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"Der Wehrwolf", heißt es in seinen Reichsrichtlinien,

"ist eine von Frontsoldaten gegründete politische Wehrbewegung. Die Frontsoldatentugenden: Tapferkeit. Kameradschaftssinn. Manneszucht und Opferbereitschaft!"

Zur Bewahrung dieser Werte gründet sich am 11. Januar 1923, dem Tag der Besetzung des Ruhrgebietes durch die französischen Truppen, der Wehrwolf. Damit bietet der Hauptmann der Reserve Fritz Kloppe den ehemaligen Soldaten und Offizieren eine politische Heimstatt. Und er gibt Hilfestellung bei der Erlebnisverarbeitung des letzten Krieges.

"Als ich … 1923 zur Gründung des Bundes der Wehrwolf schritt,"

schreibt der Hallenser Studienrat 1930,

"leiteten mich zwei Gesichtspunkte: Ich sah, wie die Herrschaft des Dollars auch die Jugend erfaßte. Ich sah jede Achtung vor der Staatsautorität, vor Alter, vor Familie und Tradition schwinden. … Die Erziehung zum Gemeinschaftssinn und zur Unterordnung unter ein großes Ganzes erblicke ich in der Pflege einer Sportart, die wir Wehrwölfe in Deutschland einführten und die dann unter dem Namen Wehrsport allgemein bekannt geworden ist….

Der zweite Gedanke, der mich zur Gründung des Wehrwolfs leitete, war der sich im Jahre 1923 allgemein regende Widerstand gegen die Feindbundpolitik. Kurz zuvor war die erste Note der Entente zur Auslieferung der sogenannten Kriegsverbrecher an Deutschland ergangen." (Wehrwölfe 7.6.1930)

"Wir bejahen den Krieg,"

sagen die Wehrwölfe,

"weil wir ohne ihn keine Möglichkeit sehen, die deutsche Frage zu lösen." (Der Wehrwolf 11.11.1928)

"Vor allem müssen die geraubten Gebiete und Deutsch-Österreich mit dem Mutterlande wieder vereinigt werden."

Im Saale-Unstrut Gebiet trägt der Wehrwolf - Bund deutscher Männer - zumindest für die Zeit um 1923 - ausgeprägten militanten Charakter. Er steht marschbereit um Hitler beim Putsch in München zu unterstützen. Verweichlichung und Pazifismus gelten dem Wehrwolf als Grundübel. Bei Aufmärschen werden Sprüche wie "Deutschland erwache, Juda verrecke!" skandiert. Seine Jugendorganisation nannte sich Jungwolf.

Am 18. März 1930 fordert die Bundesleitung dazu auf, überall im Reich Feuer zu entzünden, um damit die Nichtanerkennung des Youngplanes zu demonstrieren.

Dennoch ist der "Wehrwolf" nicht eine Abteilung der NSDAP. Zumindestens ein Teil grenzt sich deutlich mit antikapitalistischen Attitüden von ihr und dem Stahlhelm ab, wie dem unten stehenden Flugblatt von 1930 unschwer zu entnehmen ist.

 

 

Wehrwolf-Flugblatt (1930)

"Unzufrieden, unwillig ist ganz Deutschland.
Ihr alle sagt: so geht es nicht weiter!
Zwar muss die Tributknechtschaft fallen, aber die Ursache wirtschaftlichen Elends ist nicht allein der unmögliche Youngplan, es ist die kapitalistische Wirtschaftsordnung überhaupt.
Was soll an ihre Stelle treten?
D e r  S o z i a l i s m u s ? !
Der vielleicht den Staat retten könnte, der aber einen Staatskapitalismus bilden würde, der bei der Sozialisierung aller Produktionsmittel, wie SPD. und KDP. sie wollen, alle Schaffenden und selbstständig Ringenden zu Angestellten und Arbeitern einer Beamtenbürokratie macht.
Nein, das ist nicht das Wollen und der Sinn des Freiheitswillens der schaffenden Deutschen.
Und Ihr alle gebt zu bei christlichem Nachdenken, daß
B a u e r n t u m, M i t t e l s t a n d  u n d  e i n e
v o r w ä r t s s t r e b en d e  f r e i e  
A r b e i t e r s c h a f t
lebenswichtig für unser Volk sind und darum geschützt und erhalten werden müssen. Darum schufen wir den
P o s s e d i s m u s*
der den raffenden Kapitalismus austilgen will, der den schaffenden deutschen Menschen gegenüber allen Ausbeutern wieder die Möglichkeit wirtschaftlicher Unabhängigkeit bietet und selbstständiges Vorwärtskommen des tüchtigen Arbeiters ermöglicht.

Alle bürgerlichen Parteien, einschließlich des Stahlhelm sind Anhänger des Kapitalismus. Selbst die Nationalsozialisten, von denen wir Vorschläge für eine deutsche sozialistische Ordnung erhofft haben, haben sich im letzter Zeit, wie das Buch von Reupke und die Erklärung von Adolf Hitler bezeugen, wieder zur kapitalistischen Ordnung bekannt. Dieser Kapitalismus ist aber Enteignungswirtschaft schlimmster Art geworden.
….

D a s i s t d e r P o s s e d i s m u s ?
A l l e s f ü r u n s e r e F r e i h e i t !

Der Wehrwolf."

* Lateinisch, possedere, besitzen

(Abschrift)

 

 

Wir - der Wehwolf - ringen, schreibt Kurt Frankenberger 1931, um den Possedismus, der den Kapitalismus in Deutschland ablösen will. (7)


Der Wehrwolf als Zulieferproduzent für den Nationalsozialismus

 

Wehrwolf

Ortsgruppenführer und Bezirksführer: Karl Bächler (um 1920/21)

Vorsitzender: Heinrich Hacker, Spechsart 1 (um 1926)

Ortsgruppe: Erich Schmidt, Othmarsweg 11/12 ( um1930)

Saale-Unstrut Führer: Kurt Rissmann, Freyburg, Hohe Str. 19 (um 1930)

Schriftführer: Erich Steinbrück, Kanoinierstraße (um 1930)

Kassierer: Walter Kunath, Steinweg 19 (um 1930)

Versammlungsort: jeden Donnerstag Hallescher Anger (um 1930)

Erste Ansätze der Organisation bilden sich bereits mit der Formierung der nationalsozialistischen Bewegung in Naumburg heraus. Die eigentliche Gründung des Wehrwolfs geht in Naumburg auf das Jahr 1926 zurück. Heinrich Hacker (Spechsart 1) war wahrscheinlich der Initiator. Bei den Stadtverordnetenwahlen am 12. März 1933 kandidieren für den Wehrwolf:

Walter Gaweh, Gärtner, Moritzberg 7,

Erich Schmidt, Friseur, Wenzelsring 9,

Walter Kunath, Arbeiter, Moritzstraße 48,

Erich Masuck, Schuhmacher, Spechsart 2, und

Paul Schunke, Konditor, Topfmarkt 18.

Bei den Provinzialwahlen am 17. November 1929 erhielt der "Wehrwolf - Bund deutscher Männer" in der Saalestadt lediglich 51 Stimmen. Doch dies entspricht in keiner Weise seiner soziokulturellen und politischen Wirkung. Diese ist vielmal größer, als es sich aus diesen Zahlen ablesen lässt! Der Wehrwolf ist nicht zu unterschätzen. Es ist "der fanatische Wille zum Kampf, der alle Wehrwölfe beseelt" (Pfingsttagungen 7.6.1930). In vielen politischen Biografien der sich formierenden nationalsozialistischen Bewegung übernimmt der Wehrverband eine erzieherische Rolle. So schreibt Dr. rer. nat. August Hellmann (1934), Direktor der Napola Naumburg, in seinem Lebenslauf:

"1919 nahm ich meinen Abschied [von der Armee] und studierte in Hamburg Chemie. Gleichzeitig machte ich Dienst bei den Bahrenfeldern; mit ihnen nahm ich an den Kämpfen in Hamburg und dann am Kapp-Putsch teil. Aus den Nachfolge-Organisationen der "Bahrenfeldern" (…) wurde später der Wehrwolf in Hamburg; ich war Kompanieführer, dann Stadtkreisführer des Wehrwolfs in Hamburg und habe den Stadtkreis 1933 als Sturm in die SA [Sturmabteilung] überführt."

Wirkung erzielt der Wehrwolf aber nicht nur bei den Bürgern, die der Deutschnationalen Partei oder nationalsozialistischen Bewegung geneigt sind. Dazu enthält der Bericht über das Bundestreffen des Wehrwolf vom 8. bis 9. Juni 1930 in Bad Kösen und Naumburg eine interessante Beobachtung:

"Während der Pfingstfeiertage [1930] wurde in Naumburg eine Tagung der Kolonialjugend abgehalten. Es war die Wahrnehmung interessant, daß die Wehrwolfleute sehr oft von geschlossenen Trupps der Kolonialjugend mit `Heilrufen` und Faschistengruß begrüßt wurden. Dieses Verhalten dürfte mit den Satzungen der Kolonialjugend, die doch wohl nur jugendpflegerische Aufgaben verfolgen will, nicht in Einklang zu bringen sein." (Lotze 1930)

Nach der Reichspräsidentenwahl vom März 1932 kursierte die Einschätzung:

"Im Ganzen ist also in der Stadt Naumburg seit 1930 eine ganz erhebliche Verschiebung nach rechts eingetreten… "

Daran hatte der Wehrwolf einen wesentlichen Anteil. Bei der Formierung des nationalsozialistischen Bewusstseins übernimmt er die Rolle eines wichtigen Zulieferproduzenten.

 

Zusammenstoss (Volksbote) in Hassenhausen

In Erfurt findet am 8. Juni 1930 das Reichstreffen der Roten Sportler (Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit) statt. Zur "roten Heerschau der klasssenbewusten Arbeiter" (Die Rote Fahne, Wien, 11.Juni 1930) kamen 21 000 Teilnehmer. Darunter befindet sich eine Delegation aus Naumburg. Ernst Thälmann hält die Begrüssungsansprache. Die Organisatoren transportieren die Teilnehmer fast ausschliesslich mit Lastkraftwagen nach Erfurt. Vom 7. Juni vormittags bis zum 8. Juni vormittags durchquerten, registriert das Polizeipräsidium Weissenfels, insgesamt 305 Lastkraftwagen mit über 10 000 Personen das Gebiet Weissenfels-Naumburg-Hassenhausen.

Gleichzeitig reisen Wehrwölfe zum Treffen am 8. und 9. Juni in Naumburg und Bad Kösen an.

Am 7. Juni 1930, gegen 5.00 Uhr, kommt es bei der Begegenung zwischen den Wehrwölfen und den Roten Sportlern in Hassenhausen zu einer heftigen Schlägerei. Wahrscheinlich waren daran aber keine Personen aus Naumburg beteiligt gewesen.

"In Hassenhausen, in Punschrau und anderen Dörfern waren Wehrwolfleute einquartiert. So auch im Künzelschen Gasthause [Gasthaus zur Rose] in Hassenhausen. Als Zeichen dieses Standquartiers war eine schwarzweissrote Fahne am Hause angebracht. Um ½ 5 Uhr früh traf ein Kraftwagen mit Anhänger, besetzt mit 80 bis 90 Rotsportlern aus Berlin an dieser Stelle ein. Der Chauffeur wollte tanken und erbat vom Wirt einen Eimer, das benutzten die zu einem Angriff auf die schwarzweissrote Fahne, sie riefen der Lappen muss runter und bedrohten und schlugen Gastwirt K., so dass die Verteidiger genötigt waren, ins Haus zu flüchten und abzuschliessen. Telefonisch waren die Wehrwolfleute in Punschrau von dem Angriff verständigt worden. Es kam besetzt mit 25-30 Leuten ein Auto von dort an, das weiter oben am Schulhause halt machte. Einige Leute stiegen aus, um mit dem Führer des Autos zu verhandeln. Die Ankunft des Wehrwolfautos hatte bewirkt, dass die meisten der Kommunisten das Auto bestiegen hatten. Ihr Führer ging den Wehrwolfführern entgegen und es kam zu der Verständigung, dass die beiden Autos sofort abfahren würden. In dem Augenblicke aber, als die Wehrwolfführer dem Gasthause zugingen, wurde der eine Führer mit einer Latte über den Kopf geschlagen, dass er in die Knie sank, es gelang ihm aber, die Latte zu fassen, mit der er sich verteidigte; jetzt bekam er einen Steinwurf gegen den Kopf. Da den Verfolgten die Haustür vor der Nase zugeschlagen war, wurden mit einem Gartenstuhl und mit Steinen Fenster in den beiden Gaststuben eingeschlagen." (Hassenhausen)

Der Bericht des Polizeipräsidiums Weissenfels erhärtet diese Angaben, Zitat:

"Diese [die Roten Sportler] verliessen sofort ihre Wagen und stürzten sich auf Angehörigen des Wehrwolfs, warfen mit Steinen, schlugen mit Latten, die sie auf den Wagen mitgeführt hatten und stachen auch mit Messern auf die Gegenseite ein." (Zusammenstösse)

"Die Autos fuhren [von Hassenhausen] ab; da aber die Nummer festgestellt war, wurden sie nach Anruf aus Hassenhausen in Weimar von der Polizei in Empfang genommen und die Insassen durchsucht. Waffen wurden bei ihnen nicht gefunden; dagegen waren Dolche, Messer und Schlagringe, die weggeworfen worden waren, im Auto gefunden worden. Auffallend war, dass die Aussagen der Rotsportler übereinstimmten, sie hätten nichts gesehen. Es fuhr aber eine Frau B. aus Berlin mit, welche die Gelegenheit benutzte, auf billige Weise ihre Verwandten in Erfurt zu besuchen. Sie machte abweichende Aussagen. Sie hatte gesehene wie ein junger Mann mit grünen Strumpfgamaschen mit einer Latte auf einen der Wehrwolfführer G. einschlug und wie T. mit einem Stein warf und einer der beiden Fenster zerschlug. Das wollte sie von ihrem erhöhten Stand auf dem vorderen Auto deutlich beobachtet und dann im Auto, als die beiden neben ihr standen, auch gehört haben, wie die beiden sich ihrer Heldentaten rühmten." (Hassenhausen)

"Hauptschuldig an dem Vorfall ist der Führer des Kraftwagen I A 71921 aus Berlin, der einen Wehrwolf zuerst angriff und damit das Signal zu dem Überfall gab." (Zusammenstösse)

Das Schöffengericht Naumburg verurteilt am 18. März 1931 den 20 Jahre alten Kupferschmied Georg St. aus Berlin zu einem Jahr Gefängnis und den Arbeiter T. aus Berlin zu 6 Monaten Gefängnis.

 

 

Wehrwolf-Treffen in Naumburg und Bad Kösen 1930

 

Aus den Wehrwolf-Reichsrichtlinien

"Der Wehrwolf ist eine politische Bewegung der neuen Form. Die neue Front richtet sich gegen das System eines undeutschen Parlamentarismus, gegen eine Formaldemokratie ohne Inhalt, gegen die Vorherrschaft der Parteien und der hinter diesen stehenden Geldmächte."

(Wehrwolf-Reichsrichtlinien)

Zum 8. bis 9. Juni 1930 (Pfingsten) ruft der Wehrwolf zum  Bundestreffen nach in Naumburg auf. "Von Samstagabend ab rollten Lastwagenzüge um Lastwagenzüge in Richtung Naumburg und Umgebung, die Tausende von Wehrwölfen aus allen Gauen ins Thüringer Land brachten." (Kamerad, 122)

Viele Teilnehmer beziehen in den umliegenden Dörfern von Naumburg und Bad Kösen Quartier. Am Sonntag konnte man an Führungen auf die nahgelegenen Burgen teilnehmen. Nachmittags sahen die Teilnehmer sportlich Vorführungen.

Im Der Wehrwolf, herausgegeben von Fritz Kloppe, Nummer 16 vom 1. Brachet (Juni) 1930, erscheint das umfangreiche Programm nebst vielen Hinweisen zur An- und Abreise. Natürlich kommen die etwa 2 000 Teilnehmer aus ganz Deutschland nicht nur Naumburg und Bad Kösen unter. "Die Wehrwolfkämpfer aus dem schwer um ihr Deutschtum kämpfenden Grenzgebieten Ostpreußen und Danzig Grenzmark Polen-Westpreussen und Schlesien kommen zu uns und rufen uns zu: Vergesst den deutschen Osten nicht!" (Pfingsttagungen 7.6.1930) Viele finden ein freundliches Gastquartier auf den Dörfern der Umgebung. Noch am Tag der Anreise unterhält man sie mit Kompanie- und Manöverbällen. So belebt das Treffen das Gastgewerbe, was ganz willkommen ist. Ganz unauffällig verzahnen sich Politik und geschäftliches Interesse. Die Organisationsleitung empfiehlt jedoch nur die Etablissements, welche im Organ des Wehrwolfs inserieren, was denen, die nicht berücksichtigt werden, nicht besonders gefällt. Im Programm steht unter Pfingstmontag: "Sonst zwangloses Zusammensein der Kameraden im Leichten Wagner und Alt-Naumburg." Im Leichten Wagner befindet sich das Büro und der Treff der NSDAP-Ortsgruppe Naumburg.

Aus Anlass des Treffens erhält der Bundesführer am 7. Juni in der Stadtzeitung unter den Titel Wir Wehrwölfe Gelegenheit das politische Konzept den Bürgern darzustellen. Kurz und prägnant erläutert er die Ziele und Interessen seines Wehrverbandes. Die Erziehung zum Gemeinschaftssinn, legt Fritz Kloppe dar, erfolgt in Anlehnung an das Frontsoldatentums.

Gradierwerk in Bad Kösen (2012), 320 Meter lang, 20 Meter hoch gehört zur im 18. Jahrhudert erbauten Saline mit einem 180 Meter langen Gabelgestänge
 
Landstraße zwischen Naumburg
und Bad Kösen (2006)

Der zweite Gründungsgedanke war die Formierung von Widerstand gegen die Feindbundpolitik. Ein Anlass hierfür bildete die Forderung der Ente zur Auslieferung der deutschen Kriegsverbrecher. Unser Volks muss politisch sicher werden, will der Wehrverbandführer. Politisch betätigen wir uns als, erteilt er weiter Auskunft, als Teil der Widerstandsbewegung gegen die internationale Hochfinanz, gegen den westlerischen Kapitalismus, gegen eine uns artfremde Zivilisation.

 

Am Grab von Fischer und Kern

Fritz Riedel, geboren 1. April 1901, wohnhaft Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstraße 38, Vorsitzender der Ortsgruppe des Wehrwolfs Berlin, der in Hassenhausen Quartier genommen hatte, besuchte mit seiner Frau am Sonntag die Rudelsburg. Von dort wanderte er zu Fuß zusammen mit etwa fünfzehn Kameraden zum Friedhof nach Saaleck. Angeblich baten die ihm einige Worte des Gedenkens am Grabe von Fischer und Kern zu sprechen. Ob dies so spontan vor sich ging, wie es Fritz Riedel dann vor dem Gericht in Naumburg darstellt, daran kommen Zweifel auf, weil schon lange vorher ein Programm für den Ablauf des Wehrwolftreffens bestand. Der Wehrwolf, Juni 1930, Nummer 12, veröffentlicht das Programm zum Treffen am 8. und 9. Juni 1930. Für Pfingstsonntag (8. Juni), 4 Uhr, kündigt es an:

Opfergruppen-Feierstunde
auf dem Friedhof von Saaleck
.

Blick zur Rudelsburg und Burg Saaleck (2007).

Blick zum Dorf Saaleck mit Kirche und Friedhof (2004).

Hierüber berichtet die Weißenfelser Polizei:

"Für 16 Uhr war eine Feierstunde auf dem Friedhof von Saaleck angesetzt. Im Programm heißt es `Feierstunde an den Gräbern der gefallenen Helden des Weltkrieges in Saaleck`. Auf dem Friedhof in Saaleck befindet sich das Grab der beiden Rathenau-Mörder Kern und Fischer. Die Gedächtnisfeiern wurden dann auch nur an diesem Grab abgehalten. Die Bundesleitung des Wehrwolfs hatte es zweifellos nur nicht gewagt, öffentlich zu einer Feierstunde an diesem Grabe aufzurufen, weil es die Verherrlichung des politischen Mords und einen Verstoß gegen das Republikschutzgesetz bedeutet hätte."

"Die Feierstunde war keine geschlossene Veranstaltung. Die einzelnen Ortsgruppen rückten geschlossen aus ihren Quartieren an, verweilten meist schweigend einige Minuten am Grabe und entfernten sich wieder. Gleichzeitig wurde das Grab von zahlreichen anderen Personen - Ausflüglern, u. a. - laufend aufgesucht." (Lotze, 10. Juni 1930)

Auf dem Friedhof von Saaleck richtet Fritz Riedel an seine Mitkämpfer und einige andere Teilnehmer folgende Worte:

"Kameraden,
hier ruhen die Kern und Fischer. Sie waren zwei echte deutsche Jungs, die alles für ihr Vaterland taten. Sie haben das Vaterland von jemand befreit. Sie haben aber nicht daran gedacht, dass es in Deutschland ganz andere Schandflecken [Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten?] gibt, die beseitigt werden müssen und die wir beseitigen müssen. Unseren toten Kameraden ein dreifaches Heil." (Riedel-Prozess)

Herr Krügen, Polizeipräsidium Weißenfels, stellt am 16. Juni 1930 beim Oberstaatsanwalt von Naumburg gegen Riedel wegen Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz der Republik eine Strafanzeige. Er stützt sich dabei auf den Bericht seines Mitarbeiters, Kriminalsekretär Lotze. Der hörte unweit der Gräber dem Redner aufmerksam zu. Als der seine Ausführungen beendet hatte, wendet er sich für ganz kurze Zeit zwei Landjägern am Eingang des Friedhofs zu. Erst danach notierte er die gesprochenen Worte von Fritz Riedel in sein Notizbuch. Möglicherweise gibt deshalb der Kriminalsekretär, macht das Schöffengericht Naumburg geltend, die Worte von Fritz Riedel ungenau wieder und spricht den Angeklagten am 11. September 1930 frei.

Längst nicht alle Einwohner von Saaleck und Umgebung teilen die Ansichten von Fritz Riedel zu Kern und Fischer als

"zwei echte deutsche Jungs, die alles für ihr Vaterland taten".

Die humanistisch-demokratisch gesinnten Bürger verurteilen die Ehrung der Mörder.

"Im Gespräch mit Personen aus Saaleck konnte die Feststellung gemacht werden,"

stellt Lotze von der Polizei Weißenfels (1930) fest,

"daß der dortigen Bevölkerung der mit dem Grabe betriebene Kult zu weit geht und geradezu eine Verletzung Andersdenkender darstellt." (Lotze 1930)

 

Überfall in Altenburg (Naumburg)

Altenburg (Almrich) um 1930, heute Stadteil von Naumburg

Pfingstmontag 8.30 Uhr tagen die Vertrauensleute der Wehrwölfe im großen Saale des Kurgartens in Bad Kösen. Um 11.50 Uhr treten die Mitglieder und Sympathisanten vor dem Gradierwerk (Bad Kösen) an. Etwa 1 700 Teilnehmer mit 152 Fahnen und Wimpeln,voran die schwarze Fahne mit dem Totenkopf, bewegen sich bald in Richtung Naumburg. Gegen 12.45 Uhr passiert die Kolonne den Ortsausgang. Auf der Landstraße (Panoramakarte) bestehen bedingt durch starken den Pfingstausflugsverkehr chaotische Verhältnisse. Der Zug streckt sich immer mehr und erreicht eine Länge von mindestens zwei Kilometer. Drei Landjäger auf Fahrrädern eskortieren ihn. Sie fahren den Zug in seiner gesamten Länge ab und beobachten ihn. Nachdem die Hälfte des Zuges Altenburg passiert, kommt der Tross ins stocken. Viele Teilnehmer hielten die Marschordnung nicht ein und machten am Rande der Straße Rast.

Gegen 13.35 Uhr kommt es am Westausgang Altenburgs zwischen Wehrwölfen und Roten Sportlern zu einer Schlägerei.

Ein Überfallkommando wird herbeigeholt. Am Tatort steht ein Lastkraftwagen, dessen Windschutzscheibe zertrümmert und der auch ansonsten ziemlich mit Steinwürfen zugerichtet ist. Die Zündkabel sind herausgerissen. Im Wageninneren befinden sich Steine. Am Straßenrand liegen schwer und leicht verletzte Personen. Führer des Lastkraftwagens "III. 5136" war Richard Kauroth (Leipzig). Als Anführer des "Trupps der Arbeiter" gilt Wilhelm Schön (Leipzig, Thaerstraße 11). Mit Verletzungen werden in das Krankenhaus Naumburg eingeliefert: Arbeiter Hubert Müller (Leipzig, Sternwartenstraße 6), Arbeiterin Frieda Bothe (Leipzig, Jahnstraße 5), Arbeiter Franz Klockow (Leipzig, Gerberstraße 53), Arbeiter Karl Richter (Leipzig, Inselstraße 15), Arbeiterin Clara Lange (Leipzig, Sydonienstraße 43), Arbeiterin Rosa Lange (Leipzig, Lützowstraße 30), Arbeiterin Auguste Hartich (Leipzig, Friedrichstraße 45) und Werner Kaphahn (Leipzig, Bayerischestraße 79).

Nach dem Abtransport der Verletzten führt die Polizei weitere Ermittlungen durch.

[1.] Als Zeuge tritt auch Walter Fieker (Naumburg, Reußenplatz 17) auf. Danach sind an dem Ereignis ein Lastkraftwagen mit Roten Sportlern und der Zug der Wehrwölfe beteiligt (vgl. Lotze 1930).

[2.] Herr Hüniger, Geschäftsführer des Landwirtschaftlichen Vereines, Naumburg, "will gesehen haben", "daß die Roten Sportler vor dem Zusammenstoß ein meist mit Frauen besetztes Wehrwolfauto belästigten und während der Vorbeifahrt nach den Insassen mit Händen schlugen." (Lotze 1930)

Arbeiter Fritz Ziege, 27 Jahre alt, wohnhaft Bad Kösen, Burgstraße 10, sagt aus:

[3.] "Ich war heute mit meinem Fahrrad unterwegs. Als ich mich auf der Rückfahrt von Kösen befand, begegnete mir gegen 1.30 Uhr zwischen Altenburg a. S. und Schulpforte der in Anmarsch befindliche Zug des Wehrwolfs, der nach Naumburg marschieren wollte. Der Zug war etwa 2000 Mann stark. Ich habe gesehen, daß etwa 50 Meter hinter dem Wehrwolfzug langsam ein L.K.W., der mit roten Sportlern besetzt war, fuhr, die sich auf der Rückfahrt von Erfurt befanden. Das Sportlerauto wurde von Wehrwolfauto, welches meistens nur mit Frauen besetzt war, überholt. Plötzlich trennten sich 50 bis 60 Mann von dem Wehrwolfzug und stürmten auf die roten Sportler zu. Es wurde mit Steinen geworfen, auch habe ich gesehen, daß Wehrwolfleute mit der Fahnenspitze nach den Insassen des Sportlerkraftwagens stachen. Die Insassen des Sportlerautos sprangen von ihrem Wagen herunter und suchten das Weite, wurden aber von den Wehrwolfleuten weiter verfolgt und mit Steinen beworfen. Nach meiner Überzeugung handelt es sich um einen regelrechten Überfall von Seiten der Wehrwolfleute; von Seiten der Sportler wurde nichts unternommen, sie konnten sich nicht einmal wehren, da sie nichts in den Händen hatten.

Betonen möchte ich noch, daß ich etwa 3 Schüsse gehört habe, die von Seiten des Wehrwolfs gefallen sind. Gez. Fritz Ziege" (Ziege 1930)

"Die weiteren Feststellungen", heißt es im Polizeibericht, "über den Zusammenstoß ergaben folgendes Bild:

Der mit roten Sportlern besetzte LKW. holte den Zug der Wehrwolf Leute einige 100 m vor Altenburg auf. Ein großer Teil des Wehrwolfzuges machte kehrt und griff die Sportler an. Es erscheint ausgeschlossen, daß die wenigen Sportler es wagten, die große Mehrheit des Wehrwolfs anzugreifen; die Schuld ist hiernach auf Seiten des Wehrwolfs zu suchen." (Lotze 1930)

 

Bericht der Roten Fahne (Berlin) vom 11. Juni 1930
zum Überfall zwischen Almrich und Schulpforte

 
 

 

Kundgebung auf dem Markt

Naumburg mit Markt (vor 1945)

Schließlich formiert sich der Zug gegen 14 Uhr zur Kundgebung auf dem Markt von Naumburg (Stadtplan). Angetreten sind allein 2 800 Mitglieder des "Wehrwolfs". Aber: "Keine Masse ist es die aufmarschiert. Keine Lauen, keine Feiglinge, keine Spießer, duldet der Wehrwolf in seinen Reihen! Nicht durch die Zahl wankelmütiger Massen will der Wehwölfe wirken, sondern durch Kämpfer, die ihr Alles hingeben und wenn es sein muss, ihr Leben." (Pfingsttagungen 7.6.1930)

Das Presseorgan des Wehrwolfs berichtet:

"Viele Tausend Zuschauer hatten den Marktplatz und die umliegenden Straßen während der Kundgebung und der Vorbeimarsches umsäumt."

Das Polizeipräsidium Weissenfels (Volksbote, Zeitz, 10.6.1930) zählte 1 596 Personen. Weiter heisst es im Jubelbericht:

"Anwesende Vertreter befreundetet Organisationen brachten dem Wehrwolf Grüße, insbesondere die Bundesleitung des Oberland, der Schlagetergruppe, der Reichsflagge, und einer Studentengruppe. Dann sprach Fritz Kloppe. Er knüpfte an seine Rosshäuserrede an, mit der er Selbstbestimmung, Selbstzucht und Kameradschaftstreue für seine Wehrwölfe gefordert hatte. Sie sind die Grundlage für ein neues Volk ... Die Kraftquellen und das Schicksal Deutschlands sei Blut und Boden." (Bericht 1930)

Der Führer des Wehrwolfs appeliert in seiner Rede an den Geist der Kameradschaft und ruft auf zum Kampf um die Freiheit Deutschlands. Außenpolitisch erstreben wir die Befreiung von der Sklaverei. Der Kampf, so seine Losung, muss fortgeführt werden bis zur Schaffung eines freien, großen und wehrfähigen Deutschlands. Das Republikschutzgesetz der Weimarer Republik nennt Kloppe ein "Maulkorbgesetz". Der Arbeitslosigkeit will der Wehrwolf mit der Einführung eines Arbeitsdienstjahres begegnen. (Vgl. Lotze 1930)

Das Wehrwolf-Treffen 1930 "hat die enge Verbundenheit zwischen diesem und den Nationalsozialisten gezeigt. Die an den LKW. angebrachten Transparente trugen dieselben Losungen, wie sie von Seiten der NSDAP. bekannt sind. Immer wieder waren folgende Aufschriften vertreten.

Deutschland erwache,
Wir sind die Soldaten der nationalen Revolution,
Unser Glaube sind die Gewehre,
Gegen Sklavensumpf für die nationale Revolution
u. a. m.

Von den Lastkraftwagen wurde ständig geschrieen:

Deutschland erwache, Juda verrecke!" (Lotze 1930)

"Gegen 16 Uhr verließen die Wehrwölfe Naumburg, gegen 18 Uhr hatte die große Mehrzahl die Rückfahrt angetreten. Zwischen sich begegnenden gegnerischen Transporten blieb es bei Heil- und Niederrufen, woran sich die auf dem Bismarckplatz in Naumburg eingefundene Bevölkerung stark beteiligte. Ein von einem Trupp von Wehrwolfleuten gegen 17.30 Uhr unternommener Versuch, mit ihren Koppeln und Schulterriemen gegen politische Gegner vorzugehen, wurde polizeilich unter Anwendung des Polizeiknüppels verhindert. Der Bismarckplatz musste wiederholt durch eingesetzte Weißenfelser Schutzpolizei geräumt werden, was ohne Gewaltanwendung durchgeführt werden konnte." (Lotze 1930)

 

 

Bismarckplatz, heute Theaterplatz, Zeichnung von Unbekannt (1928)

 

 

 

1933

"Nachdem sich der Wehrwolf vor einiger Zeit der obersten SA-Führung unterstellt und damit den Totalitätsanspruch des neuen Staates freiwillig und durch die Tat anerkannt hatte, fand in diesen Tagen überall in Deutschland die
feierliche Aufnahme der Wehrwolfsgliederungen in die SA
statt."
(Kamerad 139)

Die NS-Führung anerkennt die Wehrwölfe als

"Kämpfer für die nationale Erhebung".

 

Kamerad, weißt du noch?, fragen die Wehrwölfe 1934, und erinnern sich:

"Der Wehrwolf .... sah als politisch-soldatische nationalrevolutionäre Freiheitsbewegung in den Jahren 1923-1933 seine Aufgabe in der Sammlung junger deutscher Männer, Frontsoldaten und Frauen zu einem festen Kameradschaftsbund, der seine Mannschaft in bewusster Auslese für die das neue Reich bildendenden und tragenden Gedanken vorbereitete und schulte. Er war kompromisslos gegen den Weimarer Staat und dessen liberal-kapitalistisches System tätig und suchte zusammen mit den dieses System berennenden Fronttruppen dazu beizutragen, die deutsche Revolution vorzubereiten und herbeizuführen."

 

 

[Bericht] Der Wehrwolf, 7, 1930, 1. Beilage, Nummer 18, 21. Brachet - Juni - 1930

Frankenberger, Kurt: Fertigmachen zum Einsatz. Wehrwolf Verlag, Halle a. S., 2. Auflage, Herbstmond 1931

Kloppe, Fritz: Der Wehrwolf, 7 (1930), 1. Beilage zu Nummer 18 des "Wehrwolf" vom 21. Brachet (Juni) 1930

[Hassenhausen] Die Naumburger Gerichte entscheiden. Grosse Strafkammer am 18. März 1931. In: "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 19. März 1931

Hellmann, Hamburg 1, Brandende: Lebenslauf. 10. August 1934, gez. August Hellmann, unveröffentlicht

Kamerad, weißt Du noch? Erinnerungen aus der Geschichte des Wehrwolfs. 1923 bis 1933.) (Siehe auch: Kamerad, weißt du noch? Der Wehrwolf, Quellentexte zur Konservativen Revolution, Rote Reihe: Die Nationalrevolutionäre, Band 8, von Ernst Kloppe u.a. von Uwe Berg-Verlag, Ausgabe 2006)

Kloppe, Fritz: Wir Wehrwölfe: In: "Der Wehrwolf", Herausgegeben von Fritz Kloppe, 7 (1930) 17, Seite 1

[Lotze] Betrifft: Bundestreffen des Wehrwolfs am 8. Juni und 9. Juni 1930 (Pfingsten) in Bad Kösen und Naumburg. Weißenfels, den 10. Juni 1930. Gezeichnet Lotze. In: Staatsanwaltschaft beim Landegerichte in Naumburg a. S., Strafprozeßakten, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Rep. C 141

Pfingsttagungen in Naumburg - Bad Kösen. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 7. Juni 1930

[Polizeipräsidium Weissenfels] Wehrwölfe und rote Sportler. Mehrere Zusammenstösse bei Naumburg - 6 Schwerverletzte. In: "Volksbote", Zeitz, den 10. Juni 1930

[Riedel-Prozess] Urteil gegen den Arbeiter Fritz R. in Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstrasse …, geboren am … 1901 in Labes (Pommern), Wegen Vergehens gegen § 5 Ziffer 3 und 4 des Republikschutzgesetzes. Schöffengericht Naumburg, 11. September 1930. Landes-Archiv Sachsen-Anhalt, Merseburg C 141, Nr. 81

Wehrwolf-Reichsrichtlinien. Flugblatt. Wehrwolf Verlag, Halle a. S., ohne Jahr. Bundesarchiv Berlin, NJ 26, 4106-64826

[Wehrwölfe] Kloppe, Fritz: Wir Wehrwölfe. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den
7. Juni 1930

[Zusammenstösse] "Wehrwölfe" und rote Sportler. Mehrere Zusammenstösse bei Naumburg. 6 Schwerverletzte. [Bericht des Polizeipräsdiums Weissenfels] In: "Volksbote", Zeitz, den 10. Juni 1930

[Ziege, Fritz] Aussage von Fritz Ziege vom 9. Juni 1930. In: Staatsanwaltschaft beim Landgerichte in Naumburg a. S., Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Strafprozeßakten, Rep. C 141

Autor:
Detlef Belau


Geschrieben: April 2005. Aktualisiert: 22. April 2009

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