Zur
Geschichte der Erwerbslosigkeit, Arbeitslosenversorgung und -vermittlung
in Naumburg an der Saale 1881 Nach
einer Erhebung zum Stichtag 1. April 1881 durch den Arbeitergeberverein Concordia
in Mainz beträgt die tägliche Arbeitszeit in Naumburg (Saale) für
Bauarbeiter 10 ½, für Tischler, Schlosser, Fabrikarbeiter und Taglöhner
12 und für Schneider 14 Stunden. Der Wochenlohn beträgt für Bauarbeiter
15 (Poliere), 12 (Gesellen) und 9 (Handlanger) Mark. Tischler erhalten 13 ½,
Schlosser, Schneider Gartenarbeiter 12, Fabrikarbeiter 15, Schumacher 9 ½
und Tagelöhner 9 Mark. 12.
Juli
In
der Stadt ereignete sich der dritte Selbstmord in vierzehn Tagen. Diesmal
ist nicht ein Familienzwist die Ursache, sondern eine wirtschaftliche
Notlage, die einen Handwerker in Verzweiflung trieb. Er nahm sich das
Leben durch Erhängen, weil er die öffentlichen Sozialkassen
nicht belasten wollte. Seine Frau liegt bereits seit einem ¾ Jahr
wegen einer Krankheit darnieder und er war 8 Wochen ohne Arbeit.
"Gänzlich ohne Mittel und nicht mehr im Stande durch ehrliche
Arbeit sein Brot zu verdienen, legte er, da sein Ehrgefühl ihn davon
abhielt, um öffentliche Unterstützung zu bitten, Hand an sein
Leben und hinterläßt eine schwer kranke Frau, die der steten
Hilfe bedarf, und die unverschuldet ins Elend geraten ist." (Suizid)
1889 12.
Juni In Naumburg streiken 300 Maurer. Sie fordern 30 Pfennig statt bisher
27 Pfennig Stundenlohn und die Reduzierung der Arbeitszeit von 11 auf 10 Stunden.
Die Arbeitgeber lehnen die Forderung ab. 2.
März 1898 Die Maurer in Naumburg streiken für 35 Pfennig Stundenlohn
(bisher 27 bis 33 Pfennig). Am 5. März werden italienische Arbeiter
als Streikbrecher eingesetzt. Es kommt zu Rempeleien. Die Presse bezeichnet Louis
Knauer (SPD) als "Haupträdelsführer". 1907 Bauarbeiterstreik.
Schwierigkeiten beim Bau der Klinik Grüneisen. Italienische Fremdarbeiter
werden als Streikbrecher eingesetzt. Es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen
und einen Gerichtsprozess.
Tischlerstreik
über 9 Wochen.
1910 17.
Oktober Der Landrat des Kreises Naumburg, Hellmuth Carl Ernst August Freiherr
von Schele, erörtert abends im großen Ratskellersaal mit den städtischen
Körperschaften und Behörden, der Geistlichkeit, Frauenvereinen, Unternehmern
und Vertretern der Arbeiter die Einführung eines Arbeitnachweises.
Wanderarbeiter, Frauen (Hauspersonal) und einheimische Arbeiter sollen bei Bedarf
Arbeit vermittelt bekommen. Bisher nahm dies im gewissen Umfang die Herberge
zur Heimat (Neuengüter) wahr. Mit Einrichtung des Arbeitsnachweises
will man die Landflucht aus dem Kreisgebiet verhindern oder zumindestens eindämmen.
Die Leitung soll ein paritätischer, aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzter
Ausschuss übernehmen. 1911 Steinmetzstreik.
Naumburger erhalten Unterstützung durch Berufskollegen aus Norwegen und Schweden. 1913
Emil Kraatz lehnt eine Arbeitslosenversicherung durch die Stadt mit der Begründung
ab:
"Will
man also eine Arbeitslosenversicherung wirklich einführen, so darf das, um
die Landflucht nicht noch weiter zu begünstigen, nur vom Staate wegen geschehen." 1918 13.
November Verordnung
über Erwerbslosenfürsorge. Die Regierung verkündet sie als
Teil der Demobilmachung. Sie verpflichtet die Gemeinden eine Erwerbslosenfürsorge
aufzubauen. Die Kosten dafür übernehmen das Reich mit 6/12, die Länder
mit 4/12 und die Gemeinden mit 2/12 Anteil an der Gesamtsumme. Entgegen des verkündeten
Vorsatzes nur als Übergangsregelung zu gelten, blieb diese Verordnung mit
einer Vielzahl von Änderungen bis zu ihrer Ablösung durch das Gesetz
über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) am 1. Oktober
1927 in Kraft. 5.
Dezember Beschluss der Stadtverordnetenversammlung: Aufbau der ersten
kommunalen institutionalisierten Erwerbslosenfürsorge. Der
Öffentliche Arbeitsnachweis für Männer befindet sich im
Büro Neuengüter 16 und der Öffentliche Arbeitsnachweis
für Frauen in Seilergasse 6/10. Es sind dies praktisch die ersten Arbeitsämter
Naumburgs. Arbeitslose
Männer erhalten zirka 3,30 bis 4,00 RM. Frauen 2,00 bis 2,50 RM pro Tag.
Für jedes nichtvolljährige Kind gibt es einen Zuschlag von 1,00 RM pro
Tag. - Der ortsübliche Tageslohn für Arbeiter beträgt zirka 3,50 RM. 1919 Produktive
Erwerbslosenfürsorge durch Einsatz der Arbeitslosen bei Notstandsarbeiten 1920 Mai
bis Oktober Wie
ein Feuerschweif (Pfarrer Ritzhaupt) zieht die Neue Schar tanzend,
singend und schwingend durch Franken und Thüringen. Es war vielleicht die
originellste und kreativste Arbeitsloseninitiative, die Deutschland je gesehen
hat. 1921 "
Jena,
den 13. Juni 1921 Werte Genossen! Für Montag, den 20. Juni haben
auf Beschluss des Reichsausschusses in allen Orten Erwerbslosendemonstrationen
stattzufinden. Die Züge werden vor das Rathaus und an den Sitz des Gewerkschaftskartells
geführt, deren Vertreter öffentlich zu einer Erklärung gezwungen
werden müssen, was sie zur Verwirklichung der 10 Forderungen des Allgemeinen
Deutschen Gewerkschaftsbundes (A.D.G.B.) zu tun gedenken, vor den Demonstranten
haben die Erwerbslosenräte das Arbeitslosenelend eingehend zu behandeln.
Mit revolutionärem Gruß. Die Kreisleitung. Im Auftrag
gezeichnet Wolf. Stempel: Erwerbslosenzentrale Grossthüringen, Sitz Jena."
1922 "Im
Februar 1922 war der große Eisenbahnerstreik in dem die KPD führend
war. Auch in Naumburg fanden große Arbeiterdemonstrationen statt, bei denen
die Eisenbahner und Postler in Uniform demonstrierten. Mit Ausnahme von Lippert [Buchdruckerei],
List und Sieling [Buchdruckerei und Zeitungsherausgeber] streikten alle Betriebe
in Naumburg." (Wallbaum 7) 22.
Juli Arbeitsnachweisgesetz. Das
Arbeitsnachweisamt als städtische Behörde sammelt die Arbeitsnachweise.
- Die Leitung des Amtes - Öffentlicher Arbeitsnachweis, Kaiser-Wilhelm-Platz
1 (heute Kramerplatz) - übernimmt ein Verwaltungsausschuss. Der besteht aus
dem Vorsitzenden, einem Stellvertreter und zu je drei Vertretern der Unternehmer
und der Lohn- beziehungsweise Gehaltsabhängigen. Die Beisitzer bestellt die
Stadt. 1923 6.
März Die
Stadtverordnetensitzung am Dienstag [6. März 1923], die nach einer einleitenden
geheimen Beratung bis 10 Uhr dauerte, erhielt ihr besonders Gepräge durch
die Beratung der Arbeitslosenfrage. Die auch in Naumburg stark bemerkbar gewordene
Not der Arbeitslosen hatte den starken Andrang zum Zuhörerraum bewirkt
, heißt es in einem Bericht. 22.
März Krisensitzung der Stadtverordnetenversammlung:
"Zu
viele Arbeitslose in der Stadt". Die
Naturalien für die Existenz der Arbeitslosen können durch den Stadtrat
nicht mehr erbracht werden. Der Magistrat plant die Bürger zu Freiwilligen
Opfern heranzuziehen. Mai
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: Pflasterung Neidschützer Straße,
Herstellung des Flemminger Weges auf einer Länge von 400 Metern und Bau-maßnahmen
am Moritzplatz durch Arbeitslose 13.
September Antrag
der Gewerkschaft an den Magistrat. Die Stadt stellt 30 Millionen Mark (Inflation)
für Fälle besonderer Not bereit. Ein Stadtrat teilt mit, dass es Arbeitslose
gibt, die schon über ein Jahr keine Arbeit mehr haben. Die Stadt ist an ihrer
Leistungsgrenze angekommen. Sie soll, so lautet ein Vorschlag, die Lebensmittel
zu ermäßigten Preisen mit der Landwirtschaft vereinbaren. Oktober
Pflichtarbeit.
Die Stadt macht ihre Erwerbslosen-Unterstützung von einer Arbeitsleistung
der Betroffenen abhängig. Ihre Beschäftigung erfolgt vor allem bei Bau-
und Verschönerungsarbeiten - sogenannte Notstandsarbeiten, z. B. die
Pflasterung Neidschützer Straße. 15.
Oktober 1923 Mittelaufbringungs-Verordnung. Die Finanzierung der Erwerbslosenfürsorge
für die krankenversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer und
ihren Arbeitgeber übernehmen diese je zur Hälfte des Beitrags, deren
Summe zunächst auf 20 Prozent des Krankenversicherungsbeitrags festgeschrieben
war. Für die Gemeinde verbleibt ein Kostenanteil von etwa 1/5. Die
Lohn- und Gehaltsabhängigen erhalten mehr Mitbestimmungsrechte eingeräumt.
Den Arbeitsnachweis verwaltet die Stadt. Es besteht noch kein Benutzungszwang
und keine Meldepflicht. 1926 | | | | Erwerbslosigkeit
in Naumburg an der Saale 15. Juni 1926
| | Haupt- unterstützungs- empfänger | Zuschlags- empfänger | Notstands- arbeiter | | | | | Gesamt
["Arbeitsamtsbezirk"] | 795 | 1024 | 87 | davon
Naumburg | 563 | 677 | 70 | | | | | | | | | Bericht
über die Nachprüfung der unterstützenden Erwerbslosenfürsorge
beim Arbeitsnachweis Naumburg, Regierungsbezirk Merseburg.Naumburg,
den 15. Juni 1926
| |
21.
November Gesetz
über eine Krisenfürsorge für Erwerbslose. Die
Langzeitarbeitslosen erhalten nach der 52. Woche zeitlich unbegrenzt Krisenunterstützung.
Finanziert wird zu ¾ vom Reich und zu ¼ von den Gemeinden. 1927 16.
Juli Der Reichstag beschließt das Gesetz über Arbeitsvermittlung
und Arbeitslosenversicherung (AVAVG). Die Pflichtversicherung soll die Erwerbslosen-Fürsorge
der Gemeinden ablösen (Entkommunalisierung). Die Arbeitsämter der Kommunen
und der Länder werden in die neue Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung
und Arbeitslosenversicherung eingegliedert. Auf allen drei Ebenen bestehen
Selbstverwaltungsorgane. In ihnen sind Unternehmer, Lohn- und Gehaltsabhängige
und die Kommune vertreten.
Das
deutsche Arbeitslosen-Unterstützungssystem war dreigliedrig strukturiert.
Zunächst erhielten Versicherte, die erwerbslos wurden, höchstens 26
Wochen lang Arbeitslosenunterstützung. Die Kosten trägt das Reich.
Dazu kamen Familienzuschläge für ihre engsten Angehörigen. Nach
Ablauf der Frist gibt es im Fall der Bedürftigkeit erst 26, später auf
52 Wochen erhöht, Krisenfürsorge. Sie wird ebenfalls zentralstaatlich
finanziert. Erst danach sank der Betreffende auf das Niveau der Wohlfahrtsunterstützung
herab. Die Kosten hierfür mussten die Gemeinden aufbringen. 1928 22.
August Unternehmer
wollen Verbesserung der Krisenunterstützung verhindern!
Die
Unternehmerverbände an den Reichsarbeitsminister.
22.
August 1928 "Sehr
geehrter Herr Minister!
Wir
entnehmen der Tagespresse Mitteilungen, wonach innerhalb der Reichsregierung die
Absicht besteht, aus Anlaß der bekannten Beschlüsse über den Bau
des Panzerkreuzers weitere sozialpolitische Maßnahmen zu ergreifen
[Es]
. sind aber auch nicht nur von seiten der Unternehmer, sondern auch
der Behörden, wie des Reichsarbeitsministeriums selbst aus den Erfahrungen
der letzten Jahre heraus auf die ernsten wirtschaftlichen, finanziellen und nicht
zuletzt auch arbeitsmoralischen
Bedenken
hingewiesen
worden, die gegen eine fortgesetzte Ausdehnung der Krisenfürsorge sprechen.
Abgesehen davon, daß auf Grund vielfältiger statistisch erwiesener
Erfahrungen
die
Selbstverantwortung
und
damit das in erster Reihe zu fördernde Streben, sich selbst um Arbeitsgelegenheiten
zu bemühen, für den Erwerbslosen in bedenklichem Umfange herabgemindert
werden muß, halten sich die unterzeichneten Verbände auch für
verpflichtet, auf die ernsten finanziellen Bedenken hinzuweisen ..." Vereinigung
der Deutschen Arbeitgeberverbände
Reichsverband
der Deutschen Industrie Deutscher
Industrie- und Handelstag [Unternehmerverbände]
|
3.
August 1927 Eintrag der Devoli-Gesellschaft mit beschränkter Haftung,
Sitz Naumburg in das Handelsregister beim Amtsgericht Naumburg unter der Nummer
81. Durch die Devoli würde der "hiesige Arbeitsmarkt" "günstig
beeinflusst werden" (Ein Besuch bei der Devoli. In: "Naumburger
Tageblatt", Naumburg, den 19. November 1927) Ende 1927 zählt die
Firma im Spechsart immerhin 85 Angestellte, deren Monatsgehälter zwischen
beachtlichen 400 bis 2 400 Reichsmark liegen. Im März 1928 meldet das Unternehmen
Konkurs an. 1929
3 186 Arbeitslose im Arbeitsamtsbezirk Naumburg
Im
März steht die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
vor dem Zusammenbruch. Wären nicht ein Bankenkonsortium mit einem Kredit
eingesprungen, dann hätten die Beiträge noch für ganze 800 000 Empfänger
ausgereicht. 1930
30.
Januar Arbeitsamtsbezirk Naumburg registriert 1930 einen Höchststand
von 3 229 Arbeitslosen. Im Stadtgebiet 1 739, in Bad Kösen 272, in Freyburg
258.
Die
Stadtverordneten lehnen trotz großer Not ausgesteuerter Arbeitsloser
den Antrag von Karl Marien (SPD) ab, ihren einstigen Beschluss auf kostenlose
Gewährung von einem Zentner Kartoffeln und zwei Zentnern Kohlen einzuhalten.
Auch eine einmalige Ausschüttung in Höhe von 15 000 oder 5 000
Reichsmark findet im Stadtparlament keine Mehrheit. 5.
März und 6. März Aufruf
der Zentralkomitees der Kommunistischen Parteien Deutschlands, Frankreichs und
Englands vom 5. März 1930 zum "Massensturm gegen den Hunger!".
Der 6. März soll ein Welterwerbslosentag werden. In Halle-Ammedorf
kommt es zwischen den Organisatoren von der KPD, dem Erwerbslosenausschuss und
der Polizei zu harten Auseinandersetzungen. 27.
März Im Streit
um die Erhöhung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung zerbricht die
Große Koalition (SPD, Zentrum, DVP, DDP). Mit dem Kabinett Müller tritt
die letzte demokratisch legitimierte Regierung der Weimarer Republik zurück.
Übersichten
zu Naumburg Brüningsche-Sparpolitik Reichskanzler
Brüning (30. März 1930 bis 1. Juni 1932) regiert mit drastischen Sparmaßnahmen
im Sozial und -Haushaltsbereich, verbunden mit der Hoffnung auf die Vitalisierung
der Selbstheilungskräfte des Marktes 26.
Juli Einen Monat nach Auflösung des Parlaments bestimmt die erste Verordnung
des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer
Notstände: Steuererhöhungen sowie Leistungskürzungen im Bereich
der Arbeitslosen- und Krankenversicherung. 26.
Juli (Sonnabend) und 3. August Fest der Arbeit in Naumburg a. S.. Sportwettkämpfe,
Kulturveranstaltungen, Tanz - gemeinsam vorbereitet von SPD- und KPD-Ortsgruppe 26. Juli
bis 27. Juli Fest
der Arbeit vom 26. Juli bis 3. August und14. Bezirksfest des 4. Bezirks im 5.
Kreis des Arbeiter- Turn- und Sportbundes in Naumburg an der Saale 20.
November Beschluss der Stadtverordneten über die Einführung der
Bürgersteuer zur Finanzierung des Ausgleichsbetrags für den Unterhalt
der Wohlfahrtserwerblosen 1.
Dezember Die 1. Notverordnung
des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen erhöht
die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 6,5 Prozent. 1931 31.
Januar Der Maurer Ernst H. leistet vom 31. November 1930 bis Januar 1931 nicht
angemeldete Arbeit. Gleichzeitig bezog er 98,50 Mark Unterstützung. Das
Amtsgericht Naumburg verurteilt ihn deshalb zu einem Monat Gefängnis. Frühjahr
1931 Vom Naumburger Arbeiter-Turn-und-Sportverein, zusammengeschlossen
im VfL. 88, wirbt der bürgerliche Fußballclub 05 sechs Spieler
ab. Einflußreiche Mitglieder des neuen Vereins verschaffen ihnen Arbeit.
5.
Juni Mit der 2. Notverordnung
des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen erfolgt
die Kürzung der Gehälter der Beamten und Angestellten, die Senkung der
Renten für Invaliden und Kriegsgeschädigte und die Senkung der Unterstützungssätze
für Arbeitslose um 6,3 bis 14,3 Prozent (siehe 1
2). Einführung
des Freiwilligen Arbeitsdienstes. Als Träger im Bereich der Forst-
und Bauwirtschaft, der sozialen Betreuung und Armenspeisung, dürfen nur juristische
Personen des öffentlichen Rechts auftreten. Diese erhält pro Wochentag
und Arbeitsdienstpflichtigen einen Unkostenzuschuss für Verpflegung, Unterkunft
und kulturelle Betreuung in Höhe von 2 RM. Der Teilnehmer erhält daraus
täglich 0,30 RM Taschengeld. Die Kosten für Arbeitsgeräte usw.
fallen dem Träger zu. Dauer der Maßnahme zwischen 20 und 40 Wochen.
Die Teilnehmer sind unfall- und sozialversichert. 6.
Oktober 1931 Eine weitere Notverordnung senkt den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung
von 26 auf 20 Wochen. 1932 Februar
Ein Maurer verdient in der Zeit von November 1931 bis Januar 1932 98 Mark an der
Sozialhilfe vorbei. Er will damit Schulden beim Arbeitgeber abzahlen. Strafe:
Ein Monat Gefängnis. 1.
März
Aus
öffentlichen Geldern betreute Personen in Naumburg 1931 und am 1. März
1932 Arbeitslosenunterstützung
2367
972
Krisenunterstützungsempfänger 1260
835
Wohlfahrtserwerbslose 2436
3548
sonstige Hilfeempfänger
504 745
Kleinrentner
434 384
Sozialrentner
834 690
Kriegsversehrte und -hinterbliebene 5334 5216
Summe
13169 12390
Anteil an der Gesamtbevölkerung [%]
42,73 39,90 |
31.
Mai Auf
1 000 Einwohner meldet Naumburg 50,4, Magdeburg 56,8, Weißenfels 87,5
(Spitzenreiter in Sachsen), Halle 57,2, Erfurt 54,1, Halberstadt 56,4, Mühlhausen
79,2, Zeitz 77,5, Nordhausen 41,8 und Merseburg 79,3 Wohlfahrtserwerbslose. 14.
Juni Die Struktur und das Niveau der drei Leistungssysteme werden aneinander
"angeglichen". Als Initialleistung bei Verlust der Arbeit wird nunmehr
nur noch längstens 6 Wochen Arbeitslosengeld gezahlt. Dies reduziert die
Zahl der Anspruchsberechtigten gewaltig. Die Krisenunterstützung senkt man
auf das Niveau der Wohlfahrtsunterstützung ab. Die Sätze für die
Wohlfahrtsunterstützung fallen um 15 Prozent und die Renten der Kriegs- und
Arbeitsinvalidität sowie der Witwen und Waisen um 15 bis 20 Prozent. 23.
Juni Stadtverordnetensitzung.
Heftige Auseinandersetzungen übere die Unterstützung der Arbeitslosen.
Erwerbslose können oft ihre Miete nicht zahlen, sagt Stadtverordneter Rößling
(KPD). - Die SPD beantragt die Herabsetzung der Unterstützungssätze
für Wohlfahrtserwerblose aufzuheben. Die kommunistischen Abgeordneten möchten
die Streichung der Beschlusses, wonach die Wohlfahrtserwerblosen einen Teil der
Kosten für Schuhreparaturen und Arzneimittel selbst tragen müssen. Der
Antrag wird gegen die Stimmen von SPD, KPD und NSDAP abgelehnt. Beschlossen wird:
Die Stadt übernimmt die Kosten für Schuhreparaturen zu 60 Prozent und
für Arzneimittel zu 85 Prozent Bei Nebenarbeiten wird ein Drittel des
Einkommens nicht auf die Unterstützung angerechnet. 6.
Juli Demonstration
von SPD, KPD und Gewerkschaften gegen Entdemokratisierung, Sozialabbau und Erwerbslosigkeit 23.
Juli Freiwilliger Arbeitsdienst (FAD) im Sinne der Notverordnung 22.
August Stadtverordnetensitzung.
Forderungen nach Zuschüssen für Miete, Schuhe, Kleidung und nach Abgabe
eines kostenlosen Frühstücks und Mittagessens für schulpflichtige
Kinder unterstützungsberechtigter Personen sowie nach kostenloser Gewährung
von einem ½ Liter Milch werden abgelehnt. | | | | | | | | Unterstützungssätze
für Naumburger Arbeitslose ab 22. August 1932 [pro Arbeitswoche]
| | Allein- stehende RM | mit
1 | mit
2 | mit
3 | mit
4 | mit
5 | mit
6 und mehr | | Unterstützungberechtigte | | RM | RM | RM | RM | RM | RM | | | | | | | | | neue
Sätze | 6,15 | 9,35 | 10,90 | 12,50 | 14,50 | 15,65 | 17,20 | | | | | | | | | alte
Sätze | 7,25 | 11,00 | 12,85 | 14,70 | 16,50 | 18,40 | 20,25 | | | | | | | | |
29.
August Mitteldeutscher Handwerkerbund: "Andauernde
Arbeitslosigkeit hat furchtbares Elend und bitterste Not in weiten Kreisen des
Handwerks und Gewerbes hervorgerufen. Verzweiflung und Erregung greifen immer
mehr Platz." September
Ein Naumburger Arbeiter mit neun Kindern bezieht unberechtigt 57,82 RM Wohlfahrtsunterstützung.
Er wird zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Oktober
Freiwilliger Arbeitsdienst im Landjugendheim Eckartsberga 1932, Leiter Karl Hemprich
(geboren 1887), möchte das ein
lebendiges Gemeinschaftswerk auf Grundlage eines kameradschaftlichen Wettbewerbs
und guten Miteinanders entsteht. Er kombiniert die Massnahme mit Jugendpflege
und Volksschularbeit. Die Jugendlichen erhalten Unterricht. Die Themenkomplexe
lauten: "Der Mensch in der Heimat", "Der Mensch in der Wirtschaft"
und "Die Lebensführung". 19.
Oktober Verordnung der Regierung Papen Erhöhung der Leistungssätze
für die Arbeitslosen in Abhängigkeit von Familienstatus und Kinderzahl
im Durchschnitt um 2 RM / Tag nach Familienstatus. November
Naumburg-Grochlitz.
Vierzig Arbeitswillige nehmen ihren Freiwilligen Arbeitsdienst auf.
Sie füllen die übel riechende Gerberlache am Grochlitzer Gries zu. Die
Teilnehmer sind in den Wirtschaftsgebäuden der Artilleriekaserne in der Oststraße
untergebracht. 1933 11.
Februar "Der Direktor des hiesigen Arbeitsamtes hat den Antrag gestellt,
ab Montag um das Arbeitsamt [Nordstraße 13] eine Bannmeile zu schaffen,
um Störungen der öffentlichen Ordnung zu verhindern", berichtet
Bürgermeister Roloff. 3.
März Einführung
der Landhilfe durch Erlaß der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung
und Arbeitslosenversicherung. Jugendliche Arbeitslose können für
sechs Monate zur Arbeit auf dem Lande verpflichtet werden. 1.
April Naumburger Markt gegen 20 Uhr: "
...Der Jude habe die Arbeitslosigkeit gebracht ...", ruft
der Kreiskampfbundleiter des gewerblichen Mittelstandes Martin Schmidt Tausenden
von Naumburgern zu. 1.
Mai Adolf Hitler
verkündet in seiner Rede zum Tag der nationalen Arbeit auf dem Tempelhofer
Feld (Berlin) die Einführung der Arbeitsdienstpflicht. 1.
Juni Gesetz
zur Verminderung der Arbeitslosigkeit. Sein Ziel ist die produktive Arbeitslosenfürsorge.
Es besteht die Möglichkeit der Zwangsverpflichtung von Arbeitslosen. Verweigern
sie sich, wird ihnen die Erwerbslosenunterstützung entzogen. Zwangsverpflichtete
können weit ab vom Heimatort untergebracht werden. Das
Gesetz umfasst Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, Steuervergünstigungen, die
Überführung weiblicher Arbeitskräfte in die Hauswirtschaft (Abschaffung
der Doppelverdiener-Familien) und die Förderung der Eheschließung. 16.
Juni Naumburg Stadtkreis:
6 352 Arbeitslose. Davon sind 2 leitende Angestellte, 843 einfache Angestellte,
5 373 Arbeiter und 134 Hausangestellte (laut
Volks-, Berufs und Betriebszählung vom 16. Juni 1933). 22.
August Anordnung der Geheimen Staatspolizei an die Staatspolizeistellen zur
Überwachung der Arbeitsämter durch Polizeibeamte oder SA- bzw. SS-Leute
in Zivil 11.
Oktober Zweites Gesetz zur Minderung der Arbeitslosigkeit. 500 Millionen
RM zur Gewährung von Zuschüssen für Instandsetzungs-, Ergänzungs-
und Umbauarbeiten an Gebäuden werden zur Verfügung gestellt. Gründung
eines Kreisarbeitsausschusses unter Leitung von Oberbürgermeisters
Friedrich Uebelhoer. Im "Interesse der Arbeitsbeschaffung" ruft der
Kreisarbeitsausschuss im Februar 1934 die Hausbesitzer unter Nutzung des Reichszuschusses
zum Einbau der Spülklosetts auf. 1934 Am
oberen Flemminger Weg werden 28 Häuser (Stadtrandsiedlung) für Langzeitarbeitslose
errichtet. Zum
Abbau der Jugendarbeitslosigkeit wird das Hauswirtschaftliche Jahr
eingeführt. Für ein geringes Entgelt helfen Mädchen im Alter von
19 bis 25 Jahren in (kinderreichen?) Haushalten. Sie erhalten praktische
und politische Schulungen.
20. Januar Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) Betriebsräte,
das Mitbestimmungsrecht und die Tarifverträge werden abgeschafft. Im Unternehmen
gilt das Führerprinzip. Der Betriebsführer hat die absolute Befehlsgewalt.
Die Gefolgschaft ist zum unbedingten Gehorsam verpflichtet. Februar
30 Wohlfahrtsempfänger führen Erdarbeiten ("Notstandsarbeiten")
am Steinkreuzweg oberhalb der Tennisplätze neben der Sandgrube aus. 4 500 Kubikmeter
Erdmassen müssen bewegt werden. - In der Stadt bestehen viele Projekte dieser
Art. Im "Interesse
der Arbeitsbeschaffung" ruft der Kreisarbeitsausschuss im Februar
1934 die Hausbesitzer unter Nutzung des Reichszuschusses zum Einbau von Spülklosetts
auf. August
Nach einer Meldung des
Oberbürgermeisters von Naumburg liegt der Wochenverdienst eines Leuna-Arbeiters
in nur ganz wenigen Fällen über dem gesetzlichen Unterstützungssatz
für Arbeitslose, berichtet die Staatspolizeistelle Halle im August 1934. Die
Roloff-Kommission der Stadtverwaltung leitet auf der Grundlage der Beschlüsse
der Reichsregierung folgende Maßnahmen zur Senkung der Erwerbslosigkeit
ein: Beseitigung der Doppelverdiener, Ausschaltung der Schwarzarbeit, Ersatz weiblicher
Arbeitskräfte und Einstellung von Arbeitskräften in den Betrieben
mit 15 Prozent des Bestandes. 5.
Oktober Vortrag im Ortsgruppenheim der NSDAP, Grosse Salzstrasse 1, zum
Thema: Übungsfirmen als Schulungsstätten nationalsozialistischer
Wirtschaftsauffassung. In
Bereich des Arbeitsamtbezirkes Naumburg sind im Bereich des Textil-, Kolonial-,
Landesproduktgross- und Eisenwarenhandels Übungsfirmen tätig. 13.
Dezember Gesetz über den Freiwilligen Arbeitsdienst 1935 26.
Juni Einführung des "Reichsarbeitsdienstes", Meldeamt 97, Große
Fischstraße 23 (1937), als Ehrendienst am deutschen Volk. Alle Männer
zwischen 18 und 25 Jahren müssen jetzt unter der Losung "Mit Spaten
und Ehre" ihren sechsmonatigen Pflichteinsatz leisten. 1936 27.
Juni 1935 und 26. September Verordnung des Führers zum Ausbau des Freiwilligen
Arbeitsdienstes für die weibliche Jugend, was aber nicht durchgesetzt wird. 1939 Mai
Gertrud Rabestein, geboren
am 5. Dezember 1903 in Naumburg, wird in das neu errichtete KZ Ravensbrück
bei Fürstenberg versetzt. Wenige Tage nach ihrer Ankunft nimmt sie in Berlin-Hirschgarten
ihren Diensthund in Empfang. Vorher arbeitete sie im
KZ Lichtenburg. "Um die Anstellung im KZ-Lager habe sie sich lediglich beworben,
um eine feste Anstellung zu erhalten", äußert sie 1948 vor Gericht. 1937 Mai
859 - offiziell gemeldete! - Arbeitslose im Arbeitsamtsbezirk Naumburg 1940 1.
September Das Arbeitsamt Naumburg wird aufgelöst. Quellen
siehe www.naumburg1933.de/geschichte/arbeitslosigkeit.htm |