet. Seine Auflösung ordnet der Staatsleiter Politische Organisation der NSDAP Doktor Robert Ley am 7. August 1933 an.) In der Sitzung am 6. April befasst sich die Versammlung weiter mit der Vorbereitung des Baus von Kasernen und des Krematoriums. Georg Schmidt (NSDAP) teilt mit, dass der Magistrat der Stadt Naumburg auf Vorschlag von Karl Roloff am 27. März 1933 beschlossen hat, Adolf Hitler zum Ehrenbürger von Naumburg zu ernennen. Erst 1991 wurde dieser Beschluss gestrichen. Nach der Stadtverordnetenversammlung am 6. April zieht am Abend ein Fackelzug durch die Stadt.
Im Kurhotel von Bad Kösen tagen am 12. April unter Leitung von Baldur von Schirach die Führer der Hitlerjugend aus ganz Deutschland.
Eröffnung des Kreistages nach oben Am 12. April 1933 tagt in Weißenfels das erste Mal der NSDAP dominierte Kreistag. Der nationalsozialistische Abgeordnete aus Osterfeld Alfred Pape (NSDAP)erklärt die nächsten Aufgaben der Regierung: "Das oberste Ziel des neuen Kurses ist die Niederringung und Zertrümmerung des Marxismus, der Organisation, die 14 Jahre lang das deutsche Volk geknechtet und geknebelt hat. Die Niederringung des Marxismus ist nicht allein dadurch möglich, daß man die Organisation zerschlägt, daß man die marxistischen Parteien von der politischen Tätigkeit ausschaltet, sondern diese Niederringung des Marxismus ist nur zu erreichen, wenn die marxistische Ideologie aus den Herzen des Volkes gerissen und durch eine
Hitlerhöhe Den 157 Meter hohen Köppelberg (oder Käppelberg) bei Schulpforta nennt die Stadtverordnetenversammlung ab 1. Mai 1933 in Adolf-Hitler-Höhe um. Dem Kunstinteressierten ist die Berghöhe vielleicht vom Gemälde Das einsame Haus (1893) von Paul Schultze-Naumburg bekannt.
NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer weiht dem Volkskanzler den Gedenkstein Hitlerhöhe 1. Mai 1933. Erschienen sind Abordnungen von SA, SS, BDM, HJ, SA und Stahlhelm. Nie zuvor sah man hier auf der kleinen Bergkuppe einen derartigen Massenansturm von Menschen. Der NSDAP-Führer hält eine Eloge zu den Verdiensten des Volkskanzlers. Anschliessend salbt er fünf Fahnen von Betriebszellen.
Führer Geburtstag "Aus Anlass des Geburtstages des Reichskanzlers Adolf Hitler hatten sich am Donnerstag [20. April 1933] die Richter, die Handelsrichter, die Beamten, Angestellten und Arbeitnehmer des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft sowie Vertreter der Rechtsanwaltschaft und der Beamten des Amtsgerichts im Sitzungssaal des Schwurgerichts [Bild, historisch] zu einer schlichten, eindrucksvollen Feier zusammengefunden, um den Geburtstag des Reichskanzlers in würdiger Weise zu feiern. Im Auftrag der Versammelten übergab der Landgerichtsdirektor Hagen vier aus freiwilligen Spenden beschaffte Bilder des Reichspräsidenten v. Hindenburg und des Reichskanzlers Hitler, die zur Ausschmückung der Sitzungssäle des Landgerichts bestimmt waren." (Potsdam 1933)
Gleichschaltung der Handwerksinnungen nach oben Der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes ist mit der Gleichschaltung der Handwerksinnungen beauftragt. Ihre Vorstände sind mit mindestens 51 Prozent NSDAP-Mitglieder zu besetzen. Einige Innungen stehen unter Verdacht des Widerstandes und werden deshalb durch einen Kommissar überwacht.
SS-Mann ermordet nach oben "Ganz Naumburg ist noch voller Schauer und Entsetzen", beschreibt das Naumburger Tageblatt die Stimmung als in der Nacht zum 1. Mai 1933 der 23-jährige SS-Mann Siegfried Güthling ermordet worden war. "Man nimmt an, dass es sich um kommunistische Provokateure handelt", gibt die Todesanzeige am 2. Mai 1933 bekannt. Als damit die Tat in der Wohnung Medler Straße 21 zu mindestens für die Öffentlichkeit unversehens den Kommunisten zugeschoben, fand sie in der Stadt nie wieder eine öffentliche Erwähnung. Für den "Kämpfer um Deutschlands Freiheit" findet im Dom die Totenfeier statt. Superintendent Möhring hält die Gedenkrede.
Die
Stadtverordnetenversammlung Schritt für Schritt festigt die NSDAP unter Führung von NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer die nationalsozialistischen Machtverhältnisse in der Kommune. Systematisch reorganisiert er nach seinem Gusto die personelle Zusammensetzung Stadtverordnetenversammlung. Stadtverordnetenvorsteher und Kreisgeschäftsführer der NSDAP-Kreisleitung Naumburg (1935) Martin Schmidt lädt am Donnerstag, den 11. Mai 1933, nachmittags 6 Uhr, zur Sitzung der Stadtverordnetenversammlung ein. Eine umfangreiche Tagesordnung ist abzuarbeiten: Wahlen des Wohlfahrtsausschusses, Unterbringung der 3. Volksschule in der Mittelschule, Entlastung von der Jahresrechnung, Rückgabe eines früheren Strassengeländes, Freilegung des Flemminger Weges, Freimachung der Kasernen, Stadtrats-, Schiedsmann-, und Neuwahl der Siedlungsgesellschaft sowie der Schuldeputation, Berufsschule wie des Sparkassenvorstandes - und anderes mehr. Zunächst werden durch den Versammlungsleiter drei neue Stadtverordnete (Siegel, Schneider und Keil) per Handschlag aufgenommen. Damit erhöht sich die Zahl der Wahlberechtigten Stadtverordneten wieder auf 26 Personen. Bereits im Vorfeld dieser Stadtverordnetenversammlung wandte sich Oberbürgermeister Roloff am 24. April 1933 wegen des "Ausscheidens von Abgeordneten aus der Stadtverordnetenversammlung " an den Regierungspräsidenten von Merseburg. Es handelt sich hierbei um den Stadtrat Otto Grunert (SPD, Mitglied des Magistrats), Gewerkschaftssekretär Gottfried Rublack (SPD, Mitglied des Vorstandes der Allgemeinen Ortskrankenkasse, Studienrat Georg Günther (Lehrer am Städtischen Luisenlyzeum) und Dr. med. Grüneisen (vertraglich angestellter Spezialarzt am städtischen Krankenhaus). - Stadtrat Grunert legte laut Roloff am 21. April 1933 sein Amt als Stadtrat nieder.
Unter dem 10. Tagesordnungspunkt erfolgt in geheimer Sitzung die Wahl der Stadträte. Nach dem Ortsstatut vom 10. März 1915 besteht der Magistrat neben den besoldeten Magistratsmitgliedern aus acht unbesoldeten Stadträten. Laut Protokoll der Stadtverordnetensitzung liegen drei Wahlvorschläge vor: von der NSDAP (Vorschlag 1), der Kampffront Schwarz-Weiss-Rot (Vorschlag 2) und der SPD (Vorschlag 3: Otto Grunert, Wilhelm Schwenke, Walter Keil). Vom Vorschlag 1 gelten als gewählt: Friedrich Uebelhoer (Buchholzstrasse), Georg Schmidt (Hallescher Anger), Otto Lehmann (Bergstrassse 11), Ernst Flachsbarth (Markt 19), Kurt Dassler (Engelgasse 11), Viktor Artes (Herrenstrasse); vom Vorschlag 2: Paul Kröber (Kösener Strasse 15) und Franz Andacht (Herrenstrasse 15). Auf Vorschlag des Stadtverordneten Ingenieur Julius Eix (Burgstraße 19), ehemals Bürgerwirtschaftsblock (1924), beschliesst die Versammlung den Vorschlag 3 (SPD) nicht zu behandeln, weil dieser keine Chance hat, vom Regierungspräsidium Merseburg anerkannt zu werden. Die NSDAP-Abgeordneten unterstützen dies. Es kommt zu einem heftigen Streit zwischen Otto Grunert und Friedrich Uebelhoer (NSDAP). In einer hoffnungslosen Situation bietet der Sozialdemokrat den Nazis die Stirn und vertritt den Anspruch auf ein demokratisches Verfahren. Man schreitet zur Zettelwahl. Danach verkündet Vorsteher Eix das Abstimmungsergebnis: 22:4! 15 Stimmen für den Vorschlag der NSDAP (Vorschlag 1), sieben Stimmen für den Vorschlag der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (Vorschlag 2) und vier Stimmen für die Kandidaten der Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschland (Vorschlag 3). Vorschlag 3 wird als ungültig erklärt. Demokratie nach Art des Nationalsozialismus in der Kommune. Gewählt sind folgende Personen: Friedrich Uebelhoer, Georg Schmidt, Otto Lehmann, Ernst Flachsbarth, Kurt Dassler, Viktor Artes, Paul Kröber und Franz Andacht. nach oben Mit Bürgermeister Karl Roloff gibt es noch ein formales Problem. Er war am 7. Februar 1933 durch die Stadtverordneten für weitere zwölf Jahre als erster Bürgermeister gewählt worden. Am 12. Juni 1933 erlassen die Nazis das Gesetz über die Bestätigung von Beamten der Gemeinden und Gemeindeverbände. Hiernach sind die Bestätigungen von Wahlen aus den alten Vertretungskörperschaften ausnahmslos zu versagen. Es ist an Hand von Dokumenten nicht genau nachzuvollziehen was daraufhin geschieht. Aber Roloff bleibt Bürgermeister. Und am 23. August 1933 wählen die Stadtverordneten auf Vorschlag von Schmidt (NSDAP) Friedrich Uebelhoer (NSDAP) zum Ersten Bürgermeister der Stadt Naumburg.
Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967) vom Reichsverband der Deutschen Industrie und Carl Köttgen (1871-1951) für die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fordern im Juni 1933 die Naumburger Firmen zur
auf. Alle Unternehmen sind verpflichtet, jährlich 5 Promille der Lohn- und Gehaltssumme des Vorjahres an die NSDAP abzuführen. Auch die städtischen Betriebe leisten einen Beitrag. Dies bringt der Nazi-Partei im Reich bis 1945 schätzungsweise 700 Millionen Reichsmark an Einnahmen. nach oben
In der Stadtverordnetensitzung am 13. Juni, eröffnet um 18.10 Uhr, sind alle Mitglieder - außer Schneider, Rudloff und Hochstein, die entschuldigt fehlen - anwesend. Diesmal werden die Vertrauensmänner Schmöller, Gerhardt, Wohlleben und Bücherrevisor Zimmermann (Markt 9) für den Ausschuss zur Wahl von Schöffen und Geschworenen gewählt. Wilhelm Zilz (Bürgergartenstraße 16) hievt man in das Jugendamt und wählt den Steuerausschuss. Für den 16. Juni beruft der stellvertretende Vorsteher der Naumburger Stadtverordnetenversammlung Doktor Burkhardt die nächste außerordentliche Sitzung ein. Rudloff, Goldschmidt, Eix, Grunert und Schwencke fehlen entschuldigt. Der einzige Tagesordnungspunkt: Verpflichtung und Einweisung der neuen Magistratsmitglieder durch den Bürgermeister Roloff. Die alten Magistratsmitglieder scheiden aus. Der Regierungspräsidenten in Merseburg genehmigt die "kommissarische Einsetzung der neuen Magistratsmitglieder" Franz Andacht, Kurt Dassler, Ernst Flachsbarth, Otto Lehmann und Friedrich Uebelhoer. Doktor Burkhardt eröffnet am 22. Juni gegen 18.20 Uhr die Stadtverordnetensitzung. Stadtverordneter Schmidt teilt mit, dass der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes sich mit der NSDAP vereint habe. Albertus und Brenner werden als Stadtverordnete kooptiert. Sie werden am 14. Juli als Ersatz für die kommissarischen Stadträte Friedrich Uebelhoer und Georg Schmidt gewählt. Es erfolgt eine Neuwahl des Stadtvorstehers mit Zettel. Erich Dietze erhält 22 Stimmen.
Auf Vorschlag der NSDAP-Fraktion wird weiterhin beschlossen: "Sämtlichen Beamten und Angestellten, die sich noch im Dienst befinden, allen Empfängern die von Ruhe- und Wartegeldern aus städtischen Mitteln ist es untersagt, irgendein weiteres Einkommen aus Nebenbeschäftigung, gleich welcher Art zu beziehen. Der eigenen Tätigkeit ist gleichgestellt die Tätigkeit der Ehefrau." (Vorlage GR 22.6.1933) Bereits am 27. März 1933 (!) erhält die Stadtverwaltung Naumburg vom Wehrkreisverwaltungsamt des IV. Armeekorps die Aufforderung, alle Kasernen in der Weißenfelser Straße für den Bezug der Truppen frei zu machen. Auf dieser Stadtverordnetensitzung berät man nun den Erwerb des Kasernengeländes von der Firma Schubert. Bürgermeister Roloff trägt die Vorlage vor und teilt mit, dass die Verhandlungen mit dieser gescheitert sind. Er bittet einzuwilligen, dass die Verhandlungen abgebrochen werden und dem Reichswehrministerium anheimgestellt wird, sich das Eigentum durch Enteignung zu verschaffen. Die Kosten der Vereidigung übernimmt die Stadt. Die Vorlage wird angenommen. (Vgl. GR 22.6.1933)
Pfingstkongress des KSCV abgebrochen nach oben Für gute Stimmung vor dem Bahnhof Bad Kösen sorgt am Morgen des 31. Mai 1933 die Stahlhelm-Bundeskapelle. Angetreten sind die Chargen des Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV). Die Studentenverbindung wurde am 15. Juli 1848 in Jena gegründet und versteht sich als eine bedeutende deutsche Kulturinstitution. Ein Sonderzug bringt sie nach Naumburg. Dort wollen die etwa 1000 Teilnehmer heute den Beginn ihres Kongresses feiern. Zuvor nehmen sie im Dom St. Peter und Paul an einem Dank- und Gedenkgottesdienst teil. Nach der Eröffnung des Kongresses in der Reichskrone, distanziert sich Karlfriedrich Mohr im Namen der Korpsstudenten pflichtgemäss vom zersetzenden Liberalismus und bekundet den Willen, am Aufbau der Volksgemeinschaft mitwirken zu wollen. In ihrer Huldigung für den Reichspräsidenten und Reichskanzler Adolf Hitler bringen die Korpsstudenten zum Ausdruck, dass sie keinen grösseren Wunsch haben, als in der nationalen Revolution mitzumarschieren. Es symbolisiert den Übergang des KSCV in das neue Reich (Weber 135). "Einen Tag vor der Kongresseröffnung traf sich die NS-Fraktion der Corpsangehörigen und diskutierte, welche Änderungen möglich und erforderlich sein würden, um den KSCV mit dem NS-Staat in Übereinstimmung zu bringen." (Weber 135) Die NSDAP verlangt den Eintritt aller Korpsstudenten in die SA, die Einführung des Führerprinzips und den Ausschluss der Juden. Durch Freigabe der Mensuren gab die Regierung der waffenstudentischen Gemeinschaft Rückhalt. Zum Ende der Feier beteuern die Korpsstudenten:
Dann erklingt die Egmont-Ouvertüre, gespielt vom Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung des Dirigenten Gustav Adolf Schlemm (1902-1987). Ein niederländisches Dankgebet beschliesst die Huldigungsfeier. Auf die Kongressteilnehmer wartet ein Sonderzug nach Bad Kösen. In geschlossener Kolonne, begrüsst von winkenden Bürgern am Strassenrand, marschieren sie an blumengeschmückten Häuser vorbei zum Hauptbahnhof. Im Mutigen Ritter von Bad Kösen setzt der Pfingstkongress seine Tätigkeit fort. Keine Einigkeit erzielt man über die Arierfrage und den Ausschluss der jüdischen Mitglieder. Der verbandsmässige Hintergrund ist nicht völlig klar. Denn die Statuten des KSCV von 1927 bestimmen im Paragraf 48 I und II: "Die Aufnahme von Juden in ein Corps ist ausgeschlossen" und "bei jeder Aufnahme hat die Rasseprüfung bis auf die Großeltern zurückzugehen. Die Aufnahme ist unzulässig, wenn sich unter den vier Großeltern ein Jude befindet." (Thullen) (Weitere Einzelheiten sind in Der Kösener Congress vom Mai 1933 von R.G.S. Weber beschrieben.) Die Eingliederung in die nationalsozialistische Bewegung "ohne jede Vorbehalte" läuft nicht reibungslos. Und das betrifft nicht nur die Judenfrage. Der auf dem Kongress artikulierte Wunsch nach einem föderalistischen Aufbau des KSCE widerspricht dem Führerprinzip. Laut Erklärung vom Vorort (des jährlich wechselnden Leitungsgremiums) liegen zur Umformung des Verbandes von der Reichsregierung und Reichsparteileitung (NSDAP) nebst Reichsleitung des Nationalsozialistischen Studentenbundes (NSDStB) widersprüchliche Vollmachten vor. Im Interesse der Erhaltung des Verbandes, wünscht der KSCE aber die wahren Wünsche der Reichsregierung kennenzulernen. Deshalb bricht der Vorort in den frühen Abendstunden den Kongress ab und vertagt die Fortführung auf unbestimmte Zeit. Der Rechtsanwalt und Nationalsozialist Max Blunck (1887-1957) wird zum Führer der Korpsstudenten erkoren. Am 1. Oktober 1935 erfolgt die Zwangsauflösung des KSCV.
Bücherverbrennung nach oben In den Abendstunden des 1. Juli (1933) organisiert die NSDAP am Napoleonstein eine Bücherverbrennung.
Es wirken mit Bürgermeister Karl Roloff, die Vertreter der NS-Organisationen und eine NS-Kapelle. Der Badenweiler Marsch erklingt, der Lieblingsmarsch des Führers. NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer begleitet die Verbrennung der Bücher mit dem Feuerspruch: "Wir wollen heute Bücher diesen Flammen übergeben, Bücher von solchen, die da meinten, den deutschen Geist und die deutsche Jugend damit vergiften zu können, und die deutschen Frontsoldaten damit besudelten." Am Napoleonstein präsentieren die regionalen Akteure der nationalen Revolution (Hitler) ihre Ambitionen, die nur noch von der Einweihung des Langemarck-Denkmals am 6. September 1933 an Eifer und Aggressivität übertroffen wird.
Wahl des NSDAP-Bürgermeisters nach oben Die Stadtverordnetenversammlung am 17. August 1933 befasst sich mit Personal-, Finanz- und Steuerproblemen, Grundstücksfragen und der Wasserversorgung.
Die nächste Stadtverordnetenversammlung findet am
gegen 20.10 Uhr statt. Vorsteher Dietze eröffnet sie. Nach dem "Aussscheiden" von sieben Linksvertretern, besteht die Stadtverordnetenversammlung Naumburg aus 16 Stadtverordneten der NSDAP. Sieben Mitglieder (Moritz Starke, Dr. Martin Grüneisen, Karl Mehner, Dr. Herbert Burkhardt, Ernst Hochstein, Gustav Menzel, Georg Günther) der Kampffront Schwarz-Weiss-Rot, die als Stadtverordnete gewählt, lehnen die Teilnahme an der Sitzung ab. Die Gründe dafür konnten nicht hinreichend genau ermittelt werden. Möglicherweise stehen sie im Zusammenhang mit der Wahl des Ersten Bürgermeisters. Erschienen sind sechzehn NSDAP-Mitglieder. Vom Magistrat sind Artes, Lehmann, Daßler, Andacht, Kröber anwesend. Bürgermeister Karl Roloff ist anwesend. Die Wahl erfolgt per Stimmzettel. Martin Schmidt, Kreisgeschäftsführer der NSDAP-Kreisleitung Naumburg, unterbreitet den Vorschlag "Uebelhoer". NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer erhält alle sechzehn Stimmen. Vorsteher Dietze stellt fest, dass damit die Wahl zum ersten Bürgermeister vollzogen ist. Die 16 NSDAP-Stadtverordnete sichern die Arbeitsfähigkeit und fassen mit ihrer Mehrheit von einer Stimme Beschlüsse. Auf ihren Antrag hin wird die Ortssatzung, betreffend der Zusammensetzung des Magistrats vom 10. März 1913 aufgehoben. Friedrich Ubelhoer erhält laut Beschluss das Höchstgehalt in Gruppe I C der preussischen Besoldungsordnung plus 1 000 Reichsmark Aufwandsentschädigung, dazu freies Licht und Heizung und Wohngeld. Die Sitzung am 23. August befasst sich weiter mit der Ausbesserung der Reichskrone, wo sich seit 30. April 1933 im zweiten Stockwerk die Geschäftsstelle der NSDAP-Kreisleitung mit der Anschrift: Naumburg - Saale, Parteihaus, Bismarckplatz 5, befindet. Rudolf Jordan (1902-1988), NSDAP-Gauleiter von Halle-Merseburg, weiht das Schmuckstück zum NSDAP-Kreisparteitag am 18. November 1934 ein. Das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz (GVG) vom 15. Dezember 1933 sichert die Diktatur der NSDAP auf kommunaler Ebene, indem der Oberbürger- und Bürgermeister vom Minister des Inneren "durch Vertrauen von Partei und Staat in ihr Amt berufen" werden. Von alters her vertraut klingende Begriffe wie Gemeindeschulze und Gemeindeälteste sollten uns nicht täuschen. Denn dieses Gesetz verfügt den Ausschluss der Bürger von allen Formen politischer Mitbestimmung! Faktisch gibt es mit diesem Gesetz und dem Parteienverbot keine frei gewählte und demokratisch legitimierte Stadtverordnetenversammlung mehr. nach oben Als verantwortlicher Leiter der Ortsbehörde gilt allein der Bürgermeister, der die Gemeinde nach dem Führerprinzip leitet, heißt es im GVG. Dem Gemeinderat kommt lediglich eine beratende Aufgabe zu. Er hat keine Entscheidungsbefugnis. § 6 (1) des GVG sagt:
Am 30. Januar 1935 wird das GVG durch die reichseinheitliche Deutsche Gemeindeordnung (DGO) ersetzt. Die Stadtverordnetenversammlung kontrolliert am 20. Dezember die Beiträge der Betriebe zur Adolf-Hitler-Spende. Die städtischen Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke führen drei Prozent der Lohnsumme ab. Im Juli 1934 sind dies 443,90 Reichsmark. Mit dem Kirchengesetz vom 6. September 1933 sind die Ämter des Generalsuperintendenten aufgehoben. Neue Bistümer werden errichtet, darunter das Bistum Merseburg-Naumburg. Die Stadt bemüht sich um den Sitz einer Propstei. Als Dienstwohnung für den Probst schlägt sie die Domkurie vor. (Stand Dezember 1933) Die Stadt übernimmt die Trägerschaft der Stadtrandsiedlung. Sie plant außerdem den Bau eines Landgerichtsgebäudes am Roonplatz. Bei Schellsitz friert die Saale zu. Groß und Klein amüsiert sich beim Eislaufen. Am 25. Januar 1934 erfolgt die feierliche Inaugurierung von Friedrich Uebelhoer als Oberbürgermeister der Stadt Naumburg im Auftrag des Ministers für Inneres durch Regierungspräsident Dr. Sommer. Seitdem 26. Oktober 1932 war die Stelle unbesetzt. Das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar bringt das Ende der Länderhoheit. Die Regierung hat das Recht, neues Verfassungsrecht zu setzen und damit die Bestimmungen oder Einrichtungen der Weimarer Verfassung aufzuheben (siehe zum Beispiel unten das Gesetz über das Staatsoberhaupt vom 1. August 1934 und die Volksabstimmung am 19. August 1934). Nach nationalsozialistischer Staats- und Rechtsauffassung ist damit das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 aufgehoben. Das Gesetz wird vom Reichstag - wie nicht anders zu erwarten - einstimmig beschlossen. Jetzt geht es anders rum. Die nächste Sitzung des Gemeinderats im Februar 1934 erfolgt unter Hinzuziehung des Rangältesten Führers der SA Obersturmbannführer Franz Schröder. - Die Machtübergabe an die NSDAP ist abgeschlossen. Bürgermeister Karl Roloff starb im März 1939. Stadtassessor Werner Schröder (*5. Oktober 1904, gefallen am 20. August 1942) tritt am 7. Dezember 1939 seine Nachfolge an. Stadtbaurat Schröter nimmt als dienstältester Beigeordneter die Amtseinführung vor. Martin Schmidt, Kreisgeschäftsführer der NSDAP-Kreisleitung Naumburg, überbringt die Glückwünsch der NSDAP.
Gemeinderat und Gemeindeordnung (1935) nach oben Das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz (GVG) vom 15. Dezember 1933 verfügt die vom Minister des Inneren vorzunehmende Einsetzung eines starken Bürger- oder Oberbürgermeisters als Gemeindeleiter. Diesem tritt der Gemeinderat ohne jede Entscheidungsbefugnis gegenüber. Laut Gesetz endet die Legislaturperiode des 1933 gewählten Gemeinderates Mitte 1934. Also muss ein neuer präsentiert werden.
Der Regierungspräsident bittet den Oberbürgermeister der Stadt Naumburg mit Schreiben vom 29. August 1934 im Auftrag des Gauamtsleiters der NSDAP für Kommunalpolitik des Gaues Halle-Merseburg um eine Vorschlagsliste der Gemeindevertreter, die einvernehmlich mit der NSDAP-Kreisleitung erstellt werden soll. Der Oberbürgermeister der Stadt Naumburg, gleichzeitig NSDAP-Kreisleiter, erstellt die Vorschläge mit dem 1. Oktober 1934 (siehe Übersicht oben) und übersendet diese an den Regierungspräsidenten. Sie enthält siebzehn Personen. Max Albertus und Alex Brenner sind als "Ersatz" gekennzeichnet.
Mit dem Brief vom 31. Januar 1935 an den Oberbürgermeister der Stadt Naumburg kritisiert der Regierungspräsident, dass erstens ein Repräsentant der örtlichen Kultur, zweitens ein Vertreter der höheren Beamtenschaft und drittens ein Anwalt der örtlichen Unternehmer oder Gewerkschaften in der Vorschlagsliste fehlen. Uebelhoer legt daraufhin dar, dass die Ratsherren-Versammlung aus 3 bodenständigen Handwerkern, 3 Beamten, 1 Lehrer, 4 Arbeitern und Angestellten, 2 Angehörigen der freien Berufe und 2 Bauern besteht. Die Belange des Doms mit seinen Stifterfiguren nimmt Zeichenlehrer Robert Langermann wahr. In der am 8. April 1935 an den Oberbürgermeister der Stadt Naumburg übersandten Vorschlagsliste vom Regierungspräsidenten sowie dem Reichs- und Preußischen Minister des Inneren findet sich eine Veränderung. Statt Heinrich Eickmann wird nun Ernst Pinder vom Oberlandesgericht nominiert. Max Albertus und Alex Kaufmann bleiben Ersatzkandidaten.
Nach der Ersten Durchführungsbestimmung der Deutschen Gemeindeordnung vom 22. März 1935 sind nach § 51 die Gemeinderäte erstmalig bis 1. Oktober 1935 zu berufen, was taggenau durch den Beauftragten der N.S.D.A.P. Gauinspektor Dohmgoergen erfolgt. Heinrich Eickmann, Karl Forwergk und Franz Schröder sind nicht dabei. SA-Mann Franz Schröder ist im Jahr 1934 noch nominiert. Im Oktober 1935 ist er von der Liste gestrichen. Inzwischen war mit dem sogenannten Röhm-Putsch am 30. Juni 1934 in blutiger Weise ein Machtkampf ausgetragen worden. Dabei entledigte sich Hitler auch einflussreicher politischer Gegner aus dem konservativen Lager, wie Kurt von Schleicher. Hernach wandelt sich die SA: Im Februar 1938 zieht sie im Dienst der Festigung des deutschen Wirtschaftslebens mit dem Handwagen als Altstoff-Sammel-Truppe durch die Stadt. Letzter SA-Standartenführer in Naumburg (1945) ist Gerhard Juch (Roßbacher Straße 9). Intellektuell war der hochgebildete und talentierte Ernst Pinder die herausragende Persönlichkeit im Gemeinderat. Die Kommunalgesetzgebung dient der Durchsetzung des Willens der NSDAP. Dem Gauinspektor der NSDAP, erst in Weißenfels, dann in Halle institutionalisiert, kommt bei Personalfragen (Oberbürgermeister, Bürgermeister, Mitglieder des Gemeinderats) eine zentrale Rolle zu. Den Entwurf der Hauptsatzung der Stadt Naumburg übersendet der Oberbürgermeister am 12. Juli 1935 an das Amt für Kommunalpolitik, Deutscher Gemeindetag, des NSDAP-Gau Halle-Merseburg Weißenfels zu Händen des Beauftragten der N.S.D.A.P. Gauamtsleiter Parteigenosse Alfred Pape. nach oben Am 15. Juli 1935 ergeht sie an den Regierungspräsidenten in Merseburg, der am 12. September 1935 die Genehmigung erteilt. Darin ist festgelegt, dass der Oberbürgermeister hautamtlich seinem Dienst nachgeht und ihm ein Bürgermeister, ein hauptamtlicher Bürgermeister, ein hauptamtlicher Stadtkämmerer, ein hauptamtlicher Beigeordneter (Stadtrechtsbeigeordneter - "kw"), ein hauptamtlicher Stadtbaurat und sechs ehrenamtliche Beigeordnete zur Seite stehen.
Die ehemaligen ehrenamtlichen Beigeordneten von 1933, deren Amtszeit nach dem Gemeindeverfassungsgesetz mit dem 30. Juni 1934 abgelaufen ist, werden ersetzt durch: Otto Lehmann, NSDAP-Kreisleitung; Ernst Flachsbarth, Rechtsanwalt und Notar; Victor Artes, Kaufmann; Kurt Daßler, Drogist, Naumburg; Dr. med. dent. Ulrich Tigerström, Zahnarzt; Franz Andacht, Kaufmann, Naumburg; meldet der Oberbürgermeister der Stadt Naumburg am 3. Dezember 1935 an den NSDAP-Gauinspektor. Die Abberufung der alten Gemeinderäte Eix, Dr. Burkhardt, Goldschmidt, Günther, Hochstein, Mehner, Menzel, Siegel, Wohlleben und des SA-Obersturmbannführers Franz Schröder erfolgte durch den Oberbürgermeister zum 7. Oktober 1935. Der Oberbürgermeister oder Bürgermeister muss laut Hauptsatzung der Stadt Naumburg die Befähigung zum Richteramt oder höheren Verwaltungsdienst haben. Die Stelle des hauptamtlichen Stadtrechtsrates soll mit dem Ausscheiden des bisherigen Amtsträgers wegfallen. Der Stadtkämmerer muss die Befähigung zum Richteramt oder eine langjährige praktische Erfahrung aufweisen. Die Stelle wird nicht eingerichtet, solange der Beamte Schaffernicht die Verwaltung des Geldwesens führt. Der Stadtbaurat soll möglichst die 2. Staatsprüfung als Regierungsbaumeister (Hochbau) erfüllen. Die ehrenamtlichen Beigeordneten, Ratsherren und sonstigen ehrenamtlichen Bürger erhalten bei auswärtigen Tätigkeiten Reisekosten und Tagegelder nach den gesetzlichen Vorschriften erstattet.
Verbot der Arbeitervereine nach oben Faschismus und Diktatur assoziiert die demokratische Öffentlichkeit gewöhnlich mit Bildern vom brennenden Reichstag, gequälten Menschen in Konzentrationslagern und misshandelten politischen Gegnern. Dagegen erscheint das Verbot der Arbeitervereine als randständiges, fast harmloses Ereignis. Selbst die Betroffenen unterschätzen die Folgen. "Die Gründung des kleinsten Arbeitervereins wird", schrieb einst Johann Jacoby (1805-1877), "für den künftigen Kulturhistoriker von größeren Wert sein als - der Schlachttag von Sadowa." Mit Liquidierung der Arbeitervereine wird der moralische Schutzzaun vor chauvinistischen Nationalismus, Rassenideologie und Untermenschentum niedergebrochen. Humane informelle Netzwerke werden zerstört und der Aufbau einer politischen Gegenkultur ungemein erschwert. "Alle Vereine, denen ich angehörte", trägt Fritz Voigt dazu vor, "sympathisierten mit der KPD und wurden von ihr gefördert. Die Mehrzahl der Mitglieder im Kraftsportverein waren Mitglieder der KPD und aktiv im Parteileben." Eine solche Sportlandschaft wollten die Nationalsozialisten nicht. Also erfolgt am 4. Mai ihre Gleichschaltung oder Auflösung. Hierfür ist Sturmführer Voigt verantwortlich. Die alten Vorstände müssen ihre Funktion niederlegen. Bis 15. Mai ist ein neuer Vorstand zu wählen, der zu 51 Prozent aus zuverlässigen NSDAP-Mitgliedern besteht. Wo das nicht möglich ist, erfolgt ein Verbot des Vereins und das Eigentum wird beschlagnahmt. Den Schachverein V.F.L 88 [oder VfL 88] trifft es am 15. Juli 1933 mit seinem Sparbuch-Guthaben von 12,85 RM. Beschlagnahmt wird ein Rucksack der Ortsgruppe der KPD am 8. September 1933, ebenso die roten Armbinden vom Arbeitersportkartell Naumburg am 27. September 1933. "In der Vereinsregistersache Arbeitersportkartell Naumburg a. S. erwidere ich auf das Schreiben vom 25.11. [1933] ergebenst, daß der genannte Verein aufgehört hat zu bestehen. Vereinsmitglieder sind nicht mehr vorhanden. Insbesondere dürfte sich nach Erlaß des polizeilichen Betätigungsverbotes niemand mehr finden, der geneigt sein würde, die Geschäfte des Vorstandes zu übernehmen", schreibt Bürgermeister Karl Roloff am 20. November 1933 an das Amtsgericht Naumburg. (Vgl. Roloff 30.11.1933) - Auch der Verein für Leibesübungen 1888 wird im November 1933 verboten.
Man glaubt es kaum. Damit sich die Kommunisten. Freidenker und Sympathisanten nicht zu ihren Gesprächen, heute nennt man es ehr Meetings, an der Oblitzer Schleuse zusammenfinden können, heisst es in einem offiziellen Protokoll, konfisziert die Staatsmacht massenhaft ihre Fahrräder. Zum Beispiel am 12. Juni 1933 das von Hans Falk, Wendenplan 3, oder von Rosa Schaumburg in der Windmühlenstraße. Paula Samter aus dem Mägdestieg 14, Ehefrau des kommunistischen Funktionärs Arthur Samter, besitzt ebenfalls ein Fahrrad. Am 12. Juni 1933 beschlagnahmt es die Polizei. Im Mai 1933 stellt der SS-Sturm 3/IV.26. Standarte Naumburg beim Reichsbanner-Mitglied Walter Grosser im Weinbergweg 11 eine Schreibmaschine der Marke Mignon sicher. Der Gutenberg Gesangsverein verliert am 15. Juli 1933 bei der Enteignungsaktion sein Sparbuchguthaben in Höhe von 242,32 Reichsmark. Der Reichsbanner Ortsgruppe nimmt man am 21. August 1933 unter anderem ihren Notenständer. "Weil die Maschine früher kommunistischen Zwecken diente", heißt es im Beschlagnahmeprotokoll, wird am 12. Januar 1934 die Schreibmaschine Marke Kapell Nr. 22474 von Walter Höhne durch die Ortspolizeibehörde eingezogen. (Vgl. Nachweisung 1933/34) Der Regierungspräsident von Merseburg bestellt zum 22. Mai 1934 den Rechtsanwalt und Vorsitzenden des NS-Rechtswahrer Bundes Doktor Werner Rieling (Hochstraße 9) im Polizeibezirk Naumburg als Treuhänder für das Vermögen der ehemals marxistischen Sportverbände. Das Arbeitersportkartell steht unter dem Einfluss der Sozialdemokraten.
schreibt Bürgermeister Roloff am 25. November 1933. "Insbesondere dürfte sich nach Erlaß der polizeilichen Betätigungsverbote niemand mehr finden, der geneigt sein würde, die Geschäfte des Vorstandes wieder zu übernehmen." (Verfügung 30.11.1933) Nach Ermittlungen der Staatspolizei, besteht die Kampfgemeinschaft der Roten Sporteinheit im Oktober 1934 noch. (Vgl. Stapo 1933e, 211). Im März 1935 startet sie eine große Verhaftungswelle. Unter den Festgenommenen befindet sich der Arbeitersportler Richard Locker. Geschafft! Alles auf Linie des Nationalsozialismus. Mit den anderen Sportvereinen hatte man dabei keine Schwierigkeiten. "Denn gerade in den bisherigen bürgerlichen Turn- und Sportvereinen", referiert der Volksbote (Zeitz) 1931, "wird der Faschismus in der üblichen Weise gezüchtet. Der Männer-Turnverein, der Turnverein Friesen und der Fußballclub 05 sind geradezu Brutstätten für die Nazis, und dabei sind die führenden Geister freigewerkschaftlich organisierte Arbeiter (!)." (Stärkt 1931) nach oben
Was wird aus den bürgerlichen Gesellschaftsvereinen? nach oben Die verbliebenen Vereine unterwirft die NSDAP ihrer Kontrolle. Generalstaatsanwalt Dr. jur. Ludwig Becker (geboren am 21. Mai 1871, wohnhaft Breithauptstraße 22), Oberleutnant a. D. Wilhelm Krieger (geboren 19. April 1871, wohnhaft Luisenstraße 15), Fabrikdirektor Heinrich Prehn (geboren 19. Dezember 1887, wohnhaft Buchholzstraße 30) und Karl Roloff (geboren 24. September 1887, wohnhaft Jenaer Straße 32) treffen sich regelmäßig in der 1807 gegründeten Erholungsgesellschaft Über ihre Zusammenkünfte äußert die Ortspolizeibehörde: "Die vorstehenden aufgeführten Personen sind durchaus national eingestellt. Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß sie sich rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetzen." (Vgl. Nachweisung 1934) Für die anderen "Gesellschaften" wird dies in etwas abgeschwächter Form ähnlich festgestellt. Im Kaufmännischen Verein (seit 1880) korrespondieren Bürger unter der Ägide von Kaufmann Ernst Hohenstein (geboren 4. Januar 1886, wohnhaft Burgstraße 58) und Konditormeister Walter Furcht (geboren 18. Januar 1898, wohnhaft Markt 3) miteinander. Auf eine lange Tradition schaut der Naumburger Bürgerverein zurück. Er besteht seit 1821. Wortführer sind hier Kaufmann Friedrich Andacht (geboren 14. Dezember 1888, wohnhaft Herrenstraße 15) und Kaufmann Kurt Kuttke (geboren 14. November 1897, wohnhaft Pfortastraße 30). In der Ressource, 1855 gegründet, organisieren Bürger ihr Kulturleben unter Leitung von Kaufmann Alfred Schulze (geboren 6. Juni 1883, wohnhaft Grochlitzer Straße 47), Mittelschuldirektor August Lehmann (geboren 2. Februar 1887, wohnhaft Flemminger Weg 29) und Richard Hertel.
Parteienverbot nach oben Das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli verleiht der NSDAP eine Monopolstellung. Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. Dezember definiert sie als Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staate unlösbar verbunden. Am 22. Juni verbietet Reichsinnenminister Friedrich Frick die traditionsreiche Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands. Bürgermeister Roloff aberkennt am 29. Juni Wilhelm Schwencke (SPD) schriftlich das Stadtverordnetenmandat und droht ihm mit Schutzhaft. Er verbietet die Tätigkeit der SPD.
Am 10. August 1933 stellt die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Merseburg (I 401) Wilhelm Schwenke (SPD) die Mitteilung über Einziehung des Vermögens vom Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Ortsgruppe Naumburg zu. Grundlage bildet das Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 und das Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933. Nach dem Verbot der SPD erfolgt sukzessive die Selbstauflösung der übrigen Parteien (DVP 27.6., DDP 28.6., BVP 4.7. und Zentrum 5.7.). Die DNVP wird in die NSDAP-Fraktion aufgenommen. Die Selbstauflösung der Deutschnationalen Volkspartei "markiert einen kläglichen Schlusspunkt", wobei der Begriff der Partei für dieses Gebilde allerdings zu hochgegriffen war (Flemming 1982, 297).
Überraschend kam das Parteienverbot nicht. Es war voraussehbar. Bereits in seiner Wahlkampfrede am 31. Juli 1932 im Göttinger Kaiser-Wilhelm-Park charakterisiert Adolf Hitler das Vielparteiensystem als nutzlos. Und darin war er sich mit anderen rechten Parteiführern offenbar einig. Vizekanzler Franz Papen assistiert am 11. Juni 1933 auf dem Markt von Naumburg: "Einmal musste ja die deutsche Selbstzerfleischung aufhören, einmal musste der Parteienkampf zum Schweigen gebracht werden. Wir können wieder hoffen, dass die nationale Brüderlichkeit selbstverständlich wird, dass es Werte gibt, die innerhalb des Volkes unbestritten gelten." Es war nicht nur Hitler ....
Illusionen über die Legalität der Macht nach oben Lass die mal machen. Die wirtschaften bald ab, hörte man nach den Wahlen vom 5. März öfter in der Stadt. Auf wundersame Weise, so glaubten nicht wenige, pendeln die Verhältnisse bald von selbst wieder in den Bereich der Vernunft zurück. Andere sahen sich dem Prinzip der Legalität verpflichtet und wollten die Nationalsozialisten nicht provozieren. Die meisten jubelten nur über die "Machtergreifung". 72 Prozent der Naumburger votieren am 5. März zur Reichstagswahl für den nationalsozialistisch-deutschnationalen Machtblock. Wie sollte es jetzt weitergehen? Mit Bürgerkrieg? Hilft den Hitler-Gegnern vielleicht der Zufall? Ist ein Umschwung noch möglich? "Unter Umständen kommt die Stunde sehr schnell in der die nationalistischen Regierungsmanöver die Mehrheit des Volkes aufwühlen und eine revolutionäre Stimmung schaffen", hofft Paul Franken (Zeitz). So aufschlussreich dieser Gedanke ist, man darf daraus nicht ableiten, dass sich die Generalversammlung des SPD-Unterbezirkes Zeitz-Weissenfels-Naumburg am 5. Februar 1933 in Zeitz auf diese Wartehaltung kaprizierte. Das Schicksal des Widerstandes deutet sich eher in der Aufforderung an die SPD-Genossen an: "Für uns gelten nur die Parolen der zentralen Leitung [!] der Eisernen Front." Warum kam es nach dem Aufruf der KPD (Berlin) vom 30. Januar und dem Aufruf des SPD-Vorstandes und der SPD-Reichstagsfraktion vom selben Tag nicht zu institutionell abgestützten kollektiven Aktionen des Widerstandes? Eine Ursache waren "starke(n) Erscheinungen des Zurückbleibens hinter den Massen", wie es Ernst Thälmann am 7. Februar 1933 im Sporthaus Ziegenhals auf der letzten Tagung des Zentralkomitees der KPD eingestand. Vielleicht ist es nicht der rechte historische Moment für eine tiefere Analyse der Ursachen, schliesslich war es der letzte öffentliche Auftritt des KP-Vorsitzenden vor seinem Verrat und der Verhaftung am 3. März 1933. Über den Zickzackkurs gegenüber den Gewerkschaften, den rabiaten Erziehungsmethoden in der Partei, der Besserwisserei gegenüber SPD, SAP und FAUD oder den lähmenden Zentralismus spricht der Sohn seiner Klasse (Kurt Maetzig) ungern. Auch die Resolution des EKKI-Präsidiums Die Lage in Deutschland vom 1. April 1933 und die am 2. Juni veröffentliche Entschließung des ZK der KPD über die politische Linie (EKKI) stellen die Entscheidungen der Führung der KPD vor dem 30. Januar 1933 wider allen Realitäten als völlig richtig dar. Das Zurückbleiben hinter den Massen ist prinzipieller Natur. Lenin analysierte 1902 in Was tun? die Eigenheiten und das Verhältnis von Arbeiter- und Avantgarde-Bewusstsein. Nicht, dass es solche soziopsychischen Unterschiede nicht gäbe, verhängnisvoll war nur, dass der Parteiapparat dies ausnutzte, um in den Alleinbesitz der Wahrheit - sprich Macht - zu gelangen. Denn die Partei war zentralistisch aufgebaut und organisiert. Als Preis für die Bolschewisierung der Partei verdrängte Bewusstheit die Spontanität des Handelns, wofür sie einen sehr hohen Preis zahlt: die Schwächung des subjektiven Faktors. Darauf spielt Ossip K. Flechtheim (224) an, wenn er fragt, ob die KPD nach dem Reichstagsbrand "nur noch ein Häuflein von gehetzten Funktionären und führungslosen Mitläufern" war? Jedenfalls konnte die KPD die Einheitsfront aus vielerlei Gründen nicht anführen. Primo loco beruht die Kampfkraft der KPD in Naumburg auf der Selbstlosigkeit und Disziplin ihrer Mitglieder. Aber militärische Formen der Erziehung unterminieren ihre Fähigkeit zum spontanen, kreativen Handeln. Ohne zentralen Beschluss bleibt die politische Reaktion aus. Aus Kampfkraft wurde Krampf und Hilflosigkeit. Eine Lektion der Geschichte, nicht nur für die kommunistische Partei, sondern für alle deutschen Parteien zum Thema Fesselung der Persönlichkeit durch Institutionen (Staat), was bereits die Freideutschen 1913 auf dem Meissner umtrieb. Ähnlich die SPD: Zwischen Programm und Politik aufgerieben, konnten die Sozialdemokraten nur noch Legalitätspolitik. Ihr Zurückweichen und Aufschieben rächte sich bitter. Der politische Glaube an die Legitimität der in Wahlen errungenen staatlichen Macht war der SPD zur Obsession geworden, verführte sie zur Taktik, bloss, um keinen Vorwand für Repressionen und Verbote zu liefern, die Machthaber nicht provozieren. Ihr Vorsitzender begibt sich sogar auf die Suche nach Gemeinsamkeiten mit der NSDAP. "Der Herr Reichskanzler [Adolf Hitler] hat auch vorgestern in Potsdam einen Satz gesprochen", erinnert Otto Wels (2008, 26) am 23. März vor dem Reichstag, "den wir unterschreiben können. Er lautet: Aus dem Aberwitz der Theorie von ewigen Siegern und Besiegten kam der Wahnwitz der Reparationen und in der Folge die Katastrophe der Wirtschaft." Die Rede enthielt, worauf Wilhelm Hoegner (230) hinweist, "auch das Angebot der Sozialdemokratie an die Reichsregierung zur loyalen Mitarbeit". Obwohl ein Teil der SPD-Führung bereits nach Prag exiliert, setzt eine Rumpfgruppe die Politik vom 23. März fort und stimmt "am 17. Mai im Reichstag zusammen mit den Nationalsozialisten für die Forderung der Gleichberechtigung Deutschlands" (Hoegner 230). Zuvor hatte Adolf Hitler eine heuchlerische Rede gehalten, in der er seinen Friedenswillen betonte. Die SPD-Abgeordneten erhoben sich und "stimmten der Erklärung des deutschen Reichstages zu". "Dann fingen die deutschnationalen Abgeordneten das Deutschlandlied zu singen an. Die meisten", berichtet Wilhelm Hoegner (202 f.), "in unseren Reihen sangen mit." Einst schwor die SPD, "notfalls zur Verteidigung der Republik ihr Leben einzusetzen". "Dass es um Ganze ging, wenn bereits das rote Bollwerk Preussen [am 20. Juli 1932] zu Fall gebracht wurde, hatte jeder Begriffen ." Dennoch ging sie "kampflos in den Untergang". (Herlemann 2004) Erst im Prager Manifest vom Januar 1934 erkennt die SPD, dass es im Kampf gegen die nationalsozialistische Diktatur "für Reformismus und Legalität keine Stätte" gibt. nach oben
1932/33 ist der Point of no Return längst überschritten. In alle Lebensbereiche war der Nationalsozialismus von unten hineingewachsen. Militarismus, Demokratiefeindlichkeit, rückwärtsgewandte Helden- und Führerverehrung und unzivilisiertes Verhalten gegenüber Andersdenkenden beherrschen die politische Stadtkultur. Dazu Judenhass. Jubel für Franz Seldte und Franz von Papen. Und im Schlafwagen der Geschichte döst die große Masse der Unpolitischen weiter dahin. Derweil feierte die streng nationale Familie enthusiastisch den Sieg der nationalen Revolution (Hitler). Vor dem Realgymnasium am Bismarckplatz hisst sie am 9. März 1933 gegen 5 Uhr nachmittags die Hakenkreuz- und Schwarz-Weiß-Rote Fahne. Stahlhelm, SS, SA und Hitlerjugend nehmen Aufstellung. Von der Freitreppe der Schule eröffnet Lehrer Wilhelm Zils (*1893) den symbolischen Akt mit einer schwungvollen Rede. Der Studienrat hebt die Bedeutung der alten Reichsfarben Schwarz-Weiss-Rot hervor und geisselt den Verrat von 1918. Zugegen auch Doktor Heinrich Lemcke (*1884), eine stadtbekannte Persönlichkeit mit umspannender Reputation. Er hielt am 30. Oktober 1930 die Totenrede für Oberbürgermeister Arthur Dietrich. Heute, nach dem Gesang des Horst-Wessel-Liedes, ergreift der Studienrat das Wort. Schon in seiner Antrittsrede 1925 als Direktor des Realreform-Gymnasiums, nach 1933 umbenannt in Walter-Flex-Schule, appellierte er an die nationalen Gefühle, sprach vom Erleben und Wachsen der Seele, der Erziehung im Geist selbstloser Pflichterfüllung. Als der Sieger von Tannenberg am 2. Oktober 1927 seinen 80. Geburtstag beging, gedachte der Oberstudienrat tags zuvor auf einer Schulfeier zusammen mit Schülern und Lehrern nicht nur des Ehrentages des großen Schlachtenlenkers, sondern würdigte gleichfalls die Dolchstoßlegende. Heute, am 9. März, singen sie zum Abschluss der feierlichen Fahnenhissung gemeinsam das Deutschlandlied. Dann marschieren die Schwarzen, Braunen und Feldgrauen vom Realgymnasium durch die Stadt zur St. Wenzelskirche. Auf dem Turm weht die Schwarz-Weiss-Rote - und Hakenkreuzfahne. Am Amtsgericht nach dem Marktplatz hin flattert die Hakenkreuzfahne und am Domgymnasium hisst der Jungstahlhelm die Nationalfahne des Kaiserreichs. Die bürgerlichen Parteien operieren zwischen guten Absichten, Loyalität und Übergabe an die neuen Machthaber. Eduard Dingeldey (1886-1942) wechselt von der Deutschen Volkspartei als Hospitant in die NSDAP-Fraktion, löst die Partei am 4. Juli auf. Die DNVP war ohnehin Regierungspartei. Zentrum und Deutsche Staatspartei stimmen dem Ermächtigungsgesetz zu. Viele denken überhaupt nicht an Widerstand gegen die Hitler-Hugenberg-Regierung. Warum auch? Sie ging doch aus dem nationalsozialistisch-deutschnationalen Machtblock hervor, der im Bürgertum großen Zuspruch fand. Von Standpunkt ihres politischen Paradigmas, entbehrt es nicht einer gewissen Logik, wenn sie dem Ermächtigungsgesetz zustimmen. Das parlamentarische System versagte etwa seit 1930 bei der Wahrnehmung, Aufnahme und Lösung gesellschaftlicher Konflikte. "Wir Sozialdemokraten aber waren ebenso wie die Kommunisten gelähmt," stellt der ehemalige SPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner (1887-1980) rückblickend fest. "In den Fraktionssitzungen droschen wir leeres Stroh." "Aber nach dem 30. Januar 1933 hatten wir keine Munition mehr. Wir hatten stillschweigend kapituliert. Es dauerte freilich noch einige Monate, bis wir es merkten." (Hoegner 54, 57) Am 2. Mai 1933 besetzt die SA im Auftrag des Aktionskomitees zum Schutze der deutschen Arbeit die Gewerkschaftshäuser. ADGB, AfA-Bund, Einzelverbände und Bezirksausschüsse werden verboten. Beim örtlichen Gewerkschaftskartell regte sich nach dem 30. Januar kein Widerstand. Der Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften akzeptiert am 28. April 1933, dass "die nationale Revolution" "einen neuen Staat geschaffen" hat, der an die Gewerkschaften neue Forderungen stellt. Der Verbindung gehören der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), Hauptvorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und Hauptvorstand des Verbandes der Deutschen Gewerkvereine an. Sie erklären, dass sie "getreu ihrer staatspolitischen Tradition, zur positiven Mitarbeit am Staat bereit"
sind. Der Führerkreis will "alle Kräfte des deutschen Volkes zu einer stärkeren Einheit" zusammenfassen, um "über alle Trennungen der Vergangenheit hinweg zu einer einzigen umfassenden nationalen Organisation der Arbeit" zu finden. Ihre Untergliederungen und Mitglieder fesseln sie derweil mit dem Beschluss: "Bis zum Abschluss der Vorarbeiten des Führerkreises enthalten sich die Vorstände jeder Sonderverhandlung über die Umgestaltung der Gewerkschaften." In der internationalen Arbeiterbewegung löste dies eine Riesenenttäuschung aus. Denn: "Die sozialistische und kommunistische Arbeiterbewegung hatte es in keinem dieser Länder vermocht, dem Vormarsch des Faschismus Einhalt zu gebieten", zieht Augustin Souchy in Nacht über Spanien (69) die bittere historische Bilanz. "Kampflos hat sie, politische Freiheiten und soziale Errungenschaften aufgegeben ." Mit dem Gesetz vom 24. Oktober 1934 tritt die Deutsche Arbeitsfront (DAF) als Stirn und Faust der schaffenden Deutschen an die Stelle der Gewerkschaften. 1939 hält die DAF wöchentlich in ihren Büros (Neuengüter 20, Am Ostbahnhof 3, Jakobsring 4a, Freyburger Straße 15 und Schreberstraße) Sprechstunden ab. nach oben
Macht und Moral nach oben In den Tagen der nationalen Erhebung (Adolf Hitler) mussten die politische Sprache und öffentlichen Verhaltensregulative nicht revolutioniert werden. Stahlhelm, Wehrwolf, SA, Kolonialjugend, Jungdeutsche und Deutschnationale hatten längst mit ihren Fahnen, Uniformen und Losungen den öffentlichen Raum erobert, veranstalteten zackige Aufmärsche, hielten Reden über die Wehrlosmachung, schimpften auf die Erfüllungspolitik, plapperten die Dolchstoßlegende nach, lehrten den Heranwachsenden den Irrsinn von der Reinheit und Überlegenheit des Deutschen, heroisierten den Krieg und verbreiteten Verschwörungstheorien über Juden und Freimaurer. Autoritäre Verhaltensstrukturen, Unterordnung und Gefolgschaftstreue erlernte der Naumburger lange vor 1933. Deshalb bedurfte es im städtischen Politikbetrieb zur symbolischen Präsentation der Macht keiner großen Neuerungen. "Wir dürfen es sagen: Wir haben im Dritten Reich, im nationalsozialistischen Staat, uns nicht umzustellen brauchen", resümiert am 8. April 1933 Heinrich Lemcke, Direktor der Städtischen Oberschule für Jungen, bei der Verabschiedung der Schulabgänger in der Aula. "Unsere Feiern, auf die wir immer großes Gewicht gelegt haben, legen davon Zeugnis ab; ihr Geist konnte derselbe bleiben, der er auch in schwerster Notzeit unseres Volkes und Staates immer gewesen war, der Geist der bedingungslosen Hingabe und Opferbereitschaft für Volk und Vaterland." Über das Erziehungssystem und die Inszenierungen des ideologischen Apparates - zum Beispiel der Vaterländischen Verbände - diffundiert eine unheilvolle Melange aus Untertanengeist und Großmannssucht in das politische Alltagsdenken.
Wer
auf Autorität hin handelt,
Die Erziehung zu Gehorsamkeit, Disziplin und Unterordnung in Staat, Familie, Schule und Armee hat in Deutschland eine lange Tradition. 1798 versetzte Johann Gottlieb Fichte der Autoritätsgläubigkeit mit seiner Moraltheorie einen schweren Schlag als er schreibt: "Wer auf Autorität hin handelt, handelt sonach nothwendig gewissenlos ". Sie überlebte es und revitalisierte sich, weil demokratische Formen der Staatsführung nach der bürgerlichen Revolution nur schwach vorankamen. Die nationalsozialistische Bewegung nutzt dies, indem sie die Versatzstücke kapitalistischer Ideologie, Malthus Lehre vom Bevölkerungswachstum, Masse-Elite- und Kolonialtheorien, Sozialdarwinismus, Rassenlehre, zusammen mit dem deutschen Nationalismus und der Autoritätsgläubigkeit im NSDAP-Parteiprogramm zum Führerkult umformatierte. Natürlich, wen interessierte schon in Zeiten der Enteignung (Hyperinflation) und Wirtschaftskrise (1929), dass damit eine schamlose Entstellung von Fichtes System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre (1798) einherging. Autoritäres Denken und Verhalten behindert das vernunftbegründetes Handeln. Statt persönlicher Anstrengung, innerer Auseinandersetzungen, quälender Befragung des Gewissens, verführt es zur Bequemlichkeit und (Schein-) Zufriedenheit. Je tiefer die Normen der autoritären Erziehung interiorisiert, desto grösser der Kontrollverlust durch das Über-Ich (Gewissen). So wächst die Gefahr, dass das Verantwortungsbewusstsein schwindet, prognostizieren Alexander und Margarete Mitscherlich (1967). Zur Steuerung des Verhaltens der Masse nutzt der ideologische Apparat gezielt Glaubensinhalte der Bibel. Professor Ernst Borkowsky (geboren 1860), Lehrer und Schuldirektor in Naumburg, dient in Unser Heiliger Krieg (1914) dem Bürger die Geschichte von Isaak und seinem einzigen Sohn zur verpflichtenden Nachahmung an. Moralisch begründete Entscheidungen bringen, soweit sie die Interessen verschiedener Schichten und Klassen widerspiegeln, divergierende Wertorientierungen und Handlungsanweisungen zum Vorschein. Ein demokratischer und öffentlicher Diskurs eröffnet Wege zu Konfliktlösung, was augenscheinlich mit Autoritätsgläubigkeit und Führerbefehl nicht vereinbar ist. Am folgenreichsten war vielleicht, dass das gesunde Volksempfinden der Bürger, welches fein zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kann, durch die zunehmende Autoritätsgläubigkeit das Differenzierungsvermögen verlor. Jetzt gilt als wahr und richtig, was die Lebenskraft des Volkes und Reinheit des Blutes erhält. Das gesunde Volksempfinden diente vor dem Richterstuhl zur Rechtfertigung von Unterdrückung und staatlicher Gewaltanwendung. Die Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz des deutschen Volkes vom 25. November 1939 verstärkt den ideologischen und durch die Rechtspflege gestützten Konformitätsdruck auf die Volksgenossen.
Führerprinzip Das nationalsozialistische Herrschaftssystem organisiert sich um das Führerprinzip. Seit der Reichseinigung 1871 verliehen ihm mannigfaltige kulturelle, politische und ideologische Tendenzen auftrieb. Sozusagen als Krönung dieser Entwicklung triumphiert die Gehorsamkeit gegenüber dem Führer im System des Nationalsozialismus praktisch als quasistaatliche Norm. Das Führerprinzip für sich ist wertlos, paart es sich nicht mit der Idee der Manneszucht, also: Knurren - Abtreten - Ausführung. In der Erziehung zum blinden Gehorsam erwarben sich Wehrverbände - Stahlhelm, Wehrwolf, große Verdienste. Bereits in der frühen Jugendbewegung war, weiss Reformpädagoge Gustav Wyneken (1916, 160), die Sehnsucht nach dem Führer, gegenwärtig. In den Schützengräben des Weltkrieges konnte sich das Prinzip durch Gewöhnung an den Befehl im Soldaten-Hirn festsetzen. Den Menschenführer mythologisiert Der Wanderer zwischen zwei Welten (Walter Flex 1916) als dem Leben und Tod gleich Nahe. Stahlhelm, Wehrwolf, Jungdo, Kolonialjugend, Hitlerjugend sowieso, perfektionieren das Gefolgschaftsdenken, pflegen und üben es ein, weshalb viele den Zwangscharakter der Diktatur nicht als Last empfanden. Die geistige Realisierung des Führerprinzips bereitete dem Bürger nach dem Wahlsieg der NSDAP am 5. März keine Schwierigkeiten. Erfüllt sich doch jetzt für viele, wozu sie sich längst bekannt oder sie längst erhofft, oftmals sogar als einzigen Ausweg aus der Krise ansahen. Ohnedies stellte sich der Bürger nur ungern gegen die Gruppenmeinung. Je bedrohter die vitalen Lebensbedingungen, je härter sie umkämpft, desto mehr wächst die Bereitschaft zur Anpassung und Übernahme von Einstellungen (Verhaltensbereitschaft) auf dem Weg der Anweisung (Befehl), was eine Vereinheitlichung des politischen Verhaltens hervorbringt. Es entsteht die Masse, wo der Einzelne wesentliche Momente seiner Identität und Würde verliert. Ohne diesen Selbstanspruch ist er zu jeder Normverletzung fähig. Der Opportunismus ist der Weltfeind, sagt Stefan Zweig 1918, treffend. Das staatliche Herrschaftssystem des Nationalsozialismus beruht auf einer Symbiose von Führer und Bürger. Ihre skurrilen, grotesken und kriminellen Formen rufen bis heute einiges Erstaunen hervor. Das Volk mit dem Führer, gibt noch immer einige Rätsel auf. War denn Deutschland nicht ein Land der Aufklärung? Woher kam "das Unvermögen," um es mit Immanuel Kant zu sagen, "sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen"? Hilde Munske generiert 1935 im Aufsatz über Maria Kahle die folgende typische Rezeptionsweise des Führerprinzips: "Der Wille des Führers entschied und Kraft und Glauben eines geeinten Volkes trugen zur Verwirklichung bei." Eine andere deklariert am 20. April 1936 der Kommandeur des Infanterieregiments 53 Oberst Freiherr von Waldenfels als er seine Stimme zur Ansprache auf der Vogelwiese in Naumburg erhebt: Nach dem Wollen des Führers sollen wir mitarbeiten, an "der Erziehung des neuen deutschen Menschen". "Ihm so zu danken", ist wirklich gering, "gemessen am Wirken an dem unermüdlichen Wirken und Schaffen des Führers". Dem nationalsozialistischen Staat gelang die durchgreifende Verallgemeinerung des Führerprinzips in Kultur, Wehrmacht und Wirtschaft, in der politischen Organisation der Gesellschaft sowieso. Wilhelm Keppler (1882-1960), Aufsichtsratsvorsitzende der Braunkohle-Benzin AG (BRABAG), unter anderen mit einem Zweigwerk in Zeitz präsent, und Kommissar für Wirtschaftsfragen in der Reichskanzlei, drängte darauf, das Führerprinzip im Bankwesen durchzusetzen. (Vgl. Kern 1933) Auf Grund der konstitutiven Funktion des Führerprinzips im System der nationalsozialistischen Herrschaft, muss es gegen die demokratische Idee immunisiert werden. Dazu dient der NS-Elite die religiöse Sanktionierung. Ende 1939 prophezeit NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer im Kampf für Grossdeutschlands Lebensrecht: ".... die Vorsehung wird uns den Führer erhalten, denn die Vorsehung hat ihn uns gesandt." Die Hybris nationalsozialistischen Führertum vermittelt ein chiliastisches Moment, so wie es NSDAP-Kreisleiters am 10. Oktober 1938 aus Anlass der "Eingliederung" des Sudetenlandes in das Deutsche Reich vorträgt: "Wir wissen, wir werden den Tag erleben, dass der Führer uns erlösen und dafür sorgen wird .". Der Führer übernimmt die Rolle des Über-Ich, also eines externalisierten Gewissens. In diesem Sinne unterweist der Oberbürgermeister und NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer die Abiturienten des Jahrgangs 1937 bei ihrem Abgang von der Städtischen Oberschule für Jungen (Bismarckplatz): "Vor entscheidenden Entschlüssen fragt euch immer: Was würde der Führer dazu sagen." Als die Symbiose zwischen Führer und Bürger (Gefolgschaft) mit dem Zusammenbruch gewaltsam aufgelöst, schwindet die narzisstische Objektbesetzung. Die Verbrechen "entwirklichen sich hinter einem Schleier der Verleugnung" (Mitscherlich 81). Viele sagten dann: Wir taten nur unsere Pflicht. Nur wessen Pflicht? Schwerlich war es die selbst gewählte, die von eigener Verantwortung und Gewissen getragene.
Loyalität
Im System der Arbeitsteilung und Kooperation ist der Einzelne auf die Anerkennung und das Vertrauen des beziehungsweise der Anderen angewiesen. Treue, Disziplin, Zuverlässigkeit und Loyalität gegenüber der Person sind Voraussetzung für die leistungssteigernde Arbeitsteilung. Andererseits verdrängt die bedingungslose Loyalität individuelle Entscheidungen und führt zur kollektiven Verantwortungslosigkeit. Mitunter empfindet der Einzelne die Delegierung der Verantwortung an den Führer als praktisch und hilfreich, entlastet sie ihn doch von den Folgen seines Handelns. Er kann die Folgen von Entscheidungen anderen aufbürden. Altruistisches Verhalten, wie freundlich kooperatives Verhalten, Empathie und Anpassung, verführen zum selbstreproduktiven Konformismus. Denn die gruppenintegrativen Verhaltensnormen können schamlos zur Unterdrückung Anderer, zum Beispiel zur Formierung eines Beistandsverhaltens gegenüber einem fiktiven Feind ausgebeutet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass es den meisten aufgrund des anthropologischen Bedürfnisses nach Anerkennung schwerfällt, eine kritische Distanz zum Anpassungsverhalten einzunehmen.
Treue
Und so gilt der nationalsozialistischen Gruppenmoral die Gefolgschaftstreue viel mehr als Mitleid mit Schwachen, Fremden, Andersdenkenden oder Feinden. Um die Gruppenmoral zu wahren, verletzt der Präsident des Oberlandesgerichts Naumburg Professor Paul Sattelmacher allgemeine ethische Prinzipien des Richterstandes und manövriert sich so in eine aussichtslose persönliche Lage. Typisch für die bedingungslose Treue, wie sie immer wieder eingefordert und zum Beispiel als moralisches Leitbild für den Offizier und Soldaten der Wehrmacht durchgesetzt wird, ist, dass sie von der Ehre gestützt wird. Aus Anlass des Kommerses der Offizierskameradschaft vom ehemaligen 2. Thüringer Feldartillerie-Regiments am 8. Juli 1939 in der Hindenburg-Kaserne Naumburg erklärt Traditionsverbandsführer Major Wiesner distinguiert: "Die Treue ist das Mark der Ehre, dafür bürgen die Volksgemeinschaft, alte Kameradschaft, die Partei und die alten Soldaten."
Fähigkeit zur Selbstlüge nach oben Übermütig suspendiert die politische Elite nach der nationalen Revolution (Hitler) das Gesetz von Zahl und Wahrscheinlichkeit vom Dienst. Dabei fing es so harmlos an, als im Juni 1914 auf dem Vortrupp-Tag in Leipzig Hermann Popert (61) die Formel des radikalen politischen Voluntarismus verkündet, "dass Wille zehnmal mehr wert ist, als Wissen". Die Folge sind Wahrnehmungs- und Realitätsverluste, wie sie Bürgermeister Karl Roloff am 30. Juni 1933 eindrucksvoll in der Rede zum Ausklang des Mädchen-Kirschfestes zum Ausdruck bringt: "Auf Anraten von leichtfertigen Führern hatten wir uns selbst entwaffnet. Zerbrochen hatten wir selbst das Siegfried-Schwert, und nachdem wir waffenlos waren, wollte uns der Feind noch ehrlos machen. Ehrlos kann und mag der Deutsche aber nicht leben. Unter der Führung unseres Herrn Reichskanzlers Adolf Hitler sind die falschen Führer unseres Volkes verjagt worden, und wir gehen daran, das Siegfried-Schwert neu zu schmieden. Das ist aber nur möglich, wenn uns alle der eiserne Wille unseres Führers Adolf Hitler beseelt."
Militär
als das normale Leben
Als nach dem Erlass des Gesetzes über den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935 Naumburg wieder offizieller Standort der Reichswehr wurde, prangte bald auf einem Spruchband an der Reichskrone die unverschämte Lüge: "Die
Garnisonen Deutschlands Auf seine Kasernen und das Militär war Naumburg immer stolz. Nach 1933 stationieren sich das Artillerie Regiment 14, Infanterieregiment 55, Heereszeugamt, Heeresbauamt, Heeresverpflegungsamt, Wehrbezirkskommando sowie die Heeresfachschule, Heereszahlstelle und Heeresstandortverwaltung in der Stadt. Paraden, Appelle und Platzkonzerte oder Sportveranstaltungen finden bei den Bürgern großen Anklang. Bei der Vorbereitung und Durchführung wirken NSDAP-Kreisleitung und die Standortältesten der Hubertus- (Oberst Graesner) sowie Hindenburgkaserne (Oberst Scholz) eng zusammen. Wiederholt bringen hohe Wehrmachtsoffiziere öffentlich ihre Dankbarkeit gegenüber dem Führer zum Ausdruck und treten gemeinsam mit dem NSDAP-Kreisleiter auf. Major Wiesner ernennt Adolf Hitler am 8. Juli 1939, um 20 Uhr, aus Anlass des Kommerses der Offizierskameradschaft des ehemaligen 2. Thüringer Feldartillerie Regiments in der Hindenburg-Kaserne (Naumburg a.S.) zum "Oberbefehlshaber
aller deutschen Herzen."
Befehle organisieren die Abläufe in den Kasernen. Hier herrschen andere moralische Normen als im zivilen Leben. Gewöhnlich ahndet der deutsche Staat das Töten mit Paragraf 212 und 211 des Strafgesetzbuches. Nicht aber bei den Soldaten und Offizieren. Ihre Taten unter Befehl zur Verteidigung des Vaterlandes stellt er straffrei. Es gehört zur Pflicht des Soldaten, den Feind im Kampf zu töten oder kampfunfähig zu machen. Es gibt keine Ausnahme von der Geltung des Gesetzes und vom Gehorsam der Untertanen unter das Gesetz. "Das Gesetz gilt, weil es Gesetz ist." (Gustav Radbruch 209) Handeln auf Befehl ermöglicht Töten, ohne moralisch zu Fehlen. Das steht im Widerspruch zur zivilgesellschaftlichen Moral- und Rechtsnorm Du sollst nicht töten. Von Kindheit an lernt der aufwachsende Mensch in der zivilisierten Gesellschaft, dass es eine Untat ist, anderen Menschen gegen ihren Willen wehzutun. Soll der Soldat diesen altruistischen Verhaltensimpuls folgen oder dem Befehl zum Töten? Es besteht die Gefahr, dass aus widersprechenden Handlungsanweisungen Dissonanzen entstehen, welche die Bereitschaft zur Gehorsamkeit herabsetzen. Gewissensarbeit ist hinderlich, denn die Paradoxie von Empathie und Befehl darf nicht bewusstwerden. Militärische Erziehung ist darauf angelegt, diesen Gegensatz durch Ausschaltung des sozialen Denkens zu verdrängen. Es schwindet das innere Verantwortungsgefühl. Das Feindbild, die Ideologie vom Opfer für das Vaterland und der Freiheit steuert das militärische Handeln. Die innere Einstellung des Postens auf dem Wachtturm des Konzentrationslagers ist schliesslich völlig gleichgültig, wenn er nur diszipliniert seinen Dienst tut. Zudem empfindet sich der Ausführende am Ende einer langen Befehlskette, wofür immer andere die Verantwortung tragen. Für eine Diktatur sind das passende moralische Verhaltensweisen. Warum dann das zivile Leben nicht ganz dem Prinzip Befehl unterordnen? Hierzu erteilt der NSDAP-Kreisgeschäftsführer Martin Schmidt am 14. Oktober 1935 vor der NS-Hago den Parteigenossen schon mal die Instruktion: "Immer müsse man denken im Krieg zu sein, und jeder solle an seiner Stelle im tagtäglichen Lebenskampfe, ganz gleich, welcher Berufsrichtung er angehöre, als Soldat handeln."
Wir müssen grausam sein. Die autoritäre Persönlichkeit besitzt eine Vorliebe für eine Regierung der starken Hand, die Zentralisation der Macht und bevorzugt die Härte. Hingegen lehnt sie die Sentimentalität und Gefühlsbestimmtheit ab. (Vgl. Bauer 1960, 187) Der Typus der nationalsozialistischen Moral gerinnt in Reinhard Heydrichs Satz: Es besteht die Pflicht zur Härte!. Damit einher geht die Schwächung des sozialen Blicks. Etwa so, wie es die Richter Hagen, Doktor Tolle und Hochheim am 3. Januar 1934 in der Sitzung der Großen Strafkammer des Landgerichts Naumburg praktizieren, wenn sie urteilen: "Irgendwelche Milde verdient der Angeklagte nicht ". Ein Leuna-Arbeiter versteckte ein paar kommunistische Zeitschriften unter einer Drehrolle im Hausflur seines Wohnhauses. Das verdient, urteilen Naumburger Richter im Januar 1934, drei Jahre Zuchthaus und die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf zehn Jahre. Für des Führers Gefolgschaft besteht nicht mehr die Verpflichtung, gut und gerecht zu sein. Das könnte in Konfliktsituationen nur stören, politisch und funktional. In Gespräche(n) mit Hitler (1940, 32), egal ob fiktiv oder real, perfektioniert Hermann Rauschning (1887-1982) die moralische Leitidee des Nationalsozialismus: "Wir müssen grausam sein. Wir müssen das gute Gewissen zur Grausamkeit wiedergewinnen. Nur so können wir unserem Volk die Weichmütigkeit und sentimentale Philiströsität austreiben, die `Gemütlichkeit` und Dämerschoppenseligkeit. Wir haben keine Zeit zu den schönen Gefühlen. Wir müssen unser Volk zu Größe zwingen, wenn es seine historische Aufgabe erfüllen soll."
Humanität ´als feindliche Versuchung´ In die abendländische
Geschichte ist nach Alfred Rosenberg "Mythos des 20. Jahrhunderts"
(1934) in verschiedener Form die Humanität ´als feindliche
Versuchung´ eingedrungen. Eine heisst Mitleid, die der nordische
Mensch überwinden muss. Er schwätzt nicht stundenlang wie
der griechische Held und schreit nicht bei Verwundung, denn
"sein Ehrbewußtsein
Alle machen mit, aber keiner hat Schuld nach oben Allgemein bringt die Konzentration und Zentralisation der Macht in sozialen Systemen die Bürokratisierung der Verwaltung von Staat und Bürger hervor. Ihr Handeln leiten die Funktionsträger der Macht aus formalen Regeln und abstrakten Normen her. Die Lebenswelt ernüchtert zu einem technischen und sachlichen Kalkül. Fritz Bauer (1965, 179) nennt es die Degradierung des Amtes zu einer bloßen Robotertätigkeit. Ausgeschaltet, das Gewissen. (a) Deshalb entspringt, argumentiert Hannah Arendt, Das Böse nicht der Selbstsucht und den Absichten des Einzelnen. Vielmehr machen funktionierende bürokratische Systeme moralische Wertentscheidungen überflüssig. Darin eingebunden treffen, oft im vorauseilenden Gehorsam Parteiarbeiter, Militärs und Beamte in grenzenloser Loyalität gegenüber dem Führer ihre Entscheidungen. (b) Der Rechtspositivismus souffliert der Justiz-Elite: Gesetz ist Gesetz, und schafft so den politischen Raum für falschen Gehorsam. (c) Das philosophisch approbierte Pflichtbewusstsein lehrt dem Bürger, dass Gute beruht nicht darauf, was wir bewirken oder nicht bewirken, sondern allein auf der Botmäßigkeit gegenüber der Pflicht. Es verteufelt damit die große Verweigerung als Disziplinlosigkeit, die zu bestrafen ist. So konnte das Unmögliche Wirklichkeit werden (Bauer 1965, 176, 179f.): Alle machen mit, aber keiner hat Schuld.
Preisgabe des Menschlichen nach oben Die Bereitschaft zur Opferung des Lebens für das Vaterland sollte unter allen Umständen sichergestellt werden. Zur Vorbereitung dieses Schritts, leistete das 1916 erschienene Buch Der Wanderer zwischen beiden Welten gute Dienste. Während der Weimarer Zeit war es eines der am meistgelesenen Bücher (Safransky 327). Die autobiographische Novelle von Walter Flex (1887-1917) entlehnt ihren Stoff dem Tagebuch des ehemaligen Wandervogel Ernst Wurche, der bei einem Patrouillengang am 23. August 1915 in der Nähe von Simnen (Litauen) fällt. Als Kultbuch der Kriegsgeneration, vermittelt der Wanderer zwischen Leben und Tod die bedingungslose Zurücknahme der Individualität und die Preisgabe des Ichs zugunsten des Staates, ein für das nationalsozialistische Herrschafts- und Erziehungssystem unverzichtbaren moralischen Imperativ. Paradigmatisch hierfür die Stelle: "Ich bin nicht mehr ich selbst / ich war. Ich bin ein Glied der heiligen Schar, / die sich dir opfert, Vaterland." - Für Männer wie Walter Flex und Ernst Wuche, pointiert 1980 Werner Helwig (126) die Haltung, bestand geradezu ein schicksalhafter Zwang zu fallen, um in ihrer Form der Wahrheit zu verbleiben. Und das war es, was man jetzt wollte und brauchte. Am 10. Januar 1938 erhält das Realreformgymnasium mit Oberrealschule am Bismarckplatz (Theaterplatz) 3 in einer Feierstunde den Namen Walter-Flex-Schule, Städtische Oberschule für Jungen. In seiner Ansprache erteilt Direktor Doktor Heinrich Lemcke den Schülern aus Der Wanderer zwischen beiden Welten die Instruktion:
Man sage nicht, das war nur die Rhetorik eines Schulmannes. Genau wie es ausgesprochen, so war es gewollt, so sollte es werden! Flex´s Worte über den Leutnantdienst, finden sich im Befehl des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe B vom 29. März 1945 an die Oberbefehlshaber, kommandierenden Generäle, Divisions- und Regimentskommandanten wieder. Sein Verfasser ist Generalfeldmarschall Walter Model, der 1909 am Domgymnasium Naumburg die Reifeprüfung ablegte.
Familie
Meckerer wird gebeten, Der Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung vom 23. Dezember 1935 teilt mit, dass der Schweinefleischverbrauch von 33,15 Kilogramm pro Kopf im Jahr 1928 auf 32,05 Kilogramm im Jahr 1935 sank. Im gleichen Zeitraum stieg der Butterverbrauch von 379 Kilogramm auf 405 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Trotzdem ringen der Handel und die Hausfrauen mit der Fettlücke. Verstimmung herrscht in der Bevölkerung darüber, dass kinderreiche Familien auch nur pro Einkauf ¼ Pfund Butter oder Margarine erhalten. "Es ist deshalb allgemein der Fall eingetreten", stellt der Regierungspräsident von Merseburg im Lagebericht für September / Oktober 1935 an den preußischen Minister des Inneren fest, "dass kinderreiche Familien oft seit Wochen ohne Fettbrotaufstrich sind." [Stapo 1933f, 510] "Die überspannte Verknappung" entsteht, erklärt NSDAP-Kreisgeschäftsführer Martin Schmidt am 14. Oktober 1935 den Teilnehmern der Versammlung der NS-Hago und Reichsbetriebsgemeinschaft Handel und Handwerk in Naumburg, "erst durch Einheimsen und falsches Vorsorgen". Ursache der Malaisé war jedoch, dass Deutschland nur etwa 2/3 der Fetterzeugung selber erwirtschaften konnte. 1933 mussten etwa 47 Prozent der pflanzlichen und tierischen Fette importiert werden. Im Jahr darauf rief der Landwirtschaftsminister die Erzeugerschlacht aus.
Meckerer und Nörgler, fürchten die örtlichen NSDAP-Funktionäre, könnten die Versorgungsschwierigkeiten ausnutzen, um eine ungünstige Stimmung in der Bevölkerung zu schüren. Die Partei ist wachsam und nutzt jede Möglichkeit zur Propaganda. NSDAP-Kreisgeschäftsführer Martin Schmidt agitiert am 8. Oktober 1935 im Gasthof zum Goldenen Hufeisen (Marienstraße) die Polizeibeamten auf dem turnusmäßig stattfindenden monatlichen Schulungsabend des Kameradschaftsbundes Deutscher Polizeibeamten. In einer zweistündigen Rede feiert er die Erfolge, wie sinkende Arbeitslosigkeit und stabile Preise. Tatsächlich überwacht Polizeihauptwachtmeister Thum von der Ortspolizeibehörde (OPB) bereits seit 1932 auf den Märkten und in den Geschäften die Einhaltung der Ordnung zur Preisgestaltung. Jetzt will es die Lage, trägt der NSDAP-Funktionär vor, gegen die Meckerer mit aller Konsequenz vorzugehen, das heisst im Sinne der Bewegung zur Organisation des Optimismus (Joseph Goebbels) verstärkt den "angewandten Nationalsozialismus" zu propagieren. Die erforderlichen wirtschaftspolitischen Informationen zur Gegenoffensive, können aus Zeitungen wie dem Naumburger Tageblatt entnommen werden, sagt der Referent.
Ihr habt kein Recht zur Kritik! Nachdem die Gemeindevertreter auf administrativem Wege durch die NSDAP eingesetzt und die Hauptsatzung der Stadt Naumburg implantiert war, äußert sich die demokratische Mitwirkung regelhaft und immer wiederkehrend in Sätzen wie: "Die Ratsherren hatten hiergegen nichts einzuwenden" oder "Die Ratsherren erheben keinen Einwand". Es könnte alles so schön sein, wenn die Meckerer und Kritiker nicht alles verderben würden. Unter der Losung
treten am Abend des 30. Mai 1934 SS, SA, Motor-SA, NSDAP, HJ, DJ und HAGO auf der Vogelwiese von Naumburg (Saale) zur Demonstration an. Von dort marschieren sie durch das Bürgergartenviertel zum Markt, wo Georg Gerhardt, NSDAP-Ortsgruppenleiter Naumburg Nordost, die Kundgebungsteilnehmer begrüsst. Dann übernimmt der NSDAP-Kreisleiter und Oberbürgermeister Friedrich Uebelhoer das Mikrofon. Er jongliert mit Kampfbegriffen, wie opferreiche Kampfzeit, sturmreiche Kampfjahre, Blutopfer oder heiliger Glauben an die Gemeinschaft und verlangt den Volksverderbern entgegenzutreten. Denn: "Wir haben keine Veranlassung irgendwie ängstlich zu werden, daß wir etwas ändern müssten. Das sollen sie sich ja nicht einbilden, denn wir wissen, wie erbärmlich sie sind, wir wissen, wie wenige sie sind, daß sie gar nicht aufbaufähig sind, daß sie die Ewiggestrigen sind, über die das Rad der Geschichte hinweggehen wird. Aber wir wollen sie in diesen Wochen und Monaten in das grelle Scheinwerferlicht setzen ." "Wir verbitten es uns, daß Nörgler und Besserwisser heute kommen und an Symptomen und Erscheinungen, die die Übergangszeit mit sich bringt, herumkritisieren, und es von Ort zu Ort zu flüstern versuchen, daß diese Aufgabe nicht gelöst worden ist." Uebelhoer warnt: "Ihr habt kein Recht zur Kritik!" Die übergroße Zahl gehorcht und passt sich an, wie es in den Autoritätssystemen Familie, Schule und Armee eingeübt. Und so schwer fällt es den Meisten nicht, bietet das System doch viele materielle und moralische Anreize.
Ideologie der Volksgemeinschaft Von früh an setzen die Nationalsozialisten auf die politische Idee der Volksgemeinschaft. Bekanntlich besitzen sie darauf kein Reichspatent. Beispielsweise formuliert die Deutschnationale Volkspartei aus Anlass der Wahlen am 24. November 1924: "Wir kämpfen für Schwarz-Weiß-Rot. Auch in diesem Kampf bleibt unsere Parole: Christlich-Völkisch-National-Sozial! Diese Volksgemeinschaft wollen wir, die auf christlichem Boden aufbaut, den Klassenkampf verwirft und die Arbeiter ohne Terror befreit." Die Volksgemeinschaft kaschiert die unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen der großen sozialen Klassen, Schichten und Gruppen. Sie dient der nationalsozialistischen Propaganda als Gegenentwurf zur Klassengesellschaft und damit zur Bekämpfung kommunistischer und sozialistischer Ideen. "Mit dem Kampf gegen den Kommunismus war verbunden", hebt Uwe Wesel in der Geschichte des Rechts (1997) hervor, "die Leugnung von Klassengegensätzen." Zur Schulung der Mitglieder der NS-Hago-Zellen 21 hört sich das am 4. Juni 1934 gegen 8 Uhr abends im Ratskeller aus dem Mund von Parteigenossen Fritz Zimmermann (Almrich) so an:
Der Direktor der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt Schulpforta Adolf Schieffer (4) hämmert es den Eleven zum Schulfest am 21. Mai 1936 in den Kopf:
Der in Naumburg beliebte Deutschnationale und Stahlhelmführer Theodor Duesterberg (Halle) erstrebt, wie er am 1. November 1931 in Eisleben auf der Führertagung des Stahlhelms für den Landesverband Mitteldeutschland seinen Kameraden kundtut, ein
Die nationalsozialistische Idee von Volksgemeinschaft dient nicht zuletzt zur Rechtfertigung der Unterdrückung des politischen Widerstandes. Den Gegnern des Systems und den Querköpfen wurde in Gerichtsprozessen angelastet, dass sie sich nicht in die Volksgemeinschaft einfügen wollen. Die Illusion von der Volksgemeinschaft erzeugt bei den Massen die Vorstellung, dass das Wohl der Gemeinschaft Vorrang vor den individuellen Interessen hat. Im Kern verfolgt die NSDAP andere Ziele. "Was wir Ausbilder des Führernachwuchses wollen," erläutert ein SS-Führer von der NS-Ordensburg Vogelsang im Spätherbst 1937 Eugen Kogon (1903-1987), "ist ein modernes Staatswesen nach dem Muster der hellenischen Stadtstaaten. Diesen aristokratischen gelenkten Demokratien mit ihrer breiten ökonomischen Helotenbasis sind die großen Kulturleistungen der Antike zu danken. Fünf bis zehn von Hundert der Bevölkerung, ihre beste Auslese, sollen herrschen, der Rest hat zu arbeiten und zu gehorchen." (Kogon 20)
Unrecht durch Gleichgültigkeit nach oben
Am 23. März 1935, gegen 11 Uhr, soll der Feldjäger Hermann Lindner von der Feldjäger-Bereitschaft Weißenfels III/4 Andreas Nöding (Polizeihaft) aus seiner Zelle im Gerichtsgefängnis am Roonplatz holen. Im Moment des Öffnens der Zelle bringt sich dieser mit dem Messer einen Schnitt am Hals bei. Um 11.20 Uhr legt ihm Krankenpfleger Hannapel im Krankenhaus Naumburg einen Notverband an. "Bei der Revision der Wunde stellte sich aber heraus, daß eine Nebenverletzung des Kehlkopfes oder seiner großen Halsschlagader nicht vorlag." Der Häftling befindet sich nicht in Lebensgefahr. (Vgl. Generalstaatsanwaltschaft 21.9.1935) Der Krankenhausdirektor, der Krankenpfleger und der Oberwärter Bartel haben den Eindruck, dass der Selbstmordversuch "lediglich gestellt" (Vgl. Krankenhaus 31.10.1935) war. Ursache des Suizidversuchs sind die Erlebnisse von Andreas Nöding bei den Verhören nach seiner Verhaftung. Er und Kurt Schoder berichten, dass sie geschlagen und misshandelt wurden. "Auch in der Sache Koch und Genossen behaupten mehrere Angeklagte, sie seien misshandelt worden oder hätten unter Androhung von Schlägen ihre Aussage gemacht." (Generalstaatsanwaltschaft 21.10.1935)
Andreas Nöding und Kurt Schoder geben ihre Klage vor dem Amtsgericht Halle zu Protokoll, wo dann eine Vorverhandlung stattfindet. Der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Jentsch (Naumburg) teilt zu Kurt Schoder dem Gericht mit, dass er nur einmal fünf kommunistische Zeitungen im Briefkasten gefunden habe und Parteibeiträge habe er niemals bezahlt. "Er habe sich überhaupt nach der Machtergreifung durch die NSDAP. vollständig vom Leben zurückgezogen, zumal er sich auch bereits vorher um die Belange der KPD. nur wenig aktiv gekümmert habe." (Generalstaatsanwaltschaft 21.9.1935) Die Misshandelten benennen, teilt der Oberstaatsanwalt des Kammergerichts Berlin dem Naumburger Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht mit, folgende Zeugen: Händler
Hembold [richtig: Ernst Hennebold],
Naumburg a. S., Herrenstraße 3 und Händler Wittenbächer, Naumburg a. S., Gartenstraße 28. "Diese Zeugen werden nach der Behauptung des Angeklagten bekunden, daß ihm von den Polizeibeamten der linke Ärmel seines Rockes fast abgerissen und daß er von der Polizei so geschlagen worden ist, daß sein Gesicht dick angeschwollen war. Die Zeugen haben den Angeklagten gesehen, als er durch die Feldjäger von der Polizeiwache nach dem so genannten Bauhof abgeführt worden war." (Generalstaatsanwaltschaft 21. 10. 1935)
In einer Gegenüberstellung mit den Polizeibeamten, die Schoder und Nöding misshandelt haben, hätten sie bessere Möglichkeiten gehabt, ihre Aussagen zu erhärten, wenn dies der untersuchungsführende Staatsanwalt nur gewollt hätte. Dies würde aber unterstellen, was im ganzen Verfahren nicht gegeben war, nämlich den vorurteilslosen Willen, den Sachverhalt aufzuklären. Hieran kommen ernste Zweifel auf, wenn beispielsweise die Staatspolizei Halle am 18. November 1935 auf einen Hinweis der Kläger antwortet: "Ein
kleiner, dicker Kriminalbeamter ist bei der Staatspolizeistelle überhaupt
nicht beschäftigt." Weiter heißt es: "Die Eingaben
der Zuchthäusler dürften zweifellos darauf zurückzuführen
sein, daß sie fürchten, ihre Straftaten, die längst noch
nicht alle ermittelt sind, könnten durch eine weitere Tätigkeit
der Staatspolizei eine restlose Aufklärung erfahren. Um nun die Staatspolizeibeamten
in ihrer Aktivität zu hemmen, ersinnen sie die haltlosesten, niedrigsten
und gemeinsten Beschuldigungen gegen die Polizeibeamten, die für
sie die sichtbaren Träger der Staatsautorität sind." (Staatspolizeistelle
18.11.1935) Dr. Becker, Oberstaatsanwalt beim Landgericht Halle,
beantragt am 19. November 1935 beim Generalstaatsanwalt des Kammergerichts
Berlin (Elzßholzstraße 32) an Hand der Vernehmungsprotokolle
zu Andreas Nöding und Tatzel vom 22. oder 23. März
1935 die Ermittlung der Namen der Beamten. Schon am 18. Januar 1936
schiebt er nach: "Ich
habe das Verfahren eingestellt. Die Namen der beteiligten Kriminalbeamten
haben sich auf Grund der Angaben der Gefangenen nicht feststellen lassen."
(Oberstaatsanwalt 18.1.1936). Als Begründung wird auf die unzureichenden
Zeugenaussagen verwiesen. Ein reguläres Verfahren soll verhindert
werden. Aber das ist überflüssig. Denn "Berlin" erlässt
eine Amnestie! Der Oberstaatsanwalt teilt am 27. Juli 1936 an den
Reichsminister der Justiz mit:
"Assessor
Mylius vom Geheimen Staatspolizeiamt Berlin" "ruft an und bittet
wegen Rücksendung der Akten nicht nochmals zu erinnern. Die Sache
würde in Berlin erledigt
Zweifellos käme die Amnestie
zur Anwendung, da Übereifer im Kampfe für die nationalsozialistische
Bewegung vorliege."
Wie sagt doch Händler Hennebold (1935): "Ich
habe sie [Frau Schoder] von meinem Stand weg gewiesen, da ich für
kriminelle Dinge kein Interesse hatte."
Diese Einstellung zu den politischen Delinquenten ist typisch für die öffentliche Moral der Stadt, aber keineswegs nur ein Produkt der nationalsozialistischen Propaganda. Auch ist sie nicht schlechthin Ausdruck des allgemeinen Rechtsbewusstseins, über das das Verdikt vom politischen Verbrecher obwaltet. Vielmehr tritt hier ein weiteres, überaus ernstes Problem hervor: der Wohlstandschauvinismus. Egal wie die anderen leben. Hauptsache, mir geht es gut. Die Anderen interessieren mich nicht. Indessen kann eine humanistische Gesellschaft nicht bestehen, die jederzeit bereit ist, einander wechselseitig zu verletzen und zu beleidigen. Grundlage aller Moral lehrt die Theorie der ethischen Gefühle (1751) muss das Mitgefühl sein, die Fähigkeit, im anderen immer den Menschen zu sehen. Das ist nicht so einfach getan wie gesagt, denn es mag der eigene Bruder auf der Folterbank liegen, erklärt Adam Smith, solange wir selbst uns Wohlbefinden, können uns die Sinne niemals sagen, was er erleidet. Es sei denn, wir tauschen mit ihm im Geist den Platz, was Phantasie und Vorstellungskraft erfordert. Eine Stadt ohne soziales und menschliches Mitgefühl betritt den Vorhof zur Unmenschlichkeit. Über die Verrohung der Gesellschaftsmoral konnte sich der Bürger mit Kraft durch Freude (KdF) oder dem Eintopfsonntag hinwegtäuschen.
Eintopfsonntag nach oben Im Herbst 1933 kleben die Nazis ihre Plakate zum Winterhilfs-Werk (WHW Naumburg, Lindenring 45) mit dem Aufdruck: "Wir helfen gegen die Hungersnot". Stadtrat Drogerist Kurt Daßler beziffert die Zahl der Hilfebedürftigen in der Stadt auf 10 000 Bürger. Viele Menschen befinden sich in Naumburg in großer sozialer Not, sagt der Kreisführer des WHW und Stadtrat im Herbst 1933. "Und das kommt daher, weil die Industrie fehlt." (Daßler) Allerdings stellte am 23. August 1932 die NSDAP im Stadtparlament fest, dass die Unterstützungssätze für Arbeitslose "menschenwürdig" seien . Geschickt nutzen die nationalsozialistischen Kommunalpolitiker die Aufklärung
über die erschütternden Bilder für sich aus. "Die Nazipropaganda setzte ein mit der Winterhilfe", beschreibt das aktive Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), Anna Possögel (Kleine Wenzelsstraße/Wenzelsgasse 9), die damalige Lage und berichtet weiter, "in meiner Wohnung sprach ich mit einer Kundin, für die ich schneiderte und sagte zu ihr: Die Winterhilfe für die Armen ist wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Unser Wohnungsnachbar hatte wieder einmal wie so oft in seinem angrenzenden Raum gehorcht und mich gleich darauf bei dem Nazistaat angeschwärzt. Eine Stunde später erschien bei mir ein Feuerwehrmann und verlangte von mir, daß ich sofort zum Verhör zum Stadtrat kommen sollte. Durch das Telefon sprach der Verräter schon wieder mit dem Stadtrat. Ich erklärte nun, dass es doch wohl stimme, daß man nicht gleich die Armen so versorgen könne wie es erforderlich wäre nach längerer Arbeitslosigkeit. Dann sagte ich, wie abscheulich ich das Denunziantentum finde und zitierte: Edel sei der Mensch hilfreich und gut. Der Stadtrat D. [wahrscheinlich Stadtrat Daßler] entließ mich den Worten: "Sehen Sie zu, dass Sie auf diese Angeber erzieherisch einwirken können!"" (Anna Possögel) Armut ist eine soziale Realität und für viele Naumburger eine große Bürde. Ohne Zweifel, es besteht dringend Handlungsbedarf. Im Herbst 1933 verteilt das WHW Naumburg an die Notleidenden Brot, Bohnen, Reis, Milch und außerdem warme Kleidung. Eine Schneiderstube wird eingerichtet und eine breite Spendenbewegung organisiert. Tausende Naumburger erhalten auf der Vogelwiese und am Ostbahnhof vom WHW Ende Oktober, Anfang November als Gabe zwei Zentner Kartoffeln und sechs Zentner Kohle. Organisator ist der Kreisführer des WHW für Naumburg Stadt und Land, Stadtrat Daßler. Beim Verladen helfen Erwerbslose, SA und die Hitlerjugend. Im Winter 1934/35 müssen noch 8 000 Naumburger unterstützt werden. Das verdeutlicht den Ernst der Lage. "Hilfsbedürftig sind diejenigen, die den nötigen Lebensbedarf für sich und ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen können und ihn auch nicht von anderer Seite, insbesondere von Verwandten, erhalten." (Wir helfen) Das WHW reicht im Februar 1935 insgesamt 2 500 Zentner Kartoffeln an Bedürftige aus. Außerdem erhalten sie entsprechend der Haushaltsgröße gegen Marken Rindfleisch, Marmelade oder Wurst. Anfang 1935 organisiert das Kreisamt des NSV die Ferienerholung von 28 Saarkindern in Naumburger Familien. Im Rahmen der Kinderlandverschickung (Bild) nimmt 1936 der Gau Halle-Merseburg 5 136 Kinder aus anderen Teilen Deutschlands auf. Aus dem Gau werden 1443 Kinder in andere Erholungsgebiete verschickt.
Victor Artes, ehrenamtlicher Stadtrat (1933) und stellvertretender Gauamtsleiter sowie Gaugeschäftsführer des NSV (1933), legt den Beamten unumwunden ihre Pflicht zur Spende dar. Ab 20 Prozent Spende in Höhe der Lohnsteuer erhalten sie eine Plakette mit der Aufschrift "Wir helfen gegen die Hungersnot!". Selbstständige Unternehmer erhalten diese, wenn 10 Prozent von der Einkommenssteuer abgeführt werden. Vom Standpunkt der Beamten und Angestellten im öffentlichen Bereich stellt die Spende an die NSV und andere Verbände der NSDAP - eine Einkommenseinbuße dar. Um die Bereitschaft für Spenden zu erhalten wird mit Druck gearbeitet. Dazu definieren besonders die örtlichen Funktionäre die Spende als Ausdruck der Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus. Dabei geht die Führung der Organisation mit den finanziellen Mitteln nicht immer sorgsam um. "Die NS-Volkswohlfahrt [Gau Halle-Merseburg] arbeitet mit zu großen Verwaltungskosten," heißt es im Lagebericht des Regierungspräsidenten von Merseburg im Juli 1934. "Dabei scheint die sicher übertriebene Anschaffung von Kraftwagen sowie festgestellte schlampige Wirtschaft und Untreue des Personals einzelner Kreisgeschäftsstellen, die mehrmals, zuletzt in Merseburg, nach anfänglicher Vertuschung zum Einschreiten der Staatsanwaltschaft geführt haben, eine bedeutende Rolle zu spielen." (Stapo 1933b 107) NSV und WHW übernehmen eine wichtige politische und soziale Funktion im System der kommunalen Diktatur. Im Mai 1933 erkennt Adolf Hitler in einem Führererlass die NSV als Organisation an. Im Januar 1934 wird das Hauptamt für Volkswohlfahrt bei der Reichsleitung der NSDAP gegründet und hier eingegliedert. Andere Verbände werden in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Deutschlands (AGdfW) gleichgeschaltet. Die in freien Verbänden organisierten Pflegerinnen werden am 3. Oktober 1936 unter Führung von Hilgenfeldt im Reichsbund der freien Schwestern und Pflegerinnen (RBdfS) zusammengefasst. Der Leiter der NS-Volkswohlfahrt lenkt auch den Fachausschuss für das Schwesternwesen in der AGdfW und koordiniert damit die NS-Schwesternschaft, den RBdfS, die Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) sowie die evangelischen und katholischen Schwesternschaften. In Naumburg existieren (1935) zwei Dienststellen des NSV. Nach dem Umbau des Braugebäudes Haus Lindenring 45 etabliert sich hier im Oktober 1935 die Kreisamtsleitung des NSV mit dem WHW. Leiter des Kreisamtes ist seit 1940 Pg. Gerhard Söllinger (Mägdestieg 9). Vorher regierte hier Victor Artes. Die zweite Dienststelle des NSV arbeitet seit Herbst 1933 im Haus Markt 12. Die Gauamtsleitung steht unter Führung von Friedrich Uebelhoer mit zunächst drei Mitarbeitern. Später richten sie ihr Büro im "Kaiserhof" (am Bahnhof) ein. 1938 erfolgt der Umzug in das Haus Bahnhofstraße 44. Im NSV Gaus Halle-Merseburg sind um Jahresmitte 1938 223 632 Mitglieder organisiert. Diese gliedern sich in 17 Kreisamtsleitungen, 683 Ortsgruppen, 2 247 Zellen und 10 440 Blocks. Von den 21 376 ständigen Mitarbeitern sind etwa 47 hauptamtlich tätig. Im Mittelpunkt der Arbeit des Gauamtes für Volkswohlfahrt Halle-Merseburg steht die Familie als Keimzelle des völkischen Lebens. Die Abteilung Volksgesundheit leitet Doktor Oskar Gundermann. Sie hatte folgende Aufgaben: Heilverschickung, Gesundheitsführung, Tuberkulosebekämpfung (Hilfswerk). Die Finanzverwaltung führt Parteigenosse Brenner. Er übernimmt die Haushalts- und Etatplanung, Revision und Finanzrechtssachen. Die Abteilung Organisation muss vor allem das Winterhilfswerk abwickeln. Sie untersteht dem Parteigenossen Gauhauptstellenleiter Karl Willemer (Adolf-Hitler-Straße 25 I). Eine andere Abteilung befasst sich mit der Werbung und Schulung (Langermann und Tiebel). Das Ernährungshilfswerk leitet Parteigenosse Victor Artes. Parteigenosse Lehmann leitet die Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe mit den Abteilungen Wohlfahrtspflege, Familienhilfe, Bittgesuche, Kindertagesstätten, Jugendhilfe, Jugenderholung, Rechts- und Schwesternwesen. Im NSV begegnen sich viele "alte Kämpfer" (zum Beispiel Karl Willemer) wieder und erhalten einen Posten. Über die entstprechenden Wahrnehmungen der Bürger schreibt Regierungspräsident von Merseburg im Lagebericht vom Juli 1934: "Das Ansehen des NSV leidet auch unter häufigen Klagen aus der Bevölkerung über Vetternwirtschaft bei der Verteilung der Spenden und aufwendiges Auftreten mancher Amtswalter der NSV, vor allem durch Benutzung des Dienstkraftwagens zu privaten Zwecken. Die Opfer und Spendenbereitschaft hat unter diesen Erscheinungen stark gelitten." (Stapo 1933b, 107)
An Stelle des von Hitler zum Regierungspräsidenten ernannten Gauamtsleiters Parteigenossen Friedrich Uebelhoer beruft NSDAP-Gauleiter Eggeling mit Wirkung vom 18. April 1940 Parteigenossen Emil Lamminger (Bild unten) zum kommissarischen Leiter des Gauamtes Halle-Merseburg für Volkswohlfahrt (Bahnhofstraße 44). Die Amtseinführung des Neuen erfolgt im NS-Frontbrief vom Gau Halle- Merseburg vom Juni 1940 mit dem Entree
Einen Einblick in das Aufgabenspektrum und die Arbeitsweise des NSV-Gauamtes geben die regelmäßigen Arbeitstagungen. Eine findet am 10. April 1940 in der Gauamtsschule von Bad Kösen statt. Es ist die erste Arbeitstagung der Kreisamtsleiter mit dem neuen kommissarischen Leiter des Gauamtes, Parteigenossen Lamminger.
Sie befasst sich mit der Arbeit des NSV und des Kriegshilfswerkes des Deutschen Roten Kreuzes. Großen Raum nehmen Fragen des Ernährungshilfswerks ein. Bei der Sicherung der Volksernährung sieht man große Schwierigkeiten. Deshalb stellt man sich das Ziel, die Zahl der Schweine in den Mästereien im Gau zu verdoppeln. Im Vorjahr wurden im Gebiet des Kreisamtes Naumburg 750 000 Kilogramm Küchenabfälle gesammelt. 351 ausgemästete Schweine mit einem Gesamtgewicht von 56 705 Kilogramm konnten dem Schlachthof zugeführt werden. Auf dem Gebiet des Hilfswerks Mutter und Kind mussten im Zusammenhang mit dem Krieg, auf Grund von Verwundung und Tod der Väter, neue Aufgaben abgesteckt werden. Zur Erschließung von Arbeitsressourcen richtet man weitere Dauer-, Ernte- und Hilfskindergärten ein. Der Kreis Naumburg verfügt 1940 über drei Dauer- und sechs Erntekindergärten. Lindenring 45 (2006)
Um die Mütter von der Kinderversorgung während der beruflichen Arbeit zu entlasten und in kriegswichtige Arbeiten einzugliedern zu können, eröffnet der NSV an der Jacobsmauer im November 1940 einen weiteren Hilfskindergarten für 40 Kindergarten- und 40 Hortkinder sowie sechs Säuglinge. Das WHW Naumburg (Lindenring 45) unter Leitung von Stadtrat Daßler konzentrierte seine Aktivitäten auf drei Aufgaben: (1.) Ermittlung der Bedürftigkeit (Aufstellen von Listen), (2.) Organisation von Spenden und (3.) deren Verteilung nach Bedürftigkeit. Im Haus Lindenring 45 (Skizze links) werden in entsprechenden Ausgaberäumen die Zuweisungsscheine ausgegeben. Außerdem gibt es eine Nähstube, wo die Frauen die gespendeten Kleider sorgfältig reparieren, bevor sie zur Kleiderausgabe gelangen. In dem hinteren Gebäudeteil befindet sich ein geräumiger Kartoffelkeller. Er kann die Spenden aufnehmen. Hier befinden sich auch die Büroräume mit der großen Kartei, in der alle Unterstützungsempfänger erfasst sind. Großer Beliebtheit erfreuen sich die durch das WHW ab dem ersten Sonntag im November 1933 organisierten Eintopfsonntage (laut Erlass vom 13. September 1933). Die Teilnehmer erhalten zum Preis von 50 Pfennig in Suppenküchen und ausgewählten Gaststätten einen Eintopf. Die Ersparnis zum normalen Sonntagsessen soll dem Winterhilfswerk gespendet werden.
Und wieder vereinte sich das deutsche Volk zur großen Tischkameradschaft. An vier Ausgabestellen an der "Erholung" (Luisenstraße), Napola, "Hufeisen" (Marienstraße) und "Dunkelbergs Garten" (Spechsart) können sich die Naumburger am 13. November 1938 an den beliebten Erbsen mit Speck aus dem Aluminium-Kochgschirr oder der Vitrine laben. Der Naumburger Ruderverein Neptun mit ihrem ersten Vereinsführer Karl Roloff legte das Anrudern schon mal auf den Eintopfsonntag. So 1937. Als sie in ihrem Clublokal Halleschen Anger alle 102 Portionen Reis mit Blumenkohl und Fleisch ausgereicht, blieben nach Abzug der Unkosten 18.30 Reichsmark übrig, die sie an das Winterhilfswerk überwiesen. Der Eintopfsonntag wird zu einer festen Institution und findet in Naumburg bis April 1939 statt. Aber das Winterhilfswerk (WHW), worauf der Oberpräsident der Provinz Sachsen am 27. Februar 1937 in einem Rundschreiben hinweist, betreut keine Juden mehr. Bei ihnen darf auch nicht gesammelt werden.
. sie kommen heim ins Reich (1938) nach oben Im Schein der Fackeln eröffnet NSDAP-Ortsgruppenführer Gerhard am 28. September auf dem Markt die
Dann spricht Friedrich Uebelhoer: Edvard Bene hat mit Grausamkeit und Frivolität ohnegleichen danach gestrebt, 3 ½ Millionen Deutsche "kirre zu machen". Heute kann er, droht der NSDAP-Kreisleiter und Oberbürgermeister, das Spiel nicht mehr treiben, denn " . sie kommen heim ins Reich". Zusammen mit Konrad Henlein hat er diese "geschichtliche Stunde" vorbereitet. In Anschluss an die Olympischen Spielen 1936 in Berlin, trafen sie sich "von Mann zu Mann" auf der Neuenburg bei Freyburg zu einer Unterredung. Am 10. Oktober 1938 folgte auf dem Markt eine weitere Kundgebung. Erneut nutzt der NSDAP-Kreisleiter die Gunst der Stunde, um die Leistung von Adolf Hitler und seiner Partei zu popularisieren: "Am heutigen Tag ist das im Münchner Abkommen festgelegte sudetendeutsche Gebiet von der Wehrmacht besetzt und damit der Not und Drangsal unserer Brüder und Schwestern im Sudentenland ein Ende gemacht worden." Der Führer hat seinen Entschluss wahrgemacht und 10 Millionen Österreicher und Sudentendeutsche ins Reich heimgeführt. Zur Erinnerung an diesen Tag werden in Naumburg mehrere Strassen umbenannt. Die Siedlung am Birkenwäldchen trägt künftig den Namen des Führers. Der "Flemminger Weg" heisst jetzt "Adolf-Hitler-Strasse". Am Tag darauf spielt in der "Reichskrone" unter Leitung von Franz Adam das "Orchester der Bewegung". Die Winterspielzeit der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" 1938/39 ist eröffnet.
Straßenumbenennungen nach oben Im Kampf um die symbolische Präsentation der Macht des NS-Systems sieht die Stadtverwaltung eine ständige Tagesaufgabe. Aus Anlass der Besetzung des im Münchner Abkommen (28. September 1938) festgelegten sudetendeutschen Gebiets durch die Deutsche Wehrmacht im Oktober 1938 erfolgt die Umbenennung vieler Straßen. Die Nationalsozialisten messen dem eine tiefe Bedeutung bei. Auf dem Denkmalplatz am Birkenwäldchen findet eine Kundgebung statt. Der Oberbürgermeister erklärt: "Ihr wißt, daß bisher nicht eine Straße der Innenstadt in Adolf-Hitler-Straße umbenannt wurde. Wir wollen damit vermeiden, daß in dieser Straße vielleicht ein Jude wohnte, der dann die Briefe in die Adolf-Hitler-Straße erhielt. Wir hatten vielmehr den Entschluß gefasst, daß eine Straße entstehen soll, die Zeugnis ablegt vom Wirken Adolf Hitlers. Und heute Abend wollen wir dieser Straße den Namen geben: Der Flemminger Weg wird von heute Abend an Adolf-Hitler-Straße heißen."
Wahlen nach oben Zwischen November 1933 bis 1938 erlebt Naumburg vier Wahlsonntage. Ausser der NSDAP sind alle anderen Parteien verboten. Der Führerstaat hat den Parteienstaat abgelöst, tönt die Propaganda. Politisch Andersdenkende sind Repressionen und der Verfolgung ausgesetzt. Elementare politische Voraussetzungen für freie Wahlen sind nicht gegeben. Weshalb braucht das Hitlerregime überhaupt Wahlen?
antwortete der Gauführer des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen Professor Erwin Noack (Halle 1934). "Das ist wirkliche Demokratie, echtes deutsches Brauchtum. " (Noack). Wahlen sollen der Diktatur einen demokratischen Schein verleihen und Elemente charismatischer Herrschaft, wie die "Hingabe an Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit" (Max Weber), reproduzieren. Gelegentlich beurteilt die nationale Literatur die Fairness und besonders den Charakter der Wahlen zur Hitlerzeit positiver als dies aus Naumburger Sicht erfolgen kann. Unter anderem ist die Rede vom Fehlen einer systematischen Wahlbeeinflussung. Wie man es jedoch wendet, von der Verhaftungswelle nach dem Reichstagsbrand im Frühjahr 1933 geht eine gewollte Bedrohung für diejenigen Bürger aus, die dem Hitlerregime kritisch gegenüberstehen. Ob man diese Wirkung als indirekt oder direkt, verdeckt oder offen bezeichnet, ist nicht entscheidend. Zudem gab es vielfältige subtile Formen der Beeinflussung des Wahlverhaltens zugunsten des Regimes, wie etwa der obligatorische Schlepperdienst der SA (Sturmabteilung) zur Urne. Für den Einwurf der Wahlzettel am 12. November 1933 erhielt der Bürger ein Abzeichen, dass ihm die Unterstützung der Politik von Adolf Hitler attestierte.
Volksabstimmung und
Wahlen Im Oktober 1933 tritt die Hitler-Regierung aus dem Völkerbund aus. 95 Prozent (= 40 588 804 Stimmen) der Wähler bestätigen in einer Volksabstimmung am 12. November 1933 diese Entscheidung mit "ja".
Am gleichen Tag wählen die Bürger 660 Abgeordneten in den Reichstag. Bei der Auswertung treten interessante Anomalien zu Tage. SPD und KPD retteten am 5. März 1933 in Naumburg zur letzten Reichstagswahl 4 858 Stimmen (24 Prozent) vor Hitler. Hingegen lehnten am 12. November desselben Jahres seinen Austritt aus dem Völkerbund lediglich 916 Bürger ab. Das ergibt die aufschlussreiche Differenz von 3 942 Stimmen, was reichlich Stoff für eine weiterführende Diskussion über das Abstimmungsverhalten spezieller Wählergruppen und die politische Entwicklung in der Stadt nach 1933 bietet.
Volksabstimmung am 19. August 1934 Nach dem Tod von Hindenburg am 2. August 1934 soll das Amt des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzler zusammengelegt werden. Die Details regelt das Gesetz über das Staatsoberhaupt vom 1. August 1934. Am 19. August 1934 findet dazu eine Volksabstimmung statt. "Dem Besten der alten Generation konnte nur der Beste des neuen Deutschlands folgen", unterrichtet Professor Erwin Noack (Halle) die Naumburger einen Tag vor der Wahl. An der Volksabstimmung beteiligen sich in Naumburg 97,4 Prozent der wahlberechtigten Bürger.
Reichstagswahlen 1936 Zusammen mit den Reichstagswahlen findet am 29. März 1936 eine Volksabstimmung über die Ermächtigung zur Rheinlandbesetzung statt. Dem ging die Stationierung von Truppenteilen der Wehrmacht am 7. März 1936 im Rheinland voraus (Remilitarisierung).
Rund 99 Prozent der Wahlbeteiligten stimmen für die Liste der NSDAP. Jüdische Bürger dürfen nicht mehr an der Wahl teilnehmen. Angesichts des großen Sieges ordnet der Reichspropagandaleiter der NSDAP für den 30. März die Beflaggung der öffentlichen Gebäude an. Die Vorbereitung der Wahlen erfolgte mit viel propagandistischen Getöse. Am 15. März findet eine Wahlkundgebung mit Gauleiter Rudolf Jordan statt.
Kurz vor 8 Uhr abends sperrt die SS am 17. März 1936 den Platz vor der Reichskrone ab . Fackelträger, Ehrengefolgschaft und ein Ehrenzug der NAPOLA nehmen Aufstellung. ½ 9 Uhr schreitet der Reichsjugendführer die Front der Ehrenabordnungen ab. Vorher zogen Agitprop-Trupps der HJ aus Anlass der bevorstehenden Reichstagswahl am 29. März mit Sprechchören durch die Straßen und skandierten: Wahlrecht ist Wahlpflicht.
Reichskrone
(um 1935), Bismarckplatz,
Die Umgebung der Reichskrone erlebt eine ausgetüftelte politische Inszenierung des Nazikults. Auf der Tribüne hebt Baldur von Schirach (1907-1974) zu seiner Rede an. Der aus gutbürgerlichen Kreisen in Weimar stammende Reichsjugendführer predigt "die Überwindung der Klassengegensätze" mittels der Volksgemeinschaft.
Volksabstimmung 1938 Die Stadt sucht nach Unterbringungsmöglichkeiten der Wohlfahrts-, sprich Dauererwerbslosen, sie schafft Volkswohnungen. Es werden die Kasernenbauten für das III. /A.R.14. errichtet. Das Jugendheim wird erneuert. Die Säuglingssterblichkeit sinkt. Eine zweijährige Handelsschule lässt sich am Ort nieder. Die Berufsschulpflicht wird erweitert. Am Hauptbahnhof arbeiten die Handwerker, um die Voraussetzungen für den Fremdenverkehr zu verbessern. Italienische Landarbeiter helfen im Sommer bei der Ernte. Die Stromtarife sollen reformiert. Der Anschluß an das Ferngasnetz ist vorzubereiten. Eingemeindungsfragen beschäftigen die Verwaltung. Im September `38 schafft die Stadt den ersten Sprengwagen an. Zwischen Neuflemmingen - Friedhof verkehrt die erste Omnibuslinie. Vor dem Dom beginnt die Umgestaltung des Domplatzes. Auf dem Salzberg (Kaiser-Wilhelm-Platz / Kramerplatz) versetzt man das Kriegerdenkmal an seinen heutigen Standort. Gemäss NSDAP-Direktive wandelt sich das Kirschfest zum Bänderfest. Am 10. April 1938 sollen alle vor dem 19. August 1914 geborenen Volksgenossen die Frage beantworten:
Mit der Volksabstimmung erfolgt zugleich die Neuwahl des Reichstages. Am 24. März kommt man im Ratskellersaal zur Wahlkundgebung zusammen. Bald nach der Begrüßung durch Kreispropagandaleiter Walter Schieke, spricht NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer seine Erwartungen aus:
In festlich hergerichteten Wahllokalen geben die Volksgenossen ihre Stimme ab. Grüne Girlanden und Kränze schmücken die Stadt. Sie droht in einem Meer von Fahnen zu versinken. Alles Bisherige wird übertroffen. Es jubeln die Offiziellen: Ein einzigartiges Bekenntnis aus Liebe zum Führer. Mit großer Spannung erwartet man das Ergebnis, dramatisiert künstlich die örtliche Presse.
Das Naumburger Abstimmungsergebnis liegt über dem Reichs- und Gaudurchschnitt. Die während der Herrschaft des Nationalsozialismus abgehaltenen politischen Wahlen verdienen diese Bezeichnung im eigentlichen Sinne der Bedeutung des Wortes nicht. Ihre hierzu erlassenen Gesetze und Verordnungen ließen alternative Vorschläge nicht zu und enthielten diskriminierende Einschränkungen; zum Beispiel für jüdische Mitbürger, aber nicht nur für sie. Eine Aufstellung alternativer Kandidaten war nicht zugelassen. Die Wahlen waren ein "cäsaristisches Instrument plebiszitärer Betätigung nicht vom Volk gestellter Fragen" (von Armin 180). Die Abstimmungen fanden unter repressiven Verhältnissen statt, öffentlichen wie nicht öffentlichen, zum Teil massiver, zum Teil sehr subtiler Art. Oftmals erfolgte die Einstellung in weiten Bereichen nach politischer, sprich nationaler Zuverlässigkeit, was das abstimmen für Hitler einschloss. Abweichende politische Meinungen im öffentlichen Raum wurden unterdrückt. Über nationale und internationale politische Ereignisse und deren Hintergründe informierten Presse und Rundfunk den Bürger völlig unzureichend. Die Losung hiess: Wir stehen zu Deutschland und dem Führer! Von der NSDAP abweichende Meinungen und politischen Konzepte kamen nicht zur Sprache. Wenn über sie informiert wurde, dann lediglich in entstellter und höchst unvollständiger Weise. Es mutet fatalistisch
an, aber demokratisch-freiheitliche Wahlen hätten am Mehrheitsvotum
für die nationalsozialistische Politik wahrscheinlich nichts geändert.
Daraus folgt jedoch nicht, dass der Kampf um freie Wahlen, Demokratie
und Opposition ohne Folgen für die weitere Stadt- und nationale
Geschichte geblieben wäre. Oft verbirgt sich dahinter eine in der
deutschen Politikkultur weit verbreitete Unterschätzung des produktiven
Beitrags von organisierten, aber demokratisch gesinnten Minderheiten.
Naumburg auf dem Weg zur "Kongressstadt" nach oben Den für Naumburg notwendigen wirtschaftlichen Strukturwandel zugunsten der Erhöhung wertschaffender Arbeitsplätze nimmt der Oberbürgermeister nicht in Angriff. Seine Politik konzentriert sich auf:
Über diese Einseitigkeit und Fortschreibung tradierter Disproportionen in der kommunalen Wirtschaft ist sich der Oberbürgermeister völlig im Klaren. In seinem kommunalpolitischen Testament vom 28. Oktober 1939 dichtet er sie mit folgenden Worten zur Tugend um:
Naumburg soll sich also auf dem Weg zur Kongressstadt machen, obwohl die Wohnraumversorgung Ende der 30er Jahre unter den Bedingungen der Bevölkerungszunahme noch längst kein zufriedenstellendes Niveau erreicht hat. Familie Jäger wohnt noch immer im Notquartier unter dem Spechsart .... In der Region konzentriert sich die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik auf die Rüstungsindustrie: Flugzeugbenzin und Wasserstoff (für Buna) in Leuna, Kohlehydrierung in Tröglitz (Zeitz) und Böhlen (BRABAG - Braunkohle-Benzin AG), Flugzeugproduktion bei Siebel (Halle - vorher Klemm-Flugzeugwerke) und Herstellung von synthetischen Kautschuk in Buna (Korbetha, Schkopau). Einige Monate nach der Machtübernahme erklärt der Kreisamtsschulungsleiter Alfred Goldschmidt den Mitgliedern der NS-Hago Zellen im Hotel Zur Post (Lindenring 34):
Es ist eher ein Zeugnis vom infantilen Umgang mit dem Bürger, als es wirklich Aufschluss über die kommunale Wirtschaftspolitik gibt. Die Fortschritte bei der Senkung der Arbeitslosigkeit, Arbeitsförderung, Armutsbekämpfung durch das Winterhilfswerk (WHW) und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), dem Ausbau der öffentlichen Wasserversorgung oder Wohnungsbau, Wege- und Strassenbau sind bedeutend und greifbar. Unbenommen dessen sind die kommunalpolitischen Entscheidungen zur Stadtentwicklung von 1933 bis 1945 durch soziale, moralische und ästhetische Werte der nationalsozialistischen Ideologie geprägt: Militarisierung, Herrenmenschentum, Rassenerziehung, Berufsverbote, Rache an der sozialistischen Arbeiterbewegung, Judenverfolgung, Weg mit den Kommunisten und völkische Bevölkerungspolitik mit sozialdarwinistischen Einschlag.
Gustav Thate (*27.01.1901) widersprach am 31. Januar 1933 auf dem Marktplatz von Naumburg energisch Adolf Hitler und seiner Regierung. Er wurde verhaftet, durch ein Gericht verurteilt und eingesperrt. Nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager Buchenwald im Jahr 1939 arbeitet er als Motorenschlosser in der Opel Zentrale Naumburg. Am 4. Februar 1943 zieht ihn die Wehrmacht zur Frontbewährung ein. Nach vier Monaten russischer Gefangenschaft, kehrt er 1945 zu seiner Familie in die Stadt Naumburg, Lindenring 11, zurück. nach oben
Weiter: Naumburg im Krieg, Die Wehrmacht in Naumburg
Im Text gebrauchte
Abkürzungen:
Abschied vom SS-Mann Güthling. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 5. Mai 1933 [ADGB] Der ADGB zur politischen Situation. Stellungnahme des Bundesausschusses. "Leipziger Volkszeitung. Die Tageszeitung für die Interessen des werktätigen Volkes." Leipzig, den 1. Februar 1933 Alle Kommunistenschriften verboten. "Naumburger Tagblatt", Naumburg, den 17. März 1933 Amtsgericht Halle an der Saale am 14. Oktober 1935. Strafsache gegen Andreas Nöding wegen Mißhandlung. In: Blattsammlung der Staatsanwaltschaft beim Landgerichte in Halle an der Saale, Vorverfahren in der Strafsache wider A. Nöding wegen Mißhandlung. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Staatsanwaltschaft Halle, Rep. C 141 Arbeiterschaft in höchster Bereitschaft! "Volksbote. Sozialdemokratisches Organ für die Kreise Zeitz, Weißenfels, Naumburg". Zeitz, den 6. Februar 1932 Erklärung der Generalversammlung des SPD-Unterbezirkes Zeitz-Weißenfels-Naumburg am 5. Februar 1933 in Zeitz. 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Allgemeine Deutscher Gewerkschaftsbund (mit Theodor Leipart, Peter Grassmann, Wilhelm Leuschner, Franz Spliedt), Hauptvorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften (mit Friedrich Baltrusch, Franz Behrens, Jakob Kaiser, Bernhard Otte, Adam Steigerwald) und Hauptvorstand des Verbandes der Deutschen Gewerkvereine (mit Ernst Lemmer) Führertagung des Landesverbandes Mitteldeutschland des Stahlhelms (B.d.F.) am 1. November 1931 in Eisleben. Herausgegeben vom Landesverband Mitteldeutschland des Stahlhelms, Halle a.S., Magdeburger Straße 66 [1931] Generalstaatsanwaltschaft bei dem Kammergericht, Berlin, Elzßholzstraße 32, 21. September 1935, gezeichnet von Oberstaatsanwalt Weyermann. An den Herrn Oberstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht in Naumburg. In: Blattsammlung der Staatsanwaltschaft beim Landgerichte in Halle an der Saale, Vorverfahren in der Strafsache wider A. Nöding wegen Mißhandlung. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Staatsanwaltschaft Halle Rep. 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November 1937, 25. Januar 1938, 4. November 1938, 27. Februar 1939, 11. August 1939, 19. September 1940. Stadtarchiv Naumburg Gollwitzer, Helmut: Aus der Bekennenden Kirche. Richard Löwenthal, Patrik von zur Mühlen: Widerstand und Verweigerung in Deutschland 1933 bis 1945. Verlag J.W.H. Dietz Nachf., Bonn 1984, Seite 129 bis 142 Großer Regierungssieg bei den Kommunalwahlen. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 13. März 1933 [Güthling, Siegfried] Todesanzeige zum Tod des SS-Manns Siegfried Güthling, Naumburg, Medler Strasse 21. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 2. Mai 1933 [Gutgesell, Kurt] Urteil gegen Kurt Gutgesell. Sitzung der Großen Strafkammer des Landgerichts in Naumburg a. S. vom 3. Januar 1934. 1 K.L. 57/33 (451). Unterzeichnet von Landgerichtsrat Hagen (Vorsitzender), Landgerichtsrat Dr. Tolle und beisitzenden Richter Hochheim. Amtlich bestätigte Abschrift, unveröffentlicht [Gutgesell, Kurt] Staatsanwaltschaft beim Landgerichte in Naumburg an der Saale. Strafprozessakten Gutgesell. Bundesarchiv Berlin. Akten des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung. Zentrales Parteiarchiv. Signatur: DY 55/V 287/482 Handel und Handwerk im politischen Soldatentum des Führers. Versammlung der NS-Hago und Reichsbetriebsgemeinschaft Handel und Handwerk in Naumburg. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 15. Oktober 1935 Haus- und Grundbesitzerverein. Quellen hierzu in revolution.htm. [Haus- und Grundbesitzerverein] Zur Mitarbeit bereit aber . "Der Abend. Spätausgabe des "Vorwärts"". Berlin, den 15. August 1931 Hausbesitzer-Forderungen für 1932. [Ein Sondebericht der Vossischen Zeitung von der Zentralverband-Tagung in Danzig] "Vossischen Zeitung. Berlinische Zeittung von Staats- und gelehrten Sachen. Abendausgabe". Berlin, den 11. August 1932 Heine, Heinrich: Zur Geschichte der Religion und Philosophie Deutschlands. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1970, Seite 74 Heiermann, Volker: Begleitmaterial zum Referat Adolph Hoffmann - der Politiker. Der 10-Gebote-Hoffmann. Fredersdorf-Vogelsdorf, Fassung Juni 2009 Helwig, Werner: Die Blaue Blume des Wandervogels. Vom Aufstieg, Glanz und Sinn einer Jugendbewegung. Erweiterte Neuausgabe. Herausgegeben mit einem Nachwort versehen von Walter Sauer. Südmarkverlag Fritsch KG, Heidenheim an der Brenz 1980 [Hennebold] Vernehmung des Händlers Ernst Hennebold, Naumburg, Herrenstraße 3. Der Leiter der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Merseburg, Naumburg, den 30.10.1935. In: Blattsammlung der Staatsanwaltschaft beim Landgerichte in Halle an der Saale, Vorverfahren in der Strafsache wider A. Nöding wegen Misshandlung. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Staatsanwaltschaft Halle Rep. C 141 Herlemann, Beatrix: Die Republikschutzorganisation "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", 1924 gegründet in Magdeburg. In: Beiträge zur Geschichte der Sozialdemokratie in Sachsen-Anhalt. 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April 1936 Wallbaum, Eugen: Analyse der Stadt Naumburg. Naumburg, ohne Jahresangabe, unveröffentlicht, um 1950 [Walter Flex-Schule] 75 Jahre Walter Flex-Schule. Städtische Oberschule für Jungen in Naumburg an der Saale. 1863 bis 1938. Verfasser der Festschrift: Oberstudiendirektor Doktor Heinrich Lemcke. Verlag Hirschfelder, Naumburg 1938 Wahrer Nationalsozialismus. "Naumburger Tagblatt", Naumburg, den 14. März 1934 Weber, Max: Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft. Eine soziologische Studie (aus dem Nachlass, 1922). In: Max Weber: Rationalisierung und entzauberte Welt. Schriften zur Geschichte und Soziologie, Reclam-Verlag, Leipzig 1989, Seite 224-238 Weber, R.G.S.: Die deutschen Corps im Dritten Reich. SH-Verlag, Köln 1998. Besonders das Kapitel: Der Kösener Congress vom Mai 1933, Seite 132 bis 138 Weitere Fahnenhissungen in Naumburg. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 10. März 1933 Wels, Otto: Rede. Reichstag 23. März 1933. Protokoll der 2. Sitzung des Reichstages am 23. März 1933. Siehe: Rede von Otto Wels zum "Ermächtigungsgesetz" auf der Sitzung des Reichstags vom 23. März 1933. In: Manfred Stolpe: Otto Wels und die Verteidigung der Demokratie. Vortrag im Rahmen der Reihe "Profile des Parlaments" der Evangelischen Akademie zu Berlin am 14. Februar 2002, Friedrich-Ebert-Stiftung, Gesprächskreis Geschichte Heft 45, Herausgegeben von Dieter Dowe Historisches Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Oder: Rede des SPD-Vorsitzenden und Abgeordneten Otto Wels. In: Otto Wels Mut und Verpflichtung. SPD-Bundestagsfraktion. März 2008, Seite 24 bis 30 Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht. Verlag C.H. Beck, München 1997, Seite 476 Wiesner, Major: Festrede des Traditionsverbandsführers. In: Barbara (e.V.). Offizierskameradschaft des ehemaligen 2. Thür. Feldar.- Rgts., Nachrichtenblatt, Nr. 55, Naumburg (Saale) 1939, Seite 4 Winkler, Heinrich Winkler: Extremismus der Mitte? In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. München, Jahrgang 20 (1972), Heft 2, Seite 175 ff. Wir helfen! Das Winterhilfswerk des deutschen Volkes. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 30. Oktober 1933 [Wittenbächer] siehe auch Hennebold Wyneken, Gustav: Der weltgeschichtliche Sinn der Jugendbewegung. Nachdruck aus: Die freie Schulgemeinde, Heft 1, Januar 1916. In: Grundschriften der deutschen Jugendbewegung. Herausgegeben von Werner Kindt. Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf-Köln 1963, Seite 148 bis 162 Die Versorgung mit Fleisch und Fetten. In: Wochenbericht des Instituts für Konjunkturforschung. Herausgeber Prof. Dr. Ernst Wagemann. 8. Jahrgang, Nummer 51/51, Berlin, den 23. Dezember 1935, Seite 215 bis 218 Zeitz bleibt rot! 5000 Arbeiter marschieren .... "Volksbote. Sozialdemokratisches Organ für die Kreise Zeitz, Weißenfels, Naumburg". Zeitz, den 7. Februar 1933 Zeitschel, Paul: Notizen. Naumburg, ohne Datum (wahrscheinlich um 1960) unveröffentlicht Zeitschel, Felix: Mein politischer Lebenslauf. Naumburg, 27. Mai 1976, unveröffentlicht "Zeitzer Arbeiter schlagen den Kapp-Putsch nieder". Aus dem Franz-Mehring-Institut von einem Kollektiv der Abteilung Geschichte der Arbeiterbewegung. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, 9. Jahrgang, 1959/60, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe, Heft 2, Seite 205 bis 221 [Zimmermann] Jeder nationalsozialistische Volksgenosse eine Propagandazelle. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 5. Juni 1934 Zur Mitarbeit bereit aber ... Reaktionärer Wunschzettel der Hausbesitzer. "Der Abend. Spätausgabe des "Vorwärts"". Berlin, den 15. August 1931 Zusammenstösse und Sonstiges im Dritten Reich. Rubrik: Essen, 31. Jänner. "Salzburger Wacht. Organ für das gesamte werktätige Volk im Lande Salzburg." Salzburg, den 1. Februar 1933 Zweig, Stefan: Opportunismus, der Weltfeind [Berlin Oktober 1918]. In: Die schlaflose Welt. Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1909-1941. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1990, Seite 132 ff.
Besonderer Dank gilt dem Stadtarchiv Zeitz, dem Leiter Herrn Lautenschläger und seinen Mitarbeitern, für die konkrete Unterstützung des Projekts.
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Autor |
Geschrieben:
10. Juni 2010 |