zurück

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Uta, die Bewahrerin
deutscher Zucht und Sitte

 

"Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert - das Medium, in dem sie erfolgt - ist nicht nur natürlich," lehrt Walter Benjamin (1892-1940), "sondern auch geschichtlich bedingt." Dieses Phänomen ist eindrucksvoll bei der Rezeption der Stifterfiguren im Westchor des Naumburger Doms während der Herrschaft des Nationalsozialismus zu beobachten. In der Fachwelt gelten sie als typische Werke der deutschen Kultur. Zur Popularisierung trug wesentlich das 1925 erschienene Buch Der Naumburger Dom und seine Bildwerke von Walter Hege (1893-1955) und Wilhelm Pinder (1878-1947) bei. In der Folgezeit zieht der Naumburger Dom immer mehr Besucher an: 34 000 im Jahr 1934, 80 000 dann 1936 und 1938 sogar 93 000. Selbst im Repräsentationsbau Carinhall von Hermann Göring (1893-1946) in der Schorfheide befinden sich Kopien der Stifterfiguren. Ein Foto zeigt Emmy Göring 1938 mit dem Kinderwagen unter der Statue der Gerburg. Im gleichen Jahr formuliert Robert Langermann (Naumburg) im Uta-Gedicht die Kernidee des Kults:

Du hohes Sinnbild deutscher Frauenwürde!
Präg Dich dem Volk für alle Zeiten ein
.

 

Naumburger Dom (2005)
Der Naumburger Dom zieht immer mehr Besucher an. 34 000 kunst- und kulturinteressierte Bürger besichtigen 1934 das bedeutende Baudenkmal, 80 000 im Jahr 1936 und 1938 bereits 93 000.

Zur wachsenden Popularität der Stifterfiguren trägt das erstmals 1934 aufgeführte Theaterstück "Uta von Naumburg" von Felix Dhünen (1896-1939) bei. Der Autor geriert sich in der Öffentlichkeit als Spross einer Offiziersfamilie, die den Begriff Ehre im Erbgut trägt. "Militärische Lehrjahre im Kadettenkorps vertieften den Begriff", erklärt Doktor Kurt Pfeiffer den Lesern der Stadtzeitung. Und weiter: "philologische Studien verschafften wissenschaftliches Rüstzeug, letzte Erfüllung aber fand sein Leben erst im Beruf des Bildhauers. Daß er um die Seele des Steins weiß, das verrät sein Erstlingswerk Uta von Naumburg."

Felix von Dhünen kommt es nicht auf historische Treue an, so damals die Theater-Kritik. Sondern er will "Die Umdeutung des Zeitenumbruchs auf die Formel: "Heidentum - Christentum". Dies "ermöglicht dem Dichter, auch rassischen Fragen nachzugehen, wie sie sich aus dem Wesen nordischer Glaubensgemeinschaft von selbst ergeben." "So wurden

Uta, die Bewahrerin deutscher Zucht und Sitte,

und Ekkehard, Inbegriff des Verteidigers deutscher Scholle, zu Menschen unserer Zeit." (Pfeiffer 1934) Die Theater-Vorstellung im Beisein von NSDAP-Kreisleiter und Oberbürgermeister Friedrich Uebelhoer, "erntete" laut Dr. Kurt Pfeiffer "reichen Beifall". Das überlebte Frauenbild dieses Uta-Kults bringt die folgende Textstelle aus dem Stück (67) zum Ausdruck:

"Uta: Ich bleib`an deiner Seite, Ekkehart,
Dir Rede stehend, wenn Du mich befragst,
Gehorsam, schutzbedürftig und bereit,
Dir Schmerz lindern, Freude zu erhöhen."

 

Am 4. Juni 1934 gelangte Uta von Naumburg durch das Reußische Theater aus Gera unter Spielleitung von Otto Burger in der Reichskrone Naumburg zur Aufführung. Die Uraufführung fand kurz zuvor in Gera statt. In der Kulturwelt fand dies Anerkennung und Zuspruch. Der Oberspielleiter des Schauspiels und Regisseur Otto Burger, berichtet Signale - Für die musikalische Welt am 13. Juni 1934, ist wieder verpflichtet worden.

Auch an vielen anderen Orten Deutschlands und Österreichs kommt Felix Dühnens eindrucksvolles "Spiel vom Sieg des Blutes" noch zur Aufführung. Beispielsweise im Kloster zu Eberbach am Sonntag, den 26. Juni 1938, in einer Freilichtinszenierung einer Theatergruppe des SS-Oberabschnitts Rhein. Unter Regie der SS konnte eine künstlerisch wertvolle und weltanschaulich einwandfreie Darbietung garantiert werden, hieß es in einer Retrospektive. Die Mecklenburgische Landesbühne, meldet das Neue(s) Wiener Tagblatt am 5. Oktober 1938, führt das Theaterstück Uta von Naumburg auf Anregung des Gauleiters und Reichstatthalters Hildebrandt im Rahmen der Gaukulturwoche auf. Der Leiter des Reichsamtes Feierabend in der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude Karl Maria Holzapfel plant den 1943 den Einatz des Theaterstücks zur kulturellen Truppenbetreuung.

 

 

Gaukulturwoche Halle-Merseburg


24. Februar
Tag der Musik
in der Händelstadt Halle

25. Februar
Tag des Schrifttums
und der Presse in der Lutherstadt Wittenberg

26. Februar
Tag der bildenden Kunst in der Uta-Stadt Naumburg

27. Februar
Tag der Bewegung
in der Gaustadt Halle

28. Februar
Tag des Film
in der Filmstadt Wolfen

29. Februar
Tag des Rundfunks
in der Arbeiterstadt Leuna

2. März
Tag des Theaters
in der Goethestadt Bad Lauchstädt

 

Vom 24. Februar bis 2. März 1938 findet im Gau Halle-Merseburg die Kulturwoche statt. Träger ist die Reichskulturkammer in Zusammenarbeit mit der NSDAP-Gauleitung Halle-Merseburg. Das Programm kündigt für den 26. Februar in der Utastadt Naumburg den

Tag der bildenden Kunst

an. NSDAP-Kreisleiter und Oberbürgermeister von Naumburg Friedrich Uebelhoer (1893-1950) fordert im "Aufruf an die Naumburger und Naumburgerinnen!":

"In allen Straßen sollen die Fahnen der Bewegung kundtun, daß Ihr Verständnis für die lebendige Verbindung des früheren Wirkens unseres unbekannten großen Meisters gerade mit der heutigen Zeit und ihren gewaltigen kulturellen Aufgaben habt!" (Uebelhoer 19.2.1938)

Der "Aufruf" dient dem Zweck, die Meisterwerke im Westchor des Naumburger Doms in die nationalsozialistische Kulturpolitik einzubinden und für die politische Propaganda zu instrumentalisieren.

Dazu erbrachten bereits vor 1933 die Gelehrten der Universitäten, Hochschulen und Institute mit der sozialpolitischen und ästhetischen Erschließung solcher Begriffe wie "Rasse", "Blut", "Volksgemeinschaft", "nationale Erhebung", "Vaterland" und "das wahrhaft Deutsche" notwendige Vorleistungen. Stolz erklärt beispielsweise 1934 der Kunsthistoriker August Schmarsow (1853-1936):

"Mit dem Unterschied zwischen den Paaren [im Westchor] - hier stehen wir vor einer Rassenfrage, die ich schon 1892 richtig zu lösen vermochte."

Einige Theorie- und Ideologieproduzenten des Nationalsozialismus sind sich ihrer politischen Funktion nicht bewusst. Andere wiederum verknüpfen ihre kunsthistorischen Exkurse und Hypothesen offen mit dieser politischen Bewegung. Die meisten folgen nur dem Mainstream der Gegenaufklärung: Sozialdarwinismus - Rassismus - Biologismus.

So war es also keine allzu schwere Aufgabe für die Reichskammer der bildenden Künste und die Abteilung Bildende Kunst im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, den Kulturschatz des Naumburger Doms einer nationalsozialistisch kohärenten ästhetischen Interpretationsweise zu unterwerfen. Die Stifterfiguren im Westchor werden dazu als in Stein gelebte "Verwirklichung des deutschen Gemeinschaftsgedankens" beschworen. Ihr Eigenleben gründet sich auf der unauflösbaren Einheit von der "Idee der höheren Gemeinschaft", geprägt durch die "Wesensverwandtschaft des deutschen Blutes" und der "deutschen Wehrhaftigkeit", und erweckt deshalb Empfindungen wie Stolz. Aus dem "deutschen Blut" entspringt die Treue. In ihr bewährt sich der "deutsche Glauben", weshalb die Stifterfiguren Ausdruck "heldischen Geistes" und "erwachten Selbstbewusstseins" der nationalen Erhebung sind. (Siehe auch Kurt Pfeiffer 1934, Kunst der Alten 1938) Dies steht im Einklang mit der Erziehung zum nationalsozialistischen Menschen und damit im Gegensatz zum liberalen Individualismus.

Die intellektuelle Elite wirkt entscheidend an der propagandistischen Finalisierung des nationalsozialistischen Uta-Kults mit. Beispielsweise doziert Kunsthistoriker Professor Leo Bruhn (1884-1957) 1934 in einem Vortrag, zu dem der Kampfbund für deutsche Kultur in Naumburg eingeladen hatte, über "das typische Deutsche an unserem Naumburger Dom", den erlebbaren "Gemeinschaftsgedanken" und die "Ausprägung des Heldtischen". Die Stifterfiguren in der Form von Statuen und nicht in liegenden Grabmählern darzustellen, interpretiert er als "Ausdruck deutschen Trotzes und deutschen Selbstbewusstseins".

Uta und Ekkehard im Westchor des Naumburger Doms

Aus: Der Naumburger Dom und seine Bildwerke. Aufgenommen durch Walter Hege und beschrieben von Wilhelm Pinder. Deutscher Kunstverlag, Berlin 1925

Uta wird "zur Identifikationsfigur nationalsozialistischer Kampfrhetorik". "Ja, am Ende erschien sie geradezu als First Lady des Dritten Reiches, ersatzweise, da Eva Braun (ihrerseits oft einsam und unglücklich) von Hitler auf dem Obersalzberg versteckt gehalten wurde." So beschreibt Professor Wolfgang Ullrich 1998 die Propaganda um Uta und Ekkehard. Im selben Jahr legte der Münchner Kunsthistoriker eine aufregende Interpretation zur Rezeptionsgeschichte der Stifterfiguren des Naumburger Doms vor. Am Ende seines Buches fragt er:

"Muss es nicht auch an ihnen selbst [den Stifterfiguren] liegen, wenn sie so einseitig zum Objekt von Trivialität und Ideologie wurden?"

Gibt es denn tatsächlich Analogien zwischen dem Werk des Naumburger Meisters und der NS-Ästhetik? Die Stifterfiguren im Westchor sind Avantgardekunst und fallen stilistisch aus ihrer Zeit heraus. Sie erzählen in originärer Weise die Geschichte der Region. Ihre Sinnkonstruktion steht in keiner inneren Beziehung zum Ästhetizismus des Nationalsozialismus. - Wir können den Naumburger Meister nicht dafür verantwortlich machen, dass die Nazis sein Werk für ihre Kunst- und Kulturpolitik instrumentalisieren. Sein Werk gehört ohne jedes Ressentiment zum Schatz der deutschen Kultur, Geschichte und Kunst.

 

Der Kampfgau Halle-Merseburg feiert unter dem Protektorat von NSDAP-Gauleiter und Staatsrat Joachim Albrecht Eggeling vom 24. bis 28. Februar 1938 die erste Gau-Kulturwoche. Für den 26. Februar steht der Tag der bildenden Kunst in Naumburg auf dem Programm. Zur Einstimmung darauf, lobt Friedrich Uebelhoer die nationalsozialistische Kulturpolitik mit folgenden triumphalen Worten:

"Es blieb dem Nationalsozialismus vorbehalten, das deutsche Volk wieder zu seinen Kulturgütern und damit zu den ewigen Quellen seiner inneren Kraft zurückzuführen." (Uebelhoer 19.2.1938)

Tatsächlich war es etwas anders:

"`Wir wollen ja keine Kulturarbeit,
wir pfeifen darauf!
Wir wollen,´"

sagte Heinrich Hacker am 25. April 1930 in der Stadtverordnetenversammlung von Naumburg,

"`die Judenknechte nur an den nächsten Baum hängen und Schwenke [SPD] und Wallbaum [SPD] als abschreckendes Beispiel für die anderen als erste dazu verwenden.´" (Stp)

So verstand der NSDAP-Stadtverordnete die Kulturpolitik. Hintergrund für seine Ausfälle war die Antwort des Reichsbanners auf die schweren Störungen der NSDAP und Sturmabteilung (SA) bei der SPD-Versammlung am 10. April 1930 in Freyburg (Unstrut). (Siehe Schützenhaus-Prozesse.)

 

Erläuterung zu Heinrich Hacker:

Die schweren Angriffe von Heinrich Hacker (NSDAP) auf Wilhelm Schwenke, geboren am 18. März 1888, SPD, Führer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Naumburg, und Eugen Wallbaum, 1876-1954, SPD, Vorsitzender des Kultur-Kartells Naumburg, sind durch andere, sozusagen amtliche Quellen dokumentiert und nachgewiesen worden. Hacker bestreitet übrigens im Brief vom 18.6.1930 an den Oberbürgermeister von Naumburg, die Worte "die Judenknechte nur an den nächsten Baum Hängen", je gesagt zu haben. Unbestritten ist hingegen seine Morddrohung gegenüber Wilhelm Schwenke und Eugen Wallbaum in der Stadtverordnetensitzung vom 25. April 1930. Der NSDAP Stadtverordnete aus Naumburg (Saale) macht als SA-Brigadeführer (1934), SA-Gruppenführer (1940) und Führer der SA-Gruppe im Wartheland Karriere.

 

Am Tag der bildenden Kunst versammeln sich um 16 Uhr die führenden Vertreter von Partei, Wehrmacht und Staat mit dem Gauleiter Eggeling an der Spitze zu einer Kundgebung im Saal des Naumburger Ratskellers. Der Abteilungsleiter in der Reichskammer der bildenden Künste Hans Sachs und der Leiter der Abteilung Bildende Kunst im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Dr. Franz Hof[f?]mann, küren die Stifterfiguren als "Vorbild der deutschen Art" und warnen eindringlich vor dem Einfluss des Bolschewismus in der Kunstpolitik. (Vgl. Kunst der Alten 1938)

Den Höhepunkt des Tages bildet die Feierstunde im Westchor des Doms. Grete Vade vom Stadttheater Halle spricht Uta-Dichtungen von Freiwald, Lüddecke, Brockmeier und Hans Schwarz - begleitet vom Domorganisten Doktor Walter Haacke (1909-2002) und dem Mitteldeutschen, Landesorchester unter Leitung von Gerhard Hünecke. Roland Langermann trägt das Gedicht Uta vor.

Weihnachten 1939 erscheint das erste Mal der Naumburger Feldpost-Brief, um den "Kampf- und Siegeswillen" der Frontsoldaten zu stärken, wie es im Grußwort des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Josef Goebbels, heißt. In der Oktoberausgabe 1940 erfährt der Leser dann auf der ersten Seite, dass Naumburger Soldaten nun

"vom Nordkap bis hinunter zur Biscaya und auf allen Meeren" "auf der Wacht [!] für Heimat und Vaterland" stehen!

Rechts daneben ein Großfoto von Uta und Ekkehard im Westchor. Der Text instruiert die Soldaten:

"Seht Euch Ekkehard und Uta aus dem Dom zu Naumburg-Saale an, Kameraden! Beide sind die berühmtesten unter den Steinernen Wundern, die ein Unbekannter, der Naumburger Meister, vor nunmehr rund 700 Jahren geschaffen. Sind sie nicht gerade wieder in dieser Zeit mit das beste Sinnbild des deutschen Freiheits- und Kampfeswillens??!" Ekkehard Blick sagt "`Wehe dem, der uns zu nahe kommt!`"

"Neben ihm Uta, seine Frau. Ihr Blick geht in die weiteste Fernen, gerade so, als schaute sie Euch Kameraden an der stählernen Front um Großdeutschland!"

"Aus ihren Augen aber spricht nicht nur innere Festigkeit, sondern auch wie bei Ekkehard eine unbedingte Siegesgewissheit!!"

Hier dient der Uta-Kult zur Kaschierung eines imperialistischen Angriffs- und Raubkrieges. Selbst zur Rechtfertigung der barbarischen Verfolgung und industriell-militärisch organisierte Vernichtung der Juden muss er herhalten.

 

Nationalsozialistischer Propagandafilm

Der ewige Jude (1940)

Regie: Dr. Fritz Hippler, Musik: Franz R. Friedl, Kamera: A. Endrejat, A. Hafner, R. Hartmann, F. C. Heere, H. Kluth, E. Stoll, H. Winterfeld, Schnitt: Hans-Dieter Schiller, Albert Baumeister

Zitat: "Wo Ratten auftauchen, verbreiten sie Krankheiten und tragen Vernichtung ins Land. Sie sind hinterlistig, feige und grausam und treten in großen Scharen auf, nicht anders als die Juden unter den Menschen."

Filmausschnitt (Video)
mit der Uta-Szene

38 Sekunden, wmv-Format, 640 mal 480 Pixel, 4,4 Megabyt. Darstellbar zum Beispiel mit dem VLC media player. Getestet mit dem Microsoft Internet Explorer.

 

Mit dem Slogan

"Hier sehen wir das Wesen der jüdischen Rasse ohne Maske",

kündigen am 31. März 1941 die Reichskronen-Lichtspiele in Naumburg (Bismarckplatz / Theaterplatz 5) den Film Der ewige Jude (1940) an. Im Kommentar zu den Filmbildern heisst es:

"Wo Ratten auftauchen, verbreiten sie Krankheiten und tragen Vernichtung ins Land. Sie sind hinterlistig, feige und grausam und treten in großen Scharen auf, nicht anders als die Juden unter den Menschen."

In einer Bildsequenz erscheint der Bamberger Reiter, gefolgt von einem griechischen Tempel und schließlich die Einblendung der Stifterfigur Uta von Naumburg. Regisseur Fritz Hippler nutzt Uta als Symbol für die Reinheit und Sauberkeit des Deutschen, wofür der Jude kein Organ besitzt, wie es heisst.

Der Film wurde im jüdischen Ghetto Litzmannstadt / Lódz gedreht, wo der ehemalige NSDAP Kreisleiter aus Naumburg, Friedrich Uebelhoer, seit 1. Januar 1940 Regierungspräsident von Kalisch, etwas später von Litzmann, mit der industriellen Vernichtung der Juden beschäftigt ist. Am 10. Dezember 1939 erlässt er ein Rundschreiben zur Bildung des Gettos in Lódz, in dem es heisst:

"Die Erstellung des Gettos ist selbstverständlich nur eine Übergangsmaßnahme. Zu welchen Zeitpunkten mit welchen Mitteln das Getto und damit Lodsch von Juden gesäubert wird, behalte ich mir vor. Endziel muß jedenfalls sein, daß wir diese Pestbeule restlos ausbrennen." (Longerich, 59 ff.)

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Uta-Kult im Nationalsozialismus bei der Reorganisation der Wahrnehmung und ästhetischen Interpretation der Stifterfiguren verschiedene politische Funktionen übernimmt :

1. Die Kultur- und Geschichtspropaganda des Nationalsozialismus stellt die nationale Erhebung (Hitler) in die Tradition des Kampfes gegen die Slawen zur Grenzsicherung und Erhaltung der germanischen Art. Sodann erscheint deren Macht im kollektiven Geschichtsbewusstsein als Vollendung einer geschichtlichen Mission, gleichsam als Ende der Geschichte. Diesen Gedanken exemplifiziert das Naumburger Tageblatt am 6. September 1934 mit der Überschrift, die

"Deutsche Lebensform
für 1000 Jahre endgültig bestimmt".

2. Mit Stilisierung der Uta von Naumburg zum Typus deutscher Art wird das ewige Deutschtum weiter glorifiziert und das Herrenmenschentum ästhetisiert.

3. Ekkehards Blick - Wehe dem, der uns zu nahe kommt! - erhält einen neuen Sinn, dessen Kontext der NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer im Naumburger Feldpost-Brief  Weihnachten 1939 vorgibt, wenn er von den "menschlichen Hyänen an der Themse" spricht, die "schon lange um uns herumgeschlichen". Ein weiterer Versuch, nun mittels der Naumburger Stifterfiguren, den Angriffs- und Raubkrieg in einen Kampf "Um Großdeutschlands Lebensrecht!" und "Wacht für Heimat und Vaterland" um-zu-lügen.

 

 

Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1967, Seite 14

Bossack, Anne-Franziska: Städtebau zwischen Retrospektive und Avantgarde. Naumburg an der Saale von 1900 bis 1939. Masterarbeit im Masterstudiengang. Denkmalpflege - Heritage Conservation der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Fachhochschule Coburg, Betreuer Professor Achim Hubel, 2. August 2012

Der Naumburger Dom und seine Bildwerke. Aufgenommen durch Walter Hege und beschrieben von Wilhelm Pinder. Deutscher Kunstverlag, Berlin 1925

Dühnen, Felix von: Uta von Naumburg, Schauspiel in drei Akten. 6. unveränderte Auflage Felix Bloch Erben, 1936

Gewaltiger Eindruck der Führerrede. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 27. September 1938

Hege, Walter: Jugenderinnerungen. In: Der junge Walter Hege. Erinnerungen. Herausgegeben von Dr. Siegfried Wagner mit Textbeiträgen von Walter Hege, Kai Agthe, Ursula Diettrich-Wagner und Dr. Walter Weiße. Saale Druck, Naumburg/Saale 1998, Seite 7 ff.. - Die Geschichte vom "verbrecherischen Plan" (Hege) findet sich im Abschnitt "Kino".

[Heldengedenktag] Die Ausgestaltung des Heldengedenktages. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 11. März 1938

Holzapfel, Karl Maria: Kulturelle Truppenbetreuung. [Leiter des Reichsamtes Feierabend in der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude"] "Völkischer Beobachter. Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands". Wien, Mittwoch, den 17. November 1943

Hossfeld, Stadtbaurat: Vom Stadtbild Naumburgs. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 13. Juni 1930

Kriesten, Hannes: Hussitenkriege. Als die Banden der tschechischen Mordbrenner durch Deutschland zogen. Völkischer Beobachter. Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Grossdeutschlands, Norddeutsche Ausgabe, 12. Juni 1938

Kunst der Alten und Kultur des Neuen. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 28. Februar 1938

Langermann, Robert: Uta. "Mitteldeutsche-Nationalzeitung, Ausgabe Naumburg", 27. Februar 1938

[Longerich, Peter] Uebelhoer, Friedrich: Rundschreiben des Regierungspräsidenten von Kalisch. Bildung eines Ghettos in Kalisch. 10. Dezember 1939. In: Peter Longerich unter Mitarbeit von Dieter Pohl: Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation zum Holocaust 1941-1945, Seite 59 ff.

[Nachricht über die Aufführung des Theaterstücks "Uta von Naumburg"] Neues Wiener Tagblatt. Wien, den 5. Oktober 1938, Seite 13

[Nachricht über Otto Burger.] Signale. Für die musikalische Welt. Jahrgang 92, Heft 1924/25, Berlin, den 13. Juni 1934, Seite 402

Pfeiffer, Dr. Kurt: Uta von Naumburg als Drama. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 5. Juni 1934

Bürgermeister Roloff. [Rede auf dem Mädchenkirschfest 1933] In: Ausklang des Mädchen-Kirschfestes. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 1. Juli 1933

Schmarsow, August: Im Stifterchor zu Naumburg. Zeitschrift für Kunstgeschichte, Heft 3, Berlin und Leipzig 1934, Seite 1-17

Uebelhoer, Friedrich: Naumburg und die Gau-Kulturwoche. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, am 19. Februar 1938

Uebelhoer, Friedrich: Naumburger Kirschfest 1938 in neuer Gestalt. Das alte Heimatfest wird nach deutscher Art begangen. In: Agthe, Kai: Das Spektakel zum Mirakel. Ein Lesebuch zum Naumburger-Hussiten-Kirschfest, Wartburg Verlag GmbH, Weimar 2005, Seite 111-115

Uebelhoer, Friedrich: Rede zur feierlichen Wiedereröffnung des Theaters in der Reichskrone am 10. August 1939. Stadtarchiv Naumburg, Einzeldokument

Uebelhoer, Friedrich: Um Großdeutschlands Lebensrecht! In: Naumburger Feldpost-Brief für unsere Soldaten im Felde. Herausgegeben von der Kreisleitung der NSDAP. 1. Folge, Naumburg an der Saale, Weihnachten 1939

Uebelhoer, Friedrich: Rundschreiben des Regierungspräsidenten von Kalisch. Bildung eines Ghettos in Kalisch. 10. Dezember 1939. In: Peter Longerich unter Mitarbeit von Dieter Pohl: Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation zum Holocaust 1941-1945, Seite 59 ff.

Ullrich, Wolfgang: Uta von Naumburg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998

Ullrich, Wolfgang: Uta, das ewige Deutschland. "Die Zeit", Hamburg, 23. April 1998, Nummer 18

[Volksdeutsche] 37 Millionen Deutsche jenseits der Grenzen! "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 7. Juni 1930

Weinberg, Gerhard L.: Deutsch-japanische Verhandlungen. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 4 (1956) Heft 4, Seite 390-395

[Wallbaum, Eugen] Im Mai. Ein Mahnruf von Eugen Wallbaum, Vereinsgeschäftsführer des Männer-Turn-Vereins Naumburg. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 6. Mai 1922

 

 

Bildnachweis

Der Naumburger Dom und seine Bildwerke. Aufgenommen durch Walter Hege und beschrieben von Wilhelm Pinder. Deutscher Kunstverlag. Berlin 1925

 

Autor:
Detlef Belau


Geschrieben: April 2005.
Aktualisiert:
10. Dezember  2012


zurück