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Kurzer Prozess am Sondergericht in Halle (Saale)

 

Arbeiter Wilhelm Kayser: "Das Eiserne Kreuz müsste Zentner wiegen, damit es denen, die es tragen, die Zunge zum Halse heraushängen lässt."   Engroshändler Karl Ebert:
"Den Krieg verlieren wir doch!"
     
Tischlergeselle Franz Melchrick urteilt mit "niederer Gesinnung" über den Führer  

Angestellter Heinz Reinhold: "Na da wollen wir mal einen von den Plutokraten herunterreißen."

     
"Das glauben sie wohl selbst nicht …", schreibt Bankdirektor in Ruhe Richard Hertel am 12. Juni 1942 an das Naumburger Tageblatt.  

Der Rundfunkverbrecher: Lebensmittelhändler Robert Beck

     
Elsbeth Wehrhahn verbreitet ausländische Nachrichten   Kohlenhändlerin Rosemarie Böttger -
Menschlichkeit war ihr Verbrechen!
     
Kunstmaler Otto Gagel  

Hans Wilhelm Stein (Saaleck) und der Vaterlandsverräter Baldur von Schirach

     

Der Wirtschaftsverbrecher:
Rechtsanwalt Paul Herrmann

  Milchhändlerin Helene Fuhrmann - Vor ihrem Haus hält die Anhaltekontrolle.
     
Hinrichtung von Gustav Wolf (Urteil eines Naumburger Gerichts)   Todesstrafe für den
Reichsbahnschaffner Max Thyrassa
und Zugschaffner Erich Rudorf (Zeitz)
     
Fritz B.
Der Ladeschaffner beobachtet wie er ein Paket hinausschafft.
  Richard Kneist entwendet einen Feldpostbrief
     
Kurt K. und Klara H. - Diebstahl    Die Schwarzschlachter
     
Heinz Elste stiehlt Maggi-Würfel   Rollkutscher Robert Gorzel - Differenzen auf dem Milchhof
     

 

Das Sondergericht Halle an der Saale tagt in einem Nebengebäude des Landgerichts. Seine Tätigkeit regelt die Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 21. März 1933, erlassen vom Reichskanzler Adolf Hitler. Paragraf § 4 (1) bestimmt, dass die Sondergerichte in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern entscheiden. " (2) Die Mitglieder und ihre Vertreter müssen ständig angestellte Richter des Bezirks sein, für den das Sondergericht berufen ist. (3) "Die Berufung der Mitglieder und die Geschäftsverteilung erfolgt durch das Präsidium des Landgerichts, in dessen Bezirk das Sondergericht seinen Sitz hat."

Landgericht Halle. Etwa 1910
Alte Postkarte. Künstler und Hersteller unbekannt.

Am 12. April 1933 fällt das Sondergericht Halle sein erstes Urteil. Während des Zweiten Weltkrieges ergehen fast 100 Todesurteile (vgl. Das Sondergericht).

Alle Sondergerichtsprozesse gegen Bürger aus Naumburg (Saale) erzählen in ihrer Weise über den Lebensalltag der Stadt. In den politischen Prozessen lernen wir die gewöhnlichen sozialpsychologischen Denk- und Handlungsweisen im Umgang mit Opponenten des nationalsozialistischen Systems kennen. Oft kommen die Angeklagten als sympathische Querulanten daher. Zu ihnen gehören Franz Melchrick (Spechsart 72), Wilhelm Kayser (Am Ostbahnhof 2), Heinz Reinhold (Jakobsstraße 10) oder Richard Hertel (Pforta beziehungsweise Weimarer Straße 23). In ihrem Schicksal offenbart sich besonders deutlich der bürgerunfreundliche und vormoderne Charakter des nationalsozialistischen Systems.

 

 

"Das Eiserne Kreuz müsste Zentner wiegen, damit es denen,
die es tragen, die Zunge zum Halse heraushängen lässt." 
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Ostbahnhof (2008)
"Von vertraulicher, aber unbedingt glaubwürdiger Seite wurde mitgeteilt," stellt die Geheime Staatspolizei Halle am 30. Juni 1942 in einem Bericht fest, "daß der Schlosser Wilhelm Kayser …. wohnhaft Naumburg Am Ostbahnhof Nr. 2 [1946: Badstraße 11] in seinen Unterhaltungen [im LEUNA-Werk] einwandfrei erkennen läßt, daß er dem heutigen Staat gegenüber ablehnend eingestellt ist." Vom 25. Juni datiert die von der Stapo (Staatspolizei) ausgestellte Einlieferungs-Anzeige und vom 1. Juli 1942, 14.30 Uhr, der Zugangsschein für die Untersuchungshaft im "Roten Ochsen" (Halle). Seine Lage ist ernst. Ihm droht wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz eine empfindliche Gefängnis- oder gar Zuchthausstrafe.

Vor 36 Jahren brachte ihn seine Mutter Helen [...] in der Michaelisstraße 69 (Naumburg) zur Welt. Sein Vater Otto war Eisenbahnschaffner. Seit 1924 arbeitet Wilhelm Kayser als Schlosser in den Ammoniakwerken Merseburg, wie sie damals noch hießen, für einen Stundenlohn von 90 Pfennigen. 1929 heiratet er Charlotte, geborene Schellenberger. Zusammen erziehen sie ihren mittlerweile zwölf Jahre alten Sohn. In der Wirtschaftskrise 1931 schwappt ihn die Entlassungswelle zu den Arbeitslosen. 1933 erfolgt seine Wiedereinstellung in die LEUNA-Werke. Nach Angaben der Stapo von 1942 tat der Schlosser folgende Äußerungen:

Das Eiserne Kreuz müsste Zentner wiegen, damit es denen, die es tragen, die Zunge zum Halse heraushängen lässt.

In der HJ würden die Jungen zu Gaunern und lauter Lumpen erzogen; die Führer der HJ seien ebenfalls lauter Lumpen. Seinen Jungen erziehe er selbst, dazu brauche er keine HJ.

Wisst ihr, wie ein wahrer Nationalsozialist aussieht? Kinderreich sein wie Adolf Hitler, sittsam sein wie Doktor Goebbels, genügsam wie Hermann Göring und arbeitsam wie Doktor Ley.

Zudem war Kollege Kayser ein unbequemer Mitarbeiter. Beispielsweise sagte er dem Meister, als der ihm vorhielt, dass seine Frühstückspause zu lange dauerte:

"Ich habe kein Brot mehr zu essen, dann muss ich mir Pellkartoffeln mitbringen und dann dauert die Frühstückspause noch länger." (Strafsache Kayser)

Vom 25. Juni 1942 datiert für Wilhelm Kayser eine Einlieferungs-Anzeige bei der Stapoleitstelle Halle, Außenstelle Merseburg. (Vgl. Urteil Kayser 1942) Die Sicherheitspolizei zieht über ihn weitere Erkundigungen ein. Zuerst befragt sie Kurt Leutholf, geboren am 12. Juli 1908 in Bad Dürrenberg, wohnhaft Bad Dürrenberg, Herbert-Norkus-Straß 29, verheiratet, ein Kind. Der macht am 24. Juni 1942 folgende Aussage:

Die Äußerung, er würde gerne einrücken, wenn vorher der Heldentod abgeschafft, hat er wiederholt getan. Sonst kann ich mich nicht an feindliche Äußerungen erinnern, denn Kayser weiß, dass ich Blockwart bin und verhält sich deshalb umsichtig.

An nächsten Tag verhört die Stapo Kurt Müller, geboren am 31. Januar 1901 in Weißenfels, Roßbacher Straße 36, verheiratet, keine Kinder. Seit 1938 arbeitet er mit Kayser zusammen. Der sagt zur Stapo:

"Ich kann hierzu nur angeben, daß ich mich derartiger Redereien Kaysers nicht erinnern kann. In meiner Gegenwart ist dies nicht geschehen."

 

Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei
und zum Schutz der Parteiuniformen
vom 20. Dezember 1934 (Auszug)

Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

Artikel 1

§ 1
(1) Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reichs oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen schwer zu schädigen, wird, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn er die Behauptung öffentlich aufstellt oder verbreitet, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.

(2) Wer die Tat grob fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Richtet sich die Tat ausschließlich gegen das Ansehen der NSDAP. oder ihrer Gliederungen, so wird sie nur mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oder der von ihm bestimmten Stelle verfolgt.

§ 2
(1) Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP., über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, wird mit Gefängnis bestraft.

(2) Den öffentlichen Äußerungen stehen nichtöffentliche böswillige Äußerungen gleich, wenn der Täter damit rechnet oder damit rechnen muß, daß die Äußerung in die Öffentlichkeit dringen werde. ….."

 

Das Sondergericht Halle tagt am 8. September 1942 zum Fall Kayser unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wernicke, Landgerichtsrat Morsbach, Landgerichtsrat Schulze und Landgerichtsrat von Egidy. Seit 1. Juli befindet sich der Angeklagte in Untersuchungshaft im Roten Ochsen (Halle). Die Richter sehen in ihm nicht den Witzbold. Ihr Arbeitsauftrag prägt die Wahrnehmung und schließlich das Urteil. Sie verurteilen den LEUNA-Arbeiter wegen Verstoßes gegen Paragraf 2 des Heimtückegesetzes vom 20. Dezember 1934 unter Anrechnung der Untersuchungshaft von zwei Monaten zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis.

Die Strafe tritt Wilhelm Kayser in Ichtershausen bei Arnstadt an. Am 7. Januar 1944 gilt sie als verbüßt und er wird entlassen. In der Centralen-Ankaufsstelle für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte, Naumburg, Roßbacher Straße 5 c, findet er Arbeit.

Neben der vom Gericht verhängten Freiheitsstrafe werden mit etwa gleichen Strafmass die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Es verpflichtet den Verurteilten in der Regel, die Kosten des Verfahrens zu übernehmen. Im Fall von Wilhelm Kayser sind es 1000,16 Reichsmark. Bei einem monatlichen Nettoverdienst von 169,07 Reichsmark bedeutet dies für den Schlosser eine enorme Belastung des Haushaltbudgets. Deshalb beantragt er am 2. Mai 1944 bei der Gerichtskasse eine monatliche Ratenzahlung von 50 Reichsmark.

Das Urteil gegen Kayser ergeht, wie bereits erwähnt, auf Grundlage des Heimtückegesetzes. Als Vergehen im Sinne dieses Gesetzes gelten alle verbalen Äußerungen und Verhaltensweisen, die Zweifel am Sieg der Wehrmacht beinhalten, führende Personen des Reichs herabsetzen oder Sympathien gegenüber (Kriegs-) Gegner erkennen lassen. So kann jede Kritik am System mit harten Strafen geahndet werden. Mehr noch. Mit einer kruden epistemologischen Gesetzesformulierung "Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet" können selbst wahre Aussagen, wenn sie den Interessen des Nationalsozialismus entgegenstehen, ebenso abgestraft werden, wie es im Fall von Karl Ebert und Robert Beck tatsächlich geschieht.

Gemessen am Heimtückegesetz weist die Strafzumessung im Kayser-Prozess (1942) keine überbordende Härte auf. Aber vom Standpunkt der Anerkennung bürgerlicher Freiheiten - Meinungsfreiheit, Liberalität, Toleranz - sind seine besagten Äußerungen irrelevant und das Urteil deshalb unbegründet und ungerecht.

Ebenso trägt die vom Gericht festgestellte "Deutschfeindlichkeit" lediglich den Charakter einer Behauptung, die einer allseitigen und unvoreingenommenen Beurteilung nicht standhält. So wie ich es hier vortrage, gebe ich selbstkritisch zu, könnte vielleicht der Eindruck entstehen, dass dies eine eher unwichtige Frage zu sein scheint. So war es aber nicht! Denn ein Hauptargument der öffentlichen Meinung gegen die Wehrkraftsetzer und Rundfunkverbrecher bestand gerade darin, dass sie sich undeutsch und damit unpatriotisch verhalten. Daraus leitete man die Notwendigkeit und schließlich moralische Legitimität der Intervention (Denunziation, Bestrafung) ab.

 

Den Krieg verlieren wir doch!  nach oben

Kanonierstraße (Rosa-Luxemburg-) Straße (2009)

Der Engroshändler mit Textilsachen lebt noch nicht lange in Naumburg. Beim Luftangriff auf Bremen am 25./26. Juni 1942 verlor er seine Wohnung. Ihn verschlägt es in die Kanonierstraße (heute Rosa-Luxemburg-Straße) 37. Karl Ebert, geboren 23. August 1897 in Erfurt, legt man zur Last, dass er bei einem seiner vielen Hausbesuchen geäußert haben soll:

"Kaufen Sie was Sie können, den Krieg verlieren wir doch, das Geld hat für uns keinen Wert mehr."

Als Zeuge bemüht das Gericht Parteigenossen Hartung, Blockleiter in Erfurt. Die weiteren administrativen Ermittlungen gegen das NSDAP-Mitglied und den Defätisten laufen zunächst über den NSDAP-Parteiapparat, also die Orts- und Kreisleitung in Naumburg.

Am 28. Dezember 1943 befasst sich das Sondergericht Halle mit dem Fall Ebert. Landgerichtsrat von Egidy vertritt die Staatsanwaltschaft. Zugegen ist Rechtsanwalt Flachsbarth aus Naumburg. Vorsitzender Landgerichtsdirektor Wernicke, sekundiert von seinen Beisitzern Landgerichtsrat Schulze und Landgerichtsrat Doktor Fickel, verurteilt Karl Ebert wegen Verstoß gegen Paragraf 2 des Heimtückegesetzes vom 20. Dezember 1934 zu neun Monaten Freiheitsentzug.

Die Strafe verbüßt er ab 4. Januar 1944 im Gefängnis Naumburg (Roonplatz 5, heute: Am Salztor). (Vgl. Karl Ebert)

 


Franz Mechlrick und die Hitler-Rede vom 23. März 1943  nach oben

Blick in die Mühlgasse (2008)

Franz Melchrick aus dem Spechsart 72, geboren am 28. September 1895 in Jerischke (Verwaltungsbezirk Sorau), verurteilt das Sondergericht Halle (Saale) am 4. August 1943 wegen böswilliger, gehässiger und von niederer Gesinnung zeugenden Äußerungen über den Führer und den deutschen Nachrichtendienst zu neun Monaten Gefängnis. Die Verhandlung führte Oberlandesgerichtsrat Doktor Kappen mit den Beisitzern Doktor Keim und Amtsgerichtsrat Doktor Fickel. Anwesend auch: Rechtsanwalt Friedrich Am Wege aus Naumburg (Bismarckplatz, heute Theaterplatz, 2). Die Strafe ergeht gemäss Paragraf zwei Heimtückegesetz.

Dieser Fall hebt sich von allen anderen dadurch ab, dass sich das politisch-ideologische Delikt selbst aus Sicht der nationalsozialistischen Machtperspektive auffällig geringfügig ausnimmt und dass zweitens nach 1945 gegen den Schuldigen ein Strafverfahren eingeleitet wird. Das war in diesem Fall zweifellos Tischlermeister Otto Spiegel.

In seiner Werkstatt Mühlgasse 7 kam es mitten in der Arbeit an einem Großauftrag der SS zu einem Gespräch zwischen Franz Melchrick, der erst zwei Jahre hier arbeitet, und Gerhard S., dem Sohn des Chefs sowie dessen Kollegen Hündorf und Töpel über die Führer-Rede aus Anlass des Heldengedenktages am 21. März 1943. Der Neue fällt lediglich dadurch auf, dass er, heute würde man sagen, diese nicht so toll findet wie seine Kollegen. Zudem äußert er Zweifel an der Fähigkeit der Regierung, den Krieg erfolgreich führen zu können. Otto S. war bei der Unterhaltung nicht zugegen. Sein sechzehnjähriger Sohn Gerhard überbringt ihm das Gesagte, der übt sich nun nicht in Zurückhaltung oder wartet gar erst mal eine paar Tage, um sich dann die Sache im Kopf erneut vorzulegen. Nein, er schlägt die ganz große Trommel und erstattet bereits am 25. März 1943 gegen seinen Mitarbeiter Anzeige bei der Ortspolizeibehörde Naumburg. Ferner teilt er als Eigentümer der Werkstatt für deutsche Wohnkultur am 1. April 1943 in einem Schreiben an den Kreisobmann der DAF, an die Kripo, an das Arbeitsamt Naumburg und die Kreishandwerkskammer mit, dass er einen solchen Mitarbeiter unmöglich weiter beschäftigen kann.

 

Hitler-Rede
zum Heldengedenktag
1943

Ausschnitt
hören

mp3, 15 Sekunden

Gesamte Rede
hören
mp3, 6:40 Minuten

Hitler über die Vorkehrungen, die der Bolschewismus zur Vernichtung der Welt getroffen hat - etwa von 2:05 bis 2:35 Minuten

Hitler über den mitleidlosen Krieg, der uns vom Judentum aufgezwungen wurde - etwa von 2:55 bis 2:35 Minuten


Als Zeugen sagen vor der Stapo Gerhard S. (Mühlgasse 7) sowie die Kollegen von Franz, Tischlergeselle Arthur T.l (Reußenplatz 12) und Karl H. (Amsdorfer Straße 21).

Eigentlich treiben den Tischler Franz Melchrick ganz andere Sorgen um. Frau Gabriele (geborene Bellmann) starb 1940, die drei Kinder im Alter von drei bis 18 Jahren sind zu versorgen und zu erziehen. Doch er muss sich nun zur Haft im Strafgefängnis Erfurt melden. Schuldeinsicht zeigt er keine. Weshalb auch?

Pflichtbewusst ging Franz seiner Arbeit nach. Als er 1918 nach drei Jahren Kriegsdienst von dem Ulanenregiment 3 in Fürstenwalde heimkehrte, verschlug es ihn in eine Klaviertischlerei. Dann trieb es ihn 1921 in die Tischlerwerkstatt von Otto und Paul Kötteritzsch in der Gartenstraße 14. Danach arbeitete er bei Otto Steinmüller in der Bahnhofstraße 11. Und schließlich bei Otto S. in der Mühlgasse 7.

Unter Auflage einer Bewährungsstrafe kommt er am 29. Februar 1944 um 9 Uhr aus dem Strafgefängnis in Erfurt frei. Bei der Bau- und Möbeltischlerei von Johannes Hempfing in der Weißenfelser Straße 16 findet er wieder Arbeit. Doch vergessen sind die Ereignisse um den Heldengedenktag von 1943 nicht. Ob er nun selbst nach 1945 gegen das vom ihm erlittene Unrecht vorging oder ob andere sich der Sache annahmen, konnte ich nicht ermitteln. Jedenfalls stellte das VP-Präsidium Halle als Untersuchungsorgan am 31. Oktober 1949 das Verfahren gegen den Tischler Gerhard S. ein, weil er zur Tatzeit erst 16 Jahre alt - also nicht volljährig - war. Ein weiteres Ermittlungsverfahren richtete sich offenbar gegen seinen Vater. In der "Antragsschrift!" des Staatsanwalts beim Landgericht Halle vom 1. März 1952 heißt es: Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich Otto S. damals gemäß Kriegsgesetz (Artikel II 1 c und 2 a, KD 28 Absatz II, Artikel II, Ziffer 1) schuldig gemacht. Da er sich im Westen aufhält, ist seine Verurteilung nicht möglich. Bereits 1947 verkaufte er Haus und Werkstatt seiner Tochter.

 

 

"Na da wollen wir mal einen von
den Plutokraten herunterreißen."
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Jakobsstraße (2007)

An einem Morgen im Jahr 1941 reisst Heinz Reinold, geboren am 20. Januar 1913, in einem Büroraum des Ammoniakwerks Merseburg das Kalenderblatt ab. Dabei es entgleiten ihm die Worte:

"Na da wollen wir mal einen von den Plutokraten herunterreißen."

"Bei einer anderen Gelegenheit erzählt er dem Zeugen S., die deutschen Truppen hätten schon einmal eine Landung in England versucht. … Sie waren dann wieder umgekehrt."

Wiederholt äußert sich der 28-jährige über die Lebensmittelzuteilung mit den Worten, es gibt viel zu wenig zu fressen, es ist eine Schande, was man uns in dieser Beziehung zumutet.

Im Anschluss an eine Führerrede, so ist bezeugt, soll er geäussert haben:

"Deshalb haben wir immer noch nicht mehr zu fressen."

Bei anderer Gelegenheit teilt der kaufmännische Angestellte seinen Kollegen mit:

Hermann Göring wird alle Tage dicker, er hat aber bestimmt genug Butter.

Im Oktober 1941 unterhält er sich im kritischen Unterton mit seinen Berufsgenossen über die Schrift "Das größte sozialistische Aufbauwerk des Deutschen Volkes" (Berlin, Verlag Deutsche Arbeitsfront 1941, 36 Seiten).

Kaft-durch-Freude-Führer Robert Ley verspricht den Volksgenossen in einer vor NSDAP-Gauobmännern und -wirtschaftsberatern gehaltenen Rede, dass sie auf Basis eines 150-Reichsmark-Arbeitseinkommen eine Rente in Höhe von 90 Reichsmark im Monat erhalten.

"Wenn sie das lesen, lachen sie sich tot",

bekundet Heinz Reinhold gegenüber den Kollegen seine Zweifel.

Die Betriebskrankenkasse des Ammoniakwerkes Merseburg sieht sich gegenüber ihren Gefolgschaftsmitgliedern in der politischen Aufsichtspflicht. Sie macht deshalb am 27. September 1941 über die politischen Zoten der Kollegen Karl Kahl (Weißenfels), Erich Junghans (Halle) und Heinz Reinhold (Naumburg) an die Staatspolizei Halle, Außendienststelle Merseburg, Mitteilung.

Jakobsstraße 10 (2009)

Am 15. November 1941 nimmt sie ihn in Haft. Doch die Ermittlungsbehörde des Sondergerichts Halle war sich offenbar nicht sicher, ob seine politischen Äußerungen eine Strafverfolgung rechtfertigen. Denn am 3. Februar schreibt Generalstaatsanwalt Doktor Becker wegen der Strafsache Kahl und andere an Herrn Oberstaatsanwalt in Halle, dass er sich in diesem Fall der Unterstützung des Ministers vergewissert hat. So kann dann am 23. Februar 1942 das Sondergericht in Halle aktiv werden. Vorsitzender Landgerichtsdirektor Weins verurteilt mit seinen Beisitzern Landgerichtsdirektor Keim und Landgerichtsdirektor Egidy, den kaufmännischen Angestellten Heinz Reinhold wegen fortgesetzten Vergehens gegen Paragraf 2 Heimtückegesetze zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis.

Die Gefängnisleitung von Ichtershausen (bei Arnstadt) bemängelt bei ihm die fehlende Schuldeinsicht, weshalb sie die Aussetzung der Strafe auf Bewährung strikt ablehnt.

Im Mai 1944 arbeitet Karl Reinold bei der Firma Dipl. Ing. Willy Jeschke Bauunternehmung, Eisenbeton, Hoch- und Tiefbau in Naumburg.

 

 

"Das glauben sie wohl selbst nicht …", schreibt Richard Hertel am 12. Juni 1942 an das Naumburger Tageblatt  nach oben

Blick in die Pforta (Weimarer) Straße 23 (2006)

In der Pforta (Weimarer) Straße 23 wohnt der Bankdirektor in Ruhe Richard Hertel, der Sohn eines Kammmachermeisters. Mutter Charlotte, geborene Franz, schenkt ihm am 13. April 1868 in Naumburg das Leben. Hier besucht er die Realschule und tritt 1884 als gelernter Kaufmann in das Bankgeschäft von Ernst Kürbis in Naumburg ein. 1889/90 kommt der Dienst im Infanterie-Regiment 106 in Möckern. Für seine langjährigen Dienste erhält der Prokurist 1928 den Titel eines Bankdirektors zuerkannt. Vor 1933 war er Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei. Viel muss er erlebt und viele muss er gekannt haben. Über die Stadt ist er gut informiert.

Trotzdem plagt den Witwer und Pensionär mit einer jährlichen Apanage von 3 300 Reichsmark das Gefühl der Überflüssigkeit.

"Ich habe sehr viel Zeit und Langeweile ….",

äußert er am 15. Dezember 1943 im Verhör gegenüber Kriminalsekretär Scholz in der Ortspolizeibehörde (Große Neustraße 15). Freilich, die Zeit als Vorsitzender des Rudervereins 08 liegt weit zurück. Was ihn an diesem Tage die Polizei vorhält, nämlich "in der Zeit von 1938 bis 1943 fortgesetzte, gehässige und hetzerische Äußerungen gemacht zu haben", bedroht seine Freiheit. Immerhin hetzte er über den Führer, den Reichsaussenminister von Ribbentrop, den Reichsprotektor Heydrich, die Gauleiter Eggeling und Sauckel, sowie über die NSDAP und "über die Maßnahmen gegen die Juden und die deutsche Wirtschaftspolitik und Lebensmittelversorgung", alles "geeignet" "das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben". Nun steht ihm ein Prozess vor dem Sondergericht in Halle bevor.

Zu dessen Vorbereitung teilt der NSDAP-Kreisleiter von Naumburg am 24. November 1943 gegenüber der Stapo Halle (Alter Markt) mit: Bisher ist über das Mitglied der Deutschnationalen Partei nichts Nachteiliges bekannt. Doch in den Augen der Nationalsozialisten gilt er als reaktionär. In diesem Sinne vermerkt der bearbeitende Kriminalsekretär im Abschlussbericht vom 22. Januar 1944:

"Er gehört den reaktionären Kreisen an und verkehrt fast ausschließlich in diesen. In seiner Vernehmung gibt er an, dass er konservativ eingestellt sei und auf Grund seines Alters sich mit der neuen Zeit nicht abfinden kann."

Sind es denn wirklich böswillige Äußerungen, wie es ihn Doktor Rowoldt am 20. April 1944 in der Anklageschrift vorhält, die der deutschnational Gesinnte auf den Karten und Briefen tut? - Wohl eher nicht, ihn fällt es nur schwer, untätig zu bleiben und den Bürgerverstand verleugnen zu müssen. Aus seinen anonymen Botschaften an die NSDAP-Größen spricht Enttäuschung über die gesellschaftlichen Zustände, die er mit seiner Schreibmaschine Juwel Modell 2 Ausdruck verleiht:

Am 9. Februar 1938 an Oberleutnant Ribbentrop in Naumburg, Claudiusstraße, auf einer Postkarte im Briefumschlag:

"Hoffentlich leistet er mehr als bisher in England."

Am 19. Juni 1938 an den NSDAP-Kreisleiter Naumburg:

"Menschen giebt's in Deutschland vielrlei / den meisten Geist hat die Partei / bei Kreisapelln geht's zu recht tolle / Viel Geschrei und wenig Wolle / Zum Kirschfest gibt's keine Kirche mehr / Das bestimmt nur Herr Uebelhoer."

Am 12. November 1938 an den Oberbürgermeister auf einer offenen Postkarte:

"Sehr geehrter P. G.,
der Jude in der Salzstraße hat sich 1914-1918 das eiserne Kreuz 1er und 2er Klasse verdient. Ist es in Ordnung, dass Schüler der Napola den Laden zertrümmern. Die Ortspolizei verhindert es nicht. Sehr bedauerlich. Heil Hitler Volksgenossen."

Am 10. April 1942 an Sauckel, Gauleiter in Weimar:

"Die Oberbonzen und Bonzen
leben üppig im Hotel "Elefant"
in Weimar!"

Am 12. Juni 1942 an die "Naumburger Zeitung":

"Sehr geehrter Herr Redakteur
Sie schrieben vor einigen Tagen
Ganz Deutschland trauert
um Herrn Heydrich [Reinhard Heydrich 1904-1942]
Das glauben sie wohl selbst nicht …"

Am 20. November 1940 an Gauleiter Eggeling:

"Sehr geehrter Herr Staatsrat
Für die Richtlinien die sie geben
sorgen Sie lieber fuer mehr
Nahrungsmittel Heizmaterial
In Ihrem Gau,
Das Opferbuch konnten sie sich sparen
Es wird genug geopfert,
Die Gehälter der Hohen etwas kürzen."

Am 4. Juni 1942 an Gauleiter Sauckel:

"Den Oberbonzen sieht man keine Not an.
Die Herren Haben mehr als 300 Gramm Fleisch
die Woche. Das Volk muss hungern
heil Hoitler."

Am 4. August 1943 an den Oberpräsidenten Ullrich in Magdeburg:
"Sehr geehrter Herr PG

Uebelhoer in Litzmannstadt ist seines Amtes enthoben
wegen grosser Schiebergeschäfte
Das Vaterland um 100 Tausend betrogen
Al[s] Belohnung wird der Herr jetzt Regierungspräsident in Merseburg." (Nach Hertel Sondergerichtsklage)

Von der eigentümlichen Orthografie und Grammatik der Mitteilungen lassen wir uns nicht irritieren. Wahrscheinlich war dies Teil seiner Tarnung. Ein Mann in der Stellung eines gehobenen Bankangestellten beherrschte die deutsche Sprache in Wort und Schrift sicherlich recht gut.

Den ersten Brief schreibt er am 31. Dezember an Oberstleutnant Ribbentrop in Naumburg. Bis zum 20. Mai 1942 folgen 26 Briefe und Karten an die NSDAP-Größen. Seine Karten-Grüße sind unter verschiedenen Aspekten durchaus von historischem Interesse. Da ist zum Beispiel seine Mitteilung zur Pogromnacht 1938. Es ist ein wichtiges Dokument, das den Charakter der Ausschreitungen gegen die Juden in Naumburg belegt. Frau H. Rühlmann aus Bad Kösen bestätigt im Dezember 1994 in einem Artikel über die Pogrom-Nacht im Naumburger Tageblatt diesen Sachverhalt.

Ebenso aufschlussreich - seine Karte vom 4. August 1943. Aus ihr geht hervor, dass den Bürgern bereits damals bekannt war, dass sich ihr ehemaliger Oberbürgermeister und NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer in Litzmannstadt bereichert hat.

Hertels letzte Kritik erreicht das Wirtschaftsamt Naumburg am 18. November 1943 ebenfalls auf dem Postweg. Nach einem Vergleich mit den bereits schon versandten Schriftstücken fällt der Verdacht auf ihn. Am 15. Dezember 1943 um 10.30 Uhr nehmen ihn die Polizisten der Ortspolizeibehörde Naumburg fest. Er legt ein Geständnis ab. Zwei Tage später, vormittags 11 Uhr befördert man ihn ins Polizeigefängnis Naumburg (heute: Am Salztor). Am 5. Januar 1944 verbringt man ihn in den Roten Ochsen (Halle).

Unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wernicke, mit den Beisitzern Landgerichtsrat Morsbach und Landgerichtsrat Schulze, tagt am 16. Mai 1944 das Sondergericht Halle. Staatsanwalt Doktor Rowoldt legt die Anklageschrift vor. Als Verteidiger nennen die Gerichtsakten Rechtsanwalt Doktor Gerhard Schulz (Große Ulrich Straße 11, Halle an der Saale). Das Sondergericht erkennt wegen Vergehens nach Paragraf 2 Heimtückegesetz auf ein Jahr und sechs Monate Gefängnis.

Schon recht bald stellt seine 49-jährige Tochter Charlotte, die im Reserve-Lazarett in Naumburg für 110 Reichsmark monatlich als Röntgen-Assistentin ihren Dienst versieht, einen Antrag auf Hafterlass. Unterstützung erhält sie vom Praktischen Arzt Doktor med. Max Haarland, Naumburg, Jacobsring 1. Er attestiert dem alternden Mann Herzschwäche, ein Blasenleiden und Wassersucht. Sein Körpergewicht beträgt ganze 106 Pfund, wie Doktor Loofs in einem Gutachten für das Gericht feststellt.

Sein Anwalt beantragt nach sieben Monaten Haft, also am 27. Juni 1944, die Aussetzung der Strafe. Der Vorstand des Strafgefängnisses Erfurt plädiert am 12. Juli 1944 für Aussetzung der Strafe auf drei Monate Bewährung. Nach siebeneinhalb Monaten Haft kommt er frei.

Richard Hertel überlebt den Krieg. Ich stelle mir ihn als einen gealterten, einsamen, zu manchen Grillen neigenden Menschen vor. Ein Deutschnationaler von altem Schrot und Korn und ganz anderem Schlage als etwa Georg Schiele aus Naumburg. Die Nationalsozialisten ruinierten ihn seine ehernen Werte eines humanistisch verstandenen konservativen Weltbildes. Deshalb war er von ihnen enttäuscht, haderte schwer mit ihrer Politik. Mit seinen verbalen Eulenspiegeleien karikierte der Bankdirektor in Ruhe die eklatanten logischen Widersprüche zwischen Programm, Propaganda und Realität der Herrschaft des Nationalsozialismus. "Hertel", stellt der Schlussbericht des untersuchenden Kriminalangestellten vom 22. Januar 1944 fest,

"hat mit seiner Handlungsweise seine gegnerische Einstellung zum Nationalsozialismus klar herausgestellt."

Seine Mitteilungen an die NSDAP-Führer deute ich als Besinnung, vielleicht sogar Einkehr. Sie sind ein Protest gegen eine Politik, die er ehrlich nicht wollte. Doch es ist zu spät! Sie entfaltet ihre Zerstörungskraft. Wem kann er nun seinen schweren Irrtum mitteilen? Wir hätten so gerne mit ihm gesprochen und diskutiert - über die konservativen Werte und die Stadt Naumburg. Er musste nicht einsam sein ….

 

Der Rundfunkverbrecher   nach oben

 

BBC-Signal

hören (46 Sekunden)

BBC German Service sendete werktags zwischen 19 und 20 Uhr und um 22.45 Uhr sowie sonntags zwischen 18 und 18.45 Uhr Nachrichten. Premiere war am 27. September 1938.

 

"Tante Dorle, die mit der kleinen Bärbel als Flüchtlinge bei uns lebte," erinnert sich Waltraud Lack 2006 an ihre Kindheit in Naumburg, "hatte im Kleiderschrank ein Radio versteckt. Dort hörten wir heimlich den Feindsender, der uns riet aufzugeben. Wir waren ja dazu bereit, hatten aber nichts zu sagen. Es war streng verboten, das zu hören, das war Wehrkraftzersetzung." (Lack 2006) Wie Tante Dorle, hört auch Johannes Brückner an einem Februarabend 1943 in seiner kleinen Kammer in der "Jägerkaserne" den Feindsender BBC ab.

Gleich nach Kriegsbeginn, am 2. September 1939 warnt das Naumburger Tageblatt die Bürger der Stadt:

"Hände weg vom Einstellknopf, wenn es sich um fremde Stationen handelt." (Stunden)

Doch Robert Beck aus der Georgenstraße 15 hört trotzdem am 7. September 1939 und 2. Januar 1940 die Paukenschläge von Radio BBC - dreimal kurz, einmal lang. Es sind die ersten Takte von Beethovens Schicksalssymphonie und zugleich die Morsezeichen für "V" wie Victory. Damit kündigt der englische Sender die deutschsprachigen Sendungen an. Der Naumburger aus der Großen Georgenstraße 15 spielt mit seinem Leben.

Pünktlich nach Beendigung seines Urlaubs tritt Unteroffizier (Uffz) Ernst S. im Januar 1940 seinen Dienst bei der 7. Kompanie WSL (Wehrmacht) in Halle (Saale) an. Noch immer beschäftigt ihn, was Mutter und Schwester Hildegard (verheiratete Geiger) beim Heimaturlaub am elterlichen Abendsbrotstisch im Spechsart 43 (Naumburg) erzählten. Beide stellen am 2. Januar 1940 in einem bei Robert Beck angemieteten Zimmer persönliche Dinge ab. Bei der Gelegenheit kommt man miteinander ins Gespräch. Bis Beck sagt: "Wir müssen ja den Krieg verlieren. Die Regierung weiß genau, dieser Krieg ist der letzte Seufzer des Deutschen Reiches. Es ist doch sinnlos." Darauf müssen die anderen wohl etwas ungläubig dreingeschaut oder betroffen gewesen sein, weshalb der Ladenbesitzer noch nachschiebt: Hören Sie mal selbst den ausländischen Rundfunk. Aber das ist verboten, weist Frau Geiger (Spechsart 43) den Mann zurecht, der auf dem Georgenberg ein Lebensmittelgeschäft betreibt.

Als meine Mutter, gibt Ernst S. am 9. Januar 1943 zu Protokoll, von Beck zurückgekehrt war, saßen wir zu Hause gerade beim Abendbrot. "Pflichtbewußt erzählte mir meine Mutter sofort von dem bei Beck Gehörten." Als guter Deutscher erstattet der Unteroffizier an seinem Standort bei der Stapo Halle am 9. Januar 1940 Anzeige.

Blick in die Georgenstraße

Es steht nicht gut um den Lebensmittelhändler, denn sein Verhalten stellt die Rundfunkverordnung (1. September 1939), die Kriegssonderstrafrechtsverordnung (26. August 1939) und das Heimtückegesetz (20. Dezember 1934) unter Strafe. Die Naumburger Polizei vernimmt ihn am 23. Februar 1940. Doch er bestreitet alles. Weil er die Unwahrheit sagt, steht im Polizeiprotokoll, wird die Vernehmung abgebrochen. Anders seine Ehefrau, mit der er seit 1898 verheiratet ist und drei Kinder großzog. Sie gibt beim Verhör zu "dass sie ihre(n) Mann aufgefordert habe, das Abhören von Auslandsendern zu unterlassen. Sie hat auch selbst gesehen, wie der Angeschuldigte den Londoner Sender, der auf der Abstimmungsskala des Apparates enthalten ist, eingestellt hat."

Zwischen dem Verurteilten und dem Denunzianten besteht keine freundschaftliche, familiäre oder andere Bekanntschaft. Ein persönliches Motiv, wie Rache oder Vergeltung, kommt daher kaum in Betracht. Eine Konstellation, der ansonsten keine Allgemeingültigkeit zu kommt. In anderen Fällen, wie bei Rosemarie Böttger, Max Bach (1944) oder Otto Wolf (1937) sind durchaus handfeste persönliche Interessen im Spiel. Von hier nimmt die Denunziation oft den Weg zu ihrem besten Verbündeten, dem Verrat.

Die Worte des Feindes sind verlogen und dazu bestimmt, dem deutschen Volk Schaden zuzufügen, heißt es in der Rundfunkverordnung vom 1. September 1939. Deshalb erwartet die Reichsregierung

"dass jeder Deutsche aus Verantwortungsbewusstsein heraus es zur Anstandspflicht erhebt, grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender zu unterlassen".

Der Uffz, was unschwer erkennbar, versucht dem zu entsprechen. Er will ein guter, anständiger und verantwortungsbewusster Staatsbürger sein. Das bedingt die Übernahme der Werte und Normen, peu à peu prägt die Gesellschaftsmoral des nationalsozialistischen Staates die individuelle Moral und sein Rechtsbewusstsein. Das ist ihm vorzuwerfen und entlastet ihn zugleich. Denn "....wir können nicht immer den Stand ergreifen, zu dem wir uns berufen glauben," erkennt Karl Marx 1835 in seinem Abituraufsatz über Betrachtung eines Jünglings bei der Wahl eines Berufes, "unsere Verhältnisse in der Gesellschaft haben einigermaßen schon begonnen, ehe wir sie zu bestimmen imstande sind." Hilfe bietet das individuelle Moralbewusstsein nur, wenn es als heuristisches Prinzip der Lebenskunst und zur Unterscheidung von Recht und Unrecht dient. Erlernte der Uffz dies überhaupt? In der Schule? Im Elternhaus? Und doch bedrohen ihn keine schicksalhaften Zwänge und Strafen, wenn er sich anders entscheidet, also keine Anzeige erstattet. Die Begegnung zwischen seiner Mutter und Schwester mit Robert Beck auf dem Georgenberg findet praktisch in einem nahezu geschlossenen kommunikativen Raum statt. Das heisst er hätte die Angelegenheit diskret behandeln und den Konflikt privatisieren können. - Tut er aber nicht! - Niemand zwingt den Unteroffizier zu einer Mitteilung über das Verhalten des Lebensmittelhändlers an die Stapo. Die alltäglichen Verhältnisse lassen Handlungsalternativen zu. Nur der junge Unteroffizier erkennt sie nicht. Gesellschaftliche und individuelle Moral fallen für ihn zusammen; er erlebt sie nicht als Konflikt! Ist ihm dies vorzuwerfen?

Mit der Anzeige übergibt der Denunziant die Verantwortung für die Folgenabwägung des Normenverstoßes von Beck an die OPB (Ortspolizeibehörde) und Stapo, den Staatsanwalt und Richter. Damit verliert er die Kontrolle über den Fortgang der weiteren Ereignisse und die Strafe.

Das Zusammenfallen von gesellschaftlicher und individueller Moral führt ihn gar nicht zu der Frage, ob die zu erwartende Strafe für Robert Beck auch angemessen ist. Das machen andere. Wie schön, dass es eine Arbeitsteilung gibt. So braucht das eigene Gewissen nicht in Anspruch genommen zu werden.

Regelmäßig stellt der gute Staatsbürger das Politische über das Menschliche. Ihn interessiert nur die gesellschaftliche Norm, die sich genau besehen oftmals als staatliche Auflage entpuppt.

Allein die Entstaatlichung - oder Entinstitutionalisierung - wäre ein Weg, die Konfliktaustragung in humaner Form zu pflegen und damit den eigenen inneren Überzeugungen und erworbenen Wertauffassungen zu folgen.

Im Denunziationsgeschehen kann man öfters unerwartet solidarisches Verhalten beobachten. Im Fall Beck äußert sich dies acht Tage nach der Verhaftung (11. März 1940) in einer Beschwerde seines Bruders Just. Ass. Anw. Karl Beck (Nordhausen), bei der Staatsanwaltschaft des Sondergerichts Halle, die er mit dem dezenten Hinweis auf seinen Status als alter Kämpfer und SA-Mitglied versieht. Mir scheint, dies wirkte sich bei der Findung des Strafmaßes für den Angeklagten günstig aus.

 

Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen
vom 1. September 1939

Im modernen Krieg kämpft der Gegner nicht nur mit militärischen Waffen, sondern auch mit Mitteln, die das Volk seelisch beeinflussen und zermürben sollen. Die Reichsregierung weiß, daß das deutsche Volk diese Gefahr kennt, und erwartet daher, daß jeder Deutsche aus Verantwortungsbewusstsein heraus es zur Anstandspflicht erhebt, grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender zu unterlassen.

§ 1
Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benutzten Empfangsanlagen werden eingezogen.

§ 2
Wer Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.

 

In Halle kommt es dann am 16. Juli 1940 vor dem Sondergericht zum Prozess. Staatsanwalt Doktor Becker beschuldigt in seiner Anklage Robert Beck, geboren am 18. März 1876 in Kahlwinkel bei Eckartsberga, am 7. September 1939 und 2. Januar 1940 des Abhörens ausländischer Feindsender und damit des Rundfunkverbrechens. Ein Rechtsanwalt Doktor Richter aus Halle ist anwesend. Die Richter unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wernicke mit den Beisitzern Landgerichtsrat Doktor Keim und Landgerichtsrat Doktor Müller erkennen gemäß Paragraf 2 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen auf neun Monate Gefängnis.

Außerdem ordnet das Gericht die Beschlagnahme des Lorenz Tonmeister W Nr. 153 937 an. Per Order vom 20. August lässt der Oberstaatsanwalt des Sondergerichts Halle noch die Antenne demontieren.

Die Geschäfte im Kolonialwarenladen mit gleichzeitigem Vertrieb von hausschlachtener Wurst gehen nicht gut. Kriegsbedingt, räumt der NSDAP-Kreisleiter im Rufbericht an die Kripo Naumburg im Mai ein. Nun muss Robert Beck zum Strafvollzug ins Naumburger Gefängnis. Das verschlechtert seine wirtschaftliche Lage weiter. Es muss für ihn nicht leicht gewesen sein, dies alles zu ertragen. Dabei war er noch schwer zuckerkrank.

Am 16. Dezember 1940 wird er aus dem Naumburger Gefängnis entlassen.

Pflichtbewusst, so steht es im Protokoll, handelte Frieda [S.] ! Pflichtbewusst erstattet Unteroffizier Ernst S. Anzeige! Pflichtbewusst verhaftet und verhört die Naumburger Ortspolizei den Rundfunkverbrecher. Pflichtbewusst urteilen die Richter des Sondergerichts Robert Beck ab. Alles pflichtbewusste Bürger. Später sagen wir: Wir haben nur unsere Pflicht getan!


 

Elsbeth Werhahn verbreitet ausländische Nachrichten  nach oben

Elsbeth Wehrhahn (geborene Witte) aus Naumburg, Willibald-Knoll-Straße 8 (heute Utastraße), geboren am 16. März 1886 in Hannover, verurteilt das Sondergericht Halle am 18. Oktober 1943 "wegen Verbreitens ausländischer Nachrichten" nach Paragraf 1 und 2 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen zu neun Monaten Gefängnis. Ihr Deutscher Kleinempfänger GW. 110 - 240 Volt wird eingezogen. Die Teilstrafe gilt mit dem 22. Februar 1944 als verbüßt. Die Reststrafe wird bedingt auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt. (Vgl. Wehrhahn)

 

 

Rosemarie Böttger -
Menschlichkeit war ihr Verbrechen!
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Rosemarie Böttger*
(1921-2005)

Robert Seifarth von der Ortspolizeibehörde Naumburg protokolliert am 16. März 1943 gegen 15 Uhr den Anruf einer anonymen Person: "Gehen Sie sofort in die Wohnung des `Kohlenböttger`, am Marienplatz (Karte - siehe dort Marien-Magdalenen-Kirche). Dort befindet sich ein Russe in der Wohnung".

"Am Tage darauf, dem 17. März 1943," stellt fünf Monate später Hans von Egidy in der Anklageschrift des Sondergerichts Halle fest, "liess sie den Russen Alex zunächst in ihr Badezimmer und dann in ihre Schlafzimmerstube kommen, wo sie sich mit ihm allein zusammen etwa ¾ Stunden aufhielt, um ihm angeblich eine Wunde an der Hand zu reinigen und zu verbinden, während sie sonst tagsüber regelmässig offen stehen liess. Gegenüber Rosa […] ihrer Mitbewohnerin im zweiten Stock Haus Marienplatz 3, erzählte sie [Rosemarie Böttger] danach:

"Ich habe den Alex [Alexej] erst einmal in die Wanne gesteckt und gebadet."

Rosemarie Böttger schildert, wie Frau Magdalena vor der Stapo berichtet, die Lage der russischen Kriegsgefangenen so:

""Die russ. Kriegsgefangenen werden behandelt, wie die Hunde, sie haben alte deutsche Uniformen an, die gefärbt und steif wie ein Brett sind, so daß sich der arme Alexej am Arm blutig gescheuert hat. Ich habe das nicht mit ansehen können und habe Alexej in die Badwanne gesetzt und sauber gemacht. Die Wunde habe ich mit Jod ausgepinselt und mit Salbe eingerieben. Dann habe ich ihn eine halbe Stunde hinlegen lassen. Er sollte sich ausruhen." Sie [Rosemarie] erklärte weiter, dass der arme Kerl wahnsinnige Schmerzen hatte." (Nach Aussage von Magdalena)

 

Der Bolschewik in der Badwanne

Blick Ecke Marienmauer 19 -
Marienplatz 3 (2006)

Rosemarie Böttger setzte 1943 am Marienplatz 3 einen Bolschewiken in die Badewanne! Damit hat "sie die Sicherheit der Reichsverteidigung gefährdet" (!), informiert Staatsanwalt Hans von Egidy den Reichsminister der Justiz in Berlin. Ihr Verhalten öffnet der "Spionage und Sabotage Tür und Tor" und verstößt "gegen das gesunde Volksempfinden", verbreiten die Hallischen Nachrichten nach dem Sondergerichtsprozess am 9. Juli 1943. Ausserdem gab sie ihm "häufig außer der ihm zustehenden Verpflegung zu essen" und steckte ihm sogar Schnäpse zu. Ein "würdeloses Verhalten" belehrt die Zeitung ihre Leser. Indes, dies war es nicht. Ihre Denunziation und Bestrafung aber schon.

Die Kohlehändlerin vom Marienplatz 3 erwartet ein kurzer Prozess am NS-Sondergericht Halle. Daran werden mitwirken: Der Geschäftsführer der Firma Groh & Co. von der Marienmauer 19, Frau Rosa, die im zweiten Stock des Böttger-Hauses wohnt, Frau Magdalena die bereits sechs Jahre auf demselben Grundstück lebt, ihre Stenotypistin Else-Anna, die sich als Freundin von Rosemarie bezeichnet und aus Bremen zu ihr kam, weil sie dort keine Arbeit hatte sowie ihre ehemalige Hausgehilfin Gerda. Kriminalsekretär Seyfarth von der Ortspolizeibehörde Naumburg, Kriminalobersekretär Kranz von der Stapo-Außenstelle in Weißenfels, der Verfasser der Anklageschrift für das Sondergericht Landgerichtsdirektor Hans von Egidy und die Richter des Sondergerichts Halle. Nicht zu vergessen Victor Artes und der Ortsgruppenleiter der NSDAP Naumburg-Mitte. Ersterer unterzeichnet den Bericht der NSDAP-Kreisleitung Naumburg über die Böttger an das Sondergericht. Letzterer nimmt die Meldung von Frau Rosa entgegen und leitet sie weiter.

 

Denunziation und Verhaftung

Rosemarie und
Tochter Karjane*

Auf den ersten Anruf vom 16. März hin konnte (oder wollte?) die Naumburger Polizei nicht einschreiten, weil der Anrufer anonym blieb. Wie sich aber später herausstellt, war die Anruferin Frau Rosa […] von der zweiten Etage im Haus der Böttger.

Doch es finden sich noch andere, die wachsam auf den Nachbarn schauen. Und sie handeln nicht so unabhängig voneinander, wie dies die Gerichtsakten vermitteln. Denn sie verbindet der Klatsch und Tratsch, den die Böttger schon lange umgibt. Zum anderen kündigte einen Tag vor dem besagten 16. März ihre Haushälterin Gerda […], über deren Meinung zur Kohlenhändlerin wir bald mehr erfahren.

Kaufmann G. von der Buchdruckerei Groh & Co. von der Marienmauer 19 ruft am 24. März 1943 um 17 Uhr bei Ortspolizei an und teilt mit, dass er soeben davon unterrichtet wurde, "dass sich ein Kriegsgefangener in der Wohnung der ledigen Frau Böttger befindet. Es wird um sofortige Entsendung eines Krim. Beamten [Kriminalbeamten] gebeten." Von Ortspolizeibehörde (OPB) rückt die Kriminalpolizei im Marienplatz 3 ein und stellt fest: "Die Wohnung befand sich in einem unordentlichen Zustand. Die Betten waren zerwühlt …." Auf Nachfrage erklärt Rosemarie Böttger, ein Russe sei zum Kohlenschichten in der Küche gewesen. Der Staatsanwalt notiert in der Anklageschrift:

Wieder wurde die Angeschuldigte von der Zeugin Rosa in ihrem Schlafzimmer im Gespräch mit dem Russen angetroffen. "Die Wohnung wurde nach dem Besuch des Russen in unordentlichem Zustande vorgefunden. Bei allen diesen Gelegenheiten küsste sich die Angeschuldigte wiederholt mit dem Kriegsgefangenen und tauschte mit ihm andere Zärtlichkeiten aus." (Sondergerichtsklage)

Ein Stapo-Mann der Außenstelle Weißenfels nimmt sie am 25. März 1943 in Schutzhaft. Den Haftbefehl fertigt das Amtsgericht Weißenfels zwei Tage später aus. Das Kohlen-Geschäft führt ihr Schwager Richard Callmeier weiter.

 

Rosemarie Böttger über sich

Rosemarie Böttger rechts sitzend in der Städtischen Haushaltsschule, Schulstraße, mit der Vorsteherin Frau Doktor Möller-Kautzleben *

Beim Verhör am 26. März 1943 in der Außenstelle der Staatspolizei Halle in Weißenfels sagt Rosemarie Böttger über sich:

Ich bin in Naumburg [am 24. November 1921] geboren und habe auch dort die Marie-Enke-Schule und anschließend das Lyzeum bis zur Quarta besucht. Anschließend war ich ein Jahr auf der STABILA in Droyßig bei Zeitz. Dann besuchte ich 1 ½ Jahre die Haushaltsgehilfinnenschule Doktor Möller in Naumburg. Anschließend war ich dann 2 Jahre bei Doktor Hefelein als zahnärztliche Hilfsschwester tätig, und seit Februar 1942 führe ich das Naumburger Kontor, welches Eigentum meiner Eltern war.

Mein Vater war Kaufmann und Inhaber des Naumburger Kohlenkontors. Er ist im Jahre 1940 und die Mutter 1942 verstorben. Ich habe noch zwei Stiefschwestern aus meines Vaters 1. Ehe und 1 Stiefbruder aus meiner Mutters 1. Ehe. Wie schon angegeben, habe ich nach dem Tode meines Vaters die Führung des Geschäftes übernommen. Am 24. November 1941 habe ich mich mit dem Kaufmann Rudolf-Robert Langner verlobt. Das Verhältnis ging nach einem halben Jahr auseinander. Ich habe ein Kind [Karjane] von acht Monaten, der Kindesvater ist der ehemalige Verlobte. Meine zwei Schwestern und der Bruder sind verheiratet. Ich bin die Jüngste von meinen Geschwistern. Vom November 1932 bis Mitte 1936 habe ich dem BDM angehört. Seit 1939 bin ich Mitglied der Jugendgruppe der NS-Frauenschaft. Ich bin nicht vorbestraft.

Annonce aus den 20er Jahren

Seit dem Tod der Mutter führt Rosemarie mit Hilfe der Haushälterin Gerda […], der Stenotypistin Else-Anna, dem Arbeiter Hugo Priese und bis Januar mit einem französischen Kriegsgefangenen selbstständig das Geschäft. Der Franzose wurde krank. Für ihn sollte im Februar 1943 Jean Hemery kommen. Ihm geht es bei der Firma Frommhold (Samenzüchterei und Samenhandlung, Weißenfelser Straße 50) schlecht. Unter den Kriegsgefangenen Naumburgs sprach sich herum, bei der Kohlehändlerin wird man gut behandelt. Deshalb wollte Hemery zu ihr wechseln, woraus aber nichts wurde. [Ende der Aussage von Rosemarie Böttger]

Gemeinsam nahm Rosemarie mit ihren Mitarbeitern und den Kriegsgefangenen die Mahlzeiten ein. In der Behandlung ihrer Mitarbeiter machte sie keine Unterschiede. Auch die Haushaltsgehilfin … [Gerda]
"musste" bis zu ihrer eigenen Kündigung "mit den russ. Kriegsgefangenen zusammen in der Küche ihr Mittagessen einnehmen." (Aussage von Rosa)

"Auf Vorhalt, ob ich den Kriegsgefangnen Alex anhand eines Atlasses, den ich mir von Frau Steffens geliehen habe, die augenblicklich die augenblickliche Stellung im Osten erklärt habe, trifft zu,"

sagt Rosemarie im Verhör bei der Stapo. Und weiter:

"Es war an dem Tage, wo die deutschen Truppen Charkow wieder genommen hatten. Ich hatte bei den 14 Uhr-Nachrichten meinen Radio-Apparat, welcher im Büro steht, dass die Kriegsgefangenen, welche auf dem Hof standen, auch die Nachrichten hören konnten. Das der Alexej etwas deutsch versteht, fragt er mich nach Beendigung der Nachrichten, was es Neues gegeben hätte. Ich erklärte ihm, dass die deutschen Truppen Charkow wieder genommen hätten. Er fragte mich noch nach anderen Städten in Rußland, die ich aber nicht kannte und aus diesem Grunde lieh ich mir den Atlas, da ich keine Karte von Russland im Hause hatte und erklärte ihm anhand des Atlasses den Verlauf der Front im Osten." (Sondergerichtsklage)


Plaudereien bei der Staatspolizei (Stapo)

Marienplatz 3 (2006)

Gegen die Böttger sagt ihre Freundin Else-Anna (Jahrgang 1919) aus. Die Stenotypistin und vom Arbeitsamt Bremen zur Kohlenhandlung am Marienplatz 3 vermittelt worden und wohnt seit November 1942 mit ihr in einem Haus. Der Stapo berichtet sie, dass sich der französische Kriegsgefangene Jean Hemery an Rosemarie wandte und ihr mitteilte, dass es Henry Menon, ebenfalls französischer Kriegsgefangener, bei der Firma Frommhold schlecht geht. Deshalb möchte er dort weg. Rosemarie lässt Herrn Menon einen Gruß ausrichten. Einige Tage später erscheint er im Geschäft. Und dann die gewichtige Mitteilung:

"Menon begab sich in die Wohnung der Böttger und verblieb dort etwa ½ bis ¾ Stunde." (Aussage von Elsa-Anna)

Einen moralischen Höhepunkt der besonderen Art erreichen die Vernehmungen mit der Haushaltsgehilfin der Kohle-Böttger Gerda […], ledig, geboren am 22. September 1921 in Kistritz, wohnhaft Weißenfelser Straße 10. Sie verbreitet sich gegenüber der Stapo dergestalt:

"Was den Umgang der Böttger mit den bei ihr beschäftigten Kriegsgefangenen angeht, so kann ich nur sagen, daß die Böttger besonders die russ. Kriegsgefangenen immer mehr wie anständig behandelt hat. … Befragt darüber, ob ich der Böttger einen intimen, sogar geschlechtlichen Umgang mit einem Kriegsgefangenen zutraue, so muß ich erklären, daß ich dies bejahen muß. Ich traue der Böttger sogar einen Geschlechtsverkehr mit einem Russen zu, weil ich weiß [,] wie toll die Böttger auf Männer ist." (Aussage von Gerda)

Darauf stützt sich der "Rufbericht" der NSDAP-Kreisleitung Naumburg für das Sondergericht, wo es heißt:

"Der allgemeine Ruf der Genannten wird als flatterhaft und leichtsinnig gekennzeichnet." (NSDAP-Kreisleitung, 13. April 1943)

Rosemarie denunzierten die Nachbarn und Mitarbeiter! Von ihrer Hausbewohnerin Rosa […], geboren am 7. März 1910 in Flensburg, erfolgt, wie bereits erwähnt, der erste Anruf bei der Naumburger Polizei. In der Vernehmung bei der Stapo bekäftigt sie:

"Die Angaben der … [Gerda - die ehemalige Haushälterin] sind nicht zweifelhaft, zumal ich inzwischen selbst Beobachtungen gemacht habe, die untrüglich einem verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen durch die Böttger gleichkommen." (Aussage von Rosa)

Ihre Beobachtungen:

"Ich und meine Schwägerin ... haben die Böttger im Haus gesehen." Sie hat den Russen in die Wohnung gelassen. "Ich habe festgestellt, dass der russ. Kriegsgefangene Alexsej bis 17 Uhr mit der Böttger allein in der Wohnung war." Sie sah, wie Rosemarie den "Russen in den Arm genommen hat". "Die Böttger war sehr erregt, die Kleider in Unordnung, die Haare durcheinander, das Kleid war nicht mal geschlossen."

Neuengueter (2006) mit Neue Heimat, linke Strassenseite, drittes Haus von unten

Der Kriegsgefangene, Unteroffizier Alexej Awdeow aus Skalo im Ural, den sie umarmt hat, ist unverheiratet, kinderlos und von Beruf Lehrer. Die russischen Kriegsgefangenen sind in Naumburg in der Herberge zur Heimat (Neuengüter 16) untergebracht. Bei seiner Vernehmung vom 7. April 1943 sagt der Russe, es sei weder zu Wein- oder sonstigem Alkoholgenuss oder intimen Kontakten gekommen. Der erste Teil der Aussage ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass er sein Leben retten will. Denn aus dem Vernehmungsprotokoll der Stapo zu Rosemarie ergibt sich, dass man wahrscheinlich doch dem Wein etwas zugesprochen hat. Doch er trifft eine andere wichtige Feststellung:

"Ich und meine Kameraden haben Frl. B. [Böttger] wegen ihrer Gutmütigkeit uns gegenüber als Chefin geschätzt." (Vernehmung Alexej)

Zeugin Frau Rosa hat der Stapo noch mehr zu erzählen.

"Soweit ich mich erinnern kann,"

sagt sie,

"sind am Donnerstag die russ. Kriegsgefangenen von der Fahrbereitschaft einer Baustelle (Friedrich-Nietzsche-Straße) plötzlich von dem Hof der Böttger geholt worden. Die Böttger sagte hierauf: "Nun haben sie die Russen weggeholt, nun werden sie mich auch noch holen." "Meine Wahrnehmungen habe ich mit meiner Schwägerin besprochen, die ihrerseits eine Meldung bei ihrer zuständigen Ortsgruppe Mitte der NSDAP Naumburg / Saale machte." (Aussage von Rosa)

Aber auch Frau Magdalena […], geboren 1907 in Windischleuba bei Altenburg, seit sechs Jahren wohnhaft im Marienplatz 3, weiß etwas über Rosemarie:

Schon die Eltern sorgten sich in "sittlicher Hinsicht" und über den "schlechten Lebenswandel" von Rosemarie. "… so daß wir ein besonderes Augenmerk auf ihr Treiben hatten und nun auch Beobachtungen angestellt haben, die schließlich dazu führten, daß die Rosemarie Böttger einen regelrechten intimen Verkehr des Nachts mit Soldaten (insbesondere mit dem Hauptwachtmeister Reuter des Genes. Kompanie in Naumburg / Saale) ausübte und am Tage sich sogar mit russischen Gefangenen einließ. Ich habe gesehen, daß die Böttger am Dienstag, dem 16. März 1943, im Wohnzimmer 17.30 Uhr für vier [Zahl undeutlich] Personen eingedeckt hatte". (Aussage von Magdalena)

 

In einer Stadt Deutschlands

Blick zum Marienplatz 3 (2006)

"Der Angeschuldigten", heißt es in der Anklageschrift, "war bekannt, dass die russischen Kriegsgefangenen keine Post in ihre Heimat schreiben dürfen." "Trotzdem bewahrte sie den Brief und den Postpassierschein in ihrem Schreibtisch auf, um dem Gefangenen einen besonderen Gefallen zu erweisen und um die Gelegenheit abzuwarten, die es ihr ermöglichte, den Brief durch die Kontrolle zu bringen." Es ist weitgehend ungeklärt, wie es Rosemarie Böttger gelang den Postpassierschein für den Brief mit dem Leitweg Bern / Schweiz - Orenburg (Russland) an E[J]ekatarina Pawolowna zu besorgen. Als Adresse gab sie Maren Böttger, Marienplatz 3 an. Angeblich eine Verwandte von ihr. "Zweck des Schreibens ist es Nachforschung über den Verbleib von Angehörigen der Schreiberin. Die Notwendigkeit des Briefwechsels ist geprüft und genehmigt", steht auf dem Postpassierschein L 06307 (Wehrkreiskommando Leipzig, Zweigstelle Naumburg, Ortskommandantur Naumburg) vom 18. März 1943 versehen mit zwei Stempeln der Feldpostnummer. Beide verschaffte sie sich aus Wehrmachtsbeständen. Hierzu leitete die Staatsanwaltschaft ein gesondertes Verfahren ein.

Im März 1943 schrieb Alexej Awdeow aus Naumburg:

"Ich grüsse Dich, teuere Mutter
und beeile mich, Dir mitzuteilen, dass ich fürs erste lebe und gesund bin. Ich befinde mich in Gefangenschaft in einer Stadt Deutschlands.

Ich bin in Arbeit eingestellt, welche mir die Möglichkeit gibt, zu leben.

Teure Mutter, es ist mir sehr schwer. Menschen mit Herz [Rosemarie!] sind um mich, die sich um meine Gesundheit und mein Leben kümmern, um in die Heimat zurückzukehren zu können.

Ich küsse Dich
Alex" "

(Sondergerichtsanklage! Übersetzung des Briefes durch die Staatsanwaltschaft.)

Menschen mit Herz! Diese ehrenhaften Worte verdankt die Stadt Naumburg ihrer Bürgerin Rosemarie Böttger vom Marienplatz 3.

 

Vor dem Sondergericht in Halle

Blick zum Marienplatz 3 (2006)

Was bleibt Rosemarie Böttger noch zu tun, nachdem sie so denunziert wurde? -
Als sich die erst 22-Jährige bei der Stapo in Weißenfels und später in Untersuchungshaft in Halle mit dem Vorwurf der Wehrkraftzersetzung konfrontiert sieht, gibt sie zu Protokoll, dass sie sich "nie so weit herablassen würde, mit einem russischen Kriegsgefangenen den Geschlechtsverkehr auszuüben". Und sie entschuldigt sich faktisch für den leichtfertigen Umgang mit den Kriegsgefangenen. "Ich sehe ein, daß mein Verhalten gegenüber den russischen Kriegsgefangenen als deutsche Frau nicht richtig war", erklärt sie vor der Staatspolizei in Weißenfels am 26. März 1943. Rosemarie musste ihr junges Leben retten, denn sie wollte ihr Kind wieder sehen.

 

Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz des deutschen Volkes vom 25. November 1939

§ 4

"Wer vorsätzlich gegen eine zur Regelung des Umgangs mit Kriegsgefangenen erlassene Vorschrift verstößt oder sonst einen Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegt, die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt, wird mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft."

 

Als Vertreter der Anklagebehörde beim Sondergericht (Halle) fordert Landgerichtsrat Hans von Egidy in der Anklageschrift vom 13. Mai 1943 fünf Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte!

Das Sondergericht I in Halle (Saale) erkennt unter Vorsitz von Landgerichtsrat Morsbach mit den Beisitzern Landgerichtsrat Schulze und Amtsgerichtsrat Fickel am 16. Juni 1943 "für Recht": Die Angeklagte wird wegen Verbrechens nach Paragraf 4 der Wehrkraftschutz-VO zu zwei Jahren Zuchthaus und zwei Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie zur Übernahme der Kosten des Verfahrens verurteilt. (Böttger Urteil) - Menschlichkeit war ihr Verbrechen!

Zunächst kommt Rosemarie Böttger in das Strafgefängnis nach Magdeburg. Am 12. April 1944 erfolgt ihre Überführung in das Frauenzuchthaus Cottbus. Hier wird sie am 15. Februar 1945 antlassen und kehrt nach Naumburg zurück.

 

Über die Denunziation

Große Neustraße 43 (2006)

Es ist möglich, dass Rosemarie in den Russen Alexej etwas verliebt war. Doch dies mit Vorbehalt, denn aus amtlichen Unterlagen ist das nur begrenzt deutbar. Sollte es so gewesen sein, dann tut dies dem humanistischen Impetus der jungen Frau überhaupt keinen Abbruch. Denn sie verhielt sich in ihrem Geschäft nicht allein zu den russischen Kriegsgefangenen menschlich, sondern ebenso gegenüber den anderen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, den Franzosen und Polen.

Erinnern wir uns an Franz Feller. Mit seinem Antrag an die Stadtverwaltung zum Bau eines kleinen Siedlungshauses im Jahr 1931 gewährte er uns einen tiefen Einblick in die Träume und Hoffnungen der arbeitenden Klasse in Naumburg. 1944 treffen wir ihn als Arbeiter in der Färberei Felske, Große Neustraße 43, wieder. Am 15. Februar 1944 trägt sich hier Folgendes zu: Die Arbeiter Maximiliam Puyenchet (geboren am 29. Dezember 1903) und Jeane Mathieu (geborene Roy, 13. Oktober 1905) hatten angeblich grundlos ihre Arbeit in der Färberei verlassen und damit die Betriebssicherheit auf das Höchste gefährdet. Sofort macht der Betriebsführer Mitteilung an die Polizei. Als Zeuge benennt er - F r a n z F e l l e r. Später stellt sich dann heraus, dass der eine Franzose seinen Chef um Urlaub bat, weil er seine Familie in der Heimat besuchen wollte. Darauf reagierte der Chef mit einem Faustschlag aufs Auge, worauf beide ihren Arbeitsplatz verließen und abrückten ... Der Arbeiter trat vor der Polizei nicht als Zeuge gegen die Franzosen auf!

Aber so handelten nicht alle Naumburger. Im Fall der Rosemarie Böttger fand die Stapo genügend Plaudertaschen. Alle geleitet von der Hingabe an das deutsche Volk. Und immer wachsam gegenüber Wehrkraftzersetzung! "Dazu diese unglaubliche Denunziations-Wut - dies ist freilich nicht zu verwundern, denn dazu hat der Nationalsozialismus unser Volk ja 12 Jahre lang geradezu gedrillt", notiert unter dem 18. Mai 1945 Oberlandesgerichtspräsident Paul Sattelmacher von Naumburg in seinen Erinnerungen.

Der erste Anruf bei der Polizei Naumburg erfolgte anonym. Wie sich herausstellt war es Rosa […]. Daraus könnte man auf ein schlechtes Gewissen schließen: War es richtig und moralisch, so zu handeln? Und trotzdem, für "Führer, Volk und Vaterland" ist es dann doch legitim. Es sichert die Reputation und das Ansehen in der nationalsozialistischen Kommune. Meist beginnt die Karriere des Denunzianten als "Wächter" oder "Beobachter". Die herrschenden sozialen und politischen Moralnormen strukturieren seine Aufmerksamkeit. Ihn interessiert besonders die Differenz zwischen beobachtetem und richtigem Verhalten mit seinen ideologischen und normativen Vorgaben (Gesetzgebung, Erziehung, Ideologie). Immer glaubt er sich im Wissen von der einzigen Möglichkeit des korrekten sozialen Verhaltens. Ein Verstoß des Delinquenten gegen die vom Staat sanktionierte Verhaltensnorm berechtigt ihn zur Meldung an dessen Institutionen (Polizei). Zur Analyse und Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit holt man von der NSDAP-Kreisleitung Rufberichte ein. Auf diesem Hintergrund interpretiert der Richter die Biografie, wie Trennung der Verlobung, Männerbesuch, uneheliches Kind, Umarmung eines Russen, und bricht sie durch die sanktionierte Erkenntnisperspektive des Nationalsozialismus. Der Denunziant wähnt sich immer im Bewusstsein, der bessere Mensch oder doch zumindest im Recht zu sein. Am einfachsten geht dies, indem er andere herabsetzt.

 

Entlassung aus dem Frauenzuchthaus in Cottbus

Entlassungsschein* -  Vollbild

Am 15. Februar 1945, 11.05 Uhr, heulen in Cottbus die Sirenen. Voralarm! Dreißig Minuten später Fliegeralarm. Es nähern sich 435 B 17-Bomber der 3. Division der 8. US-Luftflotte. Um 11.45 Uhr erreichen sie die Stadt. Nach offiziellen Angaben sterben etwa 1 000 Bürger im Bombenhagel. Große Gebiete sind zerstört. Besonders betroffen ist das Frauenzuchthaus in der Bautzner Straße. Hunderte von Frauen sitzen hier in ihren Zellen. Viele kamen ums Leben. Einige befinden sich im Arbeitseinsatz in den umliegenden Betrieben. Der Entlassungsschein vom Frauenzuchthaus Cottbus für Rosemarie Böttger datiert vom

15. Februar 1945.

Wo aber war Rosemarie zur Zeit des Luftangriffs? Im Zuchthaus? Im Arbeitseinsatz? Bereits außerhalb von Cottbus? Wir wissen es nicht. Sie sprach nie darüber. - Jedenfalls händigt man ihr bei Entlassung aus dem Zuchthaus einen Arbeitslohn von 59,10 Reichsmark und eine Eisenbahnfahrkarte für die Reise nach Naumburg an der Saale aus.

 

Ein Leben ohne Glück

Ihre Kohlehandlung führt während ihrer Haft der Ehemann von Schwester Käthe, Richard Callmeier (ehemals Kanonierstraße 3). Sie pflegten auch Tochter Karjane, als sie in Haft war.

Rosemarie Böttger und ihr Ehemann Stefan Dubrowksy* (1946)

Am 23. Mai 1945 heiratet Rosemarie Böttger in Naumburg in Anwesenheit der Trauzeugin Anneliese Klingst (Neuengüter 15) den Unterleutnant Stefan Dubrowsky, geboren am 5. August 1919 in Mogilew in Weißrussland. Laut Eheschließungsurkunde vom Standesamt Naumburg lebt sie noch im elterlichen Haus am Marienplatz 3. Doch hier kann sie nicht bleiben. Die innerfamiliären Gründe dafür scheinen nicht erfreulich gewesen zu sein. Auf Befragung des Antifaschistischen Blocks Naumburgs gibt sie auf dessen Kontrollbogen am 24. Oktober 1945 als Wohnort Am Birkewäldchen an. Wenig später lautet ihre Adresse August-Bebel-Straße 3.

Ihr Ehemann erhält am 23. Februar 1946 den Befehl in die Sowjetunion zurückzukehren. Am letzten Maitag desselben Jahres entbindet sie einen Jungen. Sohn Alexander Dubrowksky wird seinen Vater nie sehen. Im wahrscheinlich einzigen, doch definitiv letzten Brief an Rosemarie vom 26. Januar 1947, schreibt Stefan, daß er zu ihr nach Deutschland reisen will, aber es ihm verboten ist. Durch den Verlust ihres Mannes schon tief in ihren Gefühlen der Liebe getroffen, erfährt sie einen weiteren Schicksalsschlag: Gemäß der Verfügung des Ministeriums des Inneren der Deutschen Demokratischen Republik vom 28. September 1951 erklärt das Standesamt Naumburg am 28. November 1951 ihre Ehe mit Stephan Dubrowsky als "nicht zustande gekommen."

Rosemarie Böttger*
- etwa 1960

Bis 1949 arbeitete sie im Kurhaus Zum mutigen Ritter in Bad Kösen. Mit ihrem Lebenskameraden, Karjane und Alexander (geboren 1946) zieht sie 1950 in das dreißig Kilometer entfernte Zeitz, wo sie bis zum Eintritt in das Rentenalter als ungelernte Arbeiterin in der Zekiwa (Zeitzer Kinderwagenfabrik) tätig ist. Ihr Sohn Alexander studierter Elektroniker, im Beruf immer erfolgreich, kann die vom Staat verordnete Trennung vom Vater nie vergessen. Er lebt heute in Gera. - Tochter Karjane stirbt am 25. Juli 1993 im Alter von 51 Jahren in München.

Ungestillte Sehnsüchte nach einer Familie, zerstörte Hoffnungen und eine schlechtere soziale Position - zudem beschwert mit einer schwierigen haushaltsökonomischen Lage, brachten sie aus dem Gleichgewicht.

Glücklich? Nein, glücklich wurde die Rosemarie Böttger nicht. Sie stirbt im Alter von 83 Jahren in Zeitz.

Früh verlor Rosemarie ihre Mutter (1942) und den Vater (1940). Ihr sechs Monate altes Kind hegt und pflegt sie, wie dies alle Mütter tun. Wacker führt sie das Kohlen-Geschäft. Immerhin bietet es drei weiteren Personen Lohn und Brot. Sie hilft ihrer Freundin aus Bremen mit einem Job. Ihre junge Liebe mit dem Verlobten ist nicht von Dauer. Aber das soll wohl schon öfter passiert sein. War sie wirklich mannstoll oder einfach nur 22 Jahre jung? Wie wir dies immer beantworten mögen, vom Standpunkt der liberalen Lebensmoral gehört ihr unsere ganze Sympathie. Denn die Kohlen-Böttger erlag nicht der herrschenden öffentlichen Moral. Ohne Vorurteil und hilfsbereit, so ging sie mit Fremden um! Dies kommt einer Verweigerung gegenüber dem Rassenwahn und Völkerhass der NS-Ideologie gleich. Freundlich war sie zu jedermann, auch gegenüber den Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen und Untermenschen. Sie brauchte kein politisches Konzept oder eine Partei. - Rainer Maria Rielke war ihr Lieblingsdichter. - Allein mit Anständigkeit stellte sie die Herrschaft der Nationalsozialisten in Frage. Die von der Stapo gestempelten Attribute zur Herabsetzung ihrer Person werden in einer Gesellschaft mit humaner Kultur zu Ehrennamen. Liebe- und achtungsvoll erinnern wir uns an die vorurteilslose, herrlich unbefange und mutige Naumburgerin vom Marienplatz 3.

 

 

Otto Gagel  nach oben

Kunstmaler Otto Gagel, geboren am 13.Juli 1893 in Düsseldorf, wird am 2. Oktober 1934 durch das Landgericht Naumburg wegen Vergehens gegen Paragraf 3 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 21. März 1933 zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte behauptet,

"man habe Thälmann die Kopfhaut in Hakenkreuzform abgezogen" (nach Stapo 1933e 222).

Interessant wäre zu wissen, wie dieses Gerücht entstanden ist. Leider konnten die entsprechenden Prozess-Akten wegen Kriegsverlust nicht befragt werden.

Am 29. Oktober desselben Jahres findet am Landgericht Naumburgunter unter der Leitung von Landgerichtsrat Lohmeyer als Vorsitzenden ein Berufungsverfahren statt. Das Urteil vom 2. Oktober wird durch Richterspruch aufgehoben und die Sache an das Sondergericht Halle verwiesen. (Vgl. Gagel)

 

 

Hans Wilhelm Stein (Saaleck) und
der Vaterlandsverräter Baldur von Schirach  nach oben

Blick zur Burg Saaleck (2009)

Das Kommando Erwin Kern (1898-1922) befreit am 29. Januar 1922 den Kriegsverbrecher Ludwig Dithmar aus dem Gefängnis in Naumburg am Roonplatz. Siebzehn Tage verbirgt der OC [Organisation Consul] dann den Kriegsverbrecher auf Burg Saaleck. Sechs Monate später flüchten die Rathenau-Mörder hierher. Ihr Pächter auf Lebenszeit heißt seit 1912 Hans Wilhelm Stein (1876-1944). Hinter den alten Burgmauern versteckte 1920 Max Jüttner (1888-1963), Führer der Naumburger Einwohnerwehr, Waffen. 1933 bedankt er sich beim Burgherren mit einer einmaligen Zuwendung in Höhe von 500 Reichsmark. Zusammen mit etwas Prominenz weihen die ehemaligen Kämpfer aus dem Osten im Juni 1934 die Erinnerungstafel für die Baltikumkämpfer ein. Viele kennen sich aus dem Mitteldeutschen Landesverband der Baltikumkämpfer, wo auch Stein seit 1931 Mitglied ist. Nach 1933 baute er die Burg zu einer Stätte der nationalsozialistischen Heldenverehrung aus. Provinzial Konservator Professor Hermann Giesau (1883-1949) aus Halle überträgt dem promovierten Juristen am 1. Juni 1934 das Amt des Denkmal- und Landschaftschutzwartes für die Umgebung von Saaleck.

 

Aus dem Leben

Hans Wilhelm Stein
(1875-1944) - Zeichnung

Hans Wilhelm Stein wurde am 15. Oktober 1875 in Magdeburg als Sohn eines Zoll-Beamten geboren. Im Anschluss an das Gymnasium studierte er ab 1895 in Berlin und Jena Rechtswissenschaften, dass er zunächst nicht vollendet. 1898 ist er Volontär bei einem kaufmännischen Unternehmen in Hamburg. Darauf folgt die Tätigkeit als Frakturleiter (1901) in Westfalen. Darauf übernimmt er die Leitung einer Speditionsfirma in Rotterdam. 1905 ruft ihn wieder das Jurastudium zu sich. Zwei Jahre später erfolgt an der Universität Jena die Promotion zum Doktor jur.. Danach wird er Syndikus im Verband der Deutschen Steindruckereibesitzer, die er zum persönlichen Vorteil missbraucht. Insgesamt stehen 14 945 Mark in Rede. Zwei Posten über 2.000 und 3.000 Mark gibt er zu, unerlaubt privatisiert zu haben. Ins Rollen kam die Sache durch sein anmaßendes Wesen. Während der Verhandlungen vor Gericht in Leipzig gelangt von ihm folgender aufschlussreicher Brief an seine Frau an die Öffentlichkeit:

"Das tut mir sehr leid! Nicht, dass der Verband zu Schaden gekommen, sondern dass sie es gemerkt haben, und dass ich nicht klug genug gewesen bin, so viel zu nehmen, dass du sorgenfrei leben kannst."

Außerdem kam zum Vorschein, dass ihn die Befriedigung recht gehobener Bedürfnisse umtrieb. Seine bohemhaften Attitüden brachten ihn fortwährend in fananziellen Scwirigkeiten. Wegen Urkundenfälschung und Unterschlagung verurteilt ihn am 12. Juni 1914 das Landgericht Leipzig unter Anerkennung der neunmonatigen Untersuchungshaft zu einem Jahr Gefängnis.

 

Burgruine Saaleck

Als Kriegsfreiwilligen erliess man ihm einen Teil der Gefängnisstrafe. 1917 kehrt er aus dem Lazarett mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse nach Burg Saaleck heim. Viele Umstände sprechen dafür, dass er 1922 in die Flucht der Rathemörder nach Saaleck verwickelt war. Typischerweise leugnet er in der Öffentlichkeit bis 1933 seine Beteiligung immer ab. Etwa am 9. September 1929 in Naumburg bei der Gerichtsverhandlung zum Passfälschungsschwindel, wo er behauptete, nicht zu wissen, wie die Flüchtigen Kern und Fischer in seine Burg gelangten. Andererseits unterstützte er als Mitglied des Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes die Tat. Gegründet am 18. Februar 1919, sammelte sich in ihm ein Kader, der die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) durch vielfältige Aktivitäten unterstützte. Außerdem gehörte Stein seit 1918 der Deutschnationalen Volkspartei an, die antisemitisch und -sozialistisch, rassistisch und revisionspolitisch ausgerichtet ist. Am 1. August 1929 übernahm ihn, was durchaus kein formaler Vorgang war, die NSDAP als Mitglied.

Der Ostturm von Burg Saaleck Wohnung von Hans Wilhelm Stein. (2009)

Bei der Erhaltung der Burg und Durchführung von Umbauarbeiten half ihn Architekt August Pfisterer, den man ansonsten als Bürochef in den "Saalecker Werkstätten" des konservativen Kulturreformers und späteren Nazi-Architekten Paul Schulze-Naumburg traf (Vgl. Haufe 52f.). Der teilweise Wiederaufbau im Inneren efolgte im Stil einer pseudomittelalterlichen romantischen Dichterklause. Die Vier-Zimmer-Wohnung befand sich im Ostturm. Den Westturm richtete Stein 1930 soweit her, dass er durch eine eingezogene Rundtreppe bestiegen werden konnte. Stolz teilt er 1935 in der Schrift Burg Saaleck in Geschichte, Sage und Dichtung mit:

"Heute ist die Burg [Saaleck] seit 1912 durch lebenslängliche Pacht [vom Freiherr von Feilitzsch, Rittergut Stendorf bei Saaleck] in meinen Händen. Ich habe sie in langen Zeiten unter großen Geldopfern zum beträchtlichen Teile wieder aufgebaut."

 

„Stein lehnt sich gegen das Turmfenster“, lesen wir in

Der Hochstapler
Hans Wilhelm Stein

von Ursula Martin.

„Nebelfetzen überm Tal. Wogendes Hin und her. Wie auf einer Kommandobrücke eines Schiffes fühlt er sich in seiner geliebten Burg. Hoch über der Saale, diesem viel besungenen Fluß. Hoch erhoben über Schultze-Naumburg, dem Architekten dort unten im Dorf. Mit seiner Künstlerkolonie, den sogenannten Saalecker Werkstätten. Und dem pompös am Felshang aufragenden Wohnhaus. Schultze-Naumburg, der ihm, Stein, den Rang streitig macht.“ Mit seinen Nachbarn sucht er nicht gerade die freundliche Übereinkunft. Die Ehe der geschiedenen Frau Margarete (1896-1960) Schultze-Naumburg mit Reichsinnenminister Frick bezeichnet er im von der Gestapo aufgefundenen Tagebuch als Schönheitskonkurrenzunternehmen.

 

Am Schnittpunkt von
völkischer Bewegung und Heimatbewegung
(Rüdiger Haufe)

1897 erschien das erste Mal "Das grüne Herz Deutschlands" von August Trinius (1851-1919) aus dem Verlag Anton & Co. in Leipzig, das eine Auswahl von Sagen, Geschichten und Landschaftsbildern des Thüringer Dichters enthält. Von großer Wirkung war sein Motto: "Wandern heißt Leben". Es kombinierte sich gut mit dem Engagement des Wandervogels und mit dem Zug der Neuen Schar durch Thüringen 1920/21.

Nach dem Krieg bildeten sich Berg-, Burg und Waldgemeinden. Die Versammlung des Bundes der Thüringer Berg- Burg- und Waldgemeidnenkonstituiert sich

am 11. Juni 1921 auf der Wachsenburg.

Fast 1 500 Mitglieder waren Anwesend. Der Vorstand rekrutierte sein Peronal aus den einzelnen Gemeinden. Erster Vorsitzender wurde der Schriftsteller Dr. jur. Hans Wilhelm Stein, Führer der Rudelsburg-Gemeinde und der Saalecker-Ritterschaft. Rüdiger Haufe verottete ihn 2004 in einer temporeichen Studie am Schnittpunkt von völkischer- und Heimatbewegung. Studenten aus Jena lauschten am 24. Juni 1922 auf Burg Saaleck andächtig der aus ultrapenetrantem deutschnationalen Pathos geformten Sonnenpredigt. Als Festredner assistieren ihnen Oberst von Schönberg aus Kreipitzsch und Architekt Max Graumüller aus Saaleck.

In Verbindung mit der Flucht der Rathenau-Mörder nach Saaleck muss Dr. Stein im Juli 1922 den Vorsitz niederlegen. Im April 1925 tritt der Burgrestaurator der "Romantischen Gemeinde" bei. Ihr steht der Verleger, Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift "Die blaue Blume" Fritz Werneck-Brüggemann vor. (Haufe 54) Seine "Gepanzerte Braut" vertonte der Gymnasiallehrer für Musik Armin Haag als komische Spieloper. Am 27. April 1922 feierte sie im Landestheater Coburg ihre Premiere.

 

Im Stil eines ultrapenetrant deutschnationalen Pathos

Allerdings erzielen die Schriften "Die Geister der Burg Saaleck (1927), "Ahasver" (1921), "Aus dem Burggemach" (1924), "Tiberius", "Markgraf Ekkehardt" (1929), Cäsarenwahn" (1930) oder "Die Apotheke zum Tor des Lebens" (1935) keine nennenswerten Erlöse. Immerhin machen ihn aber

Burg Saaleck in Geschichte, Sage und Dichtung(1935)
und
Burg Saaleck, die Türme des Schweigens (1938)

in der Region und bei einem speziellen Publikum in Deutschland bekannt. Der Schriftsteller liebt ästhetische Topois nach der Art Heimat in Not. "Ekkehardt" bleibt im Kampf bis zum letzten Atemzug dem Führergedanken und der Blutstreue verbunden.

Ab 1929 versah er seinen Namen mit dem Appendix "Saaleck".

 

Ehe in Not und finanzielle Schwierigkeiten

Die erste Ehe, 1913 geschlossen, überstand den Krieg nicht. 1922 heiratete er Annemarie, verschwieg ihr aber die Vorstrafe. Sie litt darunter. Das Leipziger Gericht erkannte darin eine schwere Missachtung ihrer Person und trennte am 13. März 1930 das Ehepaar.

Ständig plagen ihn arge finanzielle Nöte, was sich auf Partnerschaft nicht gut auswirkte. Eine Ursache war sein Lebensstil als Land-Boheme. Im Freundesgruß zum 60. Geburtstag von Stein vom Bundeskanzler der Gesellschaft für Romantik Fritz Werneck-Brüggemann heisst es: "Gefängnis [nach dem Ende der Flucht der Rathenau-Mörder am 17. Juli 1922] und der Geldverfall verursachten den Verlust seines angesparten Vermögens."

Die Tätigkeit als Geschäftsführer der Vereinigung der Angestellten des Mitteldeutschen Bergbaus (1918) bleibt ein Intermezzo. Ohne das Einkommen von Frau Annemarie, dass sie in einer Weimarer Apotheke und in der Löwenapotheke Naumburg erzielte, wäre ihre wirtschaftliche Lage hoffnungslos gewesen.

Der Westturm von Burg Saaleck (2009)

Vergeblich klagt er gegen die Stadt Halle, um einige hundert Mark als Wiedergutmachung für die beim Schusswechsel am 17. Juli 1922 angerichteten Schäden in seiner Wohnung und an der Burg zu erhalten.

Ein wenig hilft 1926 die Auszahlung einer Haftentschädigung im Zusammenhang mit dem Rathenau-Prozess. Zudem belasten ihn bis 1928 Zahlungen von Gerichts- und Anwaltskosten.

Am 6. Juni 1931 und 30. Juli 1937 leistete er den Offenbarungseid. Als ihm am 1. Januar 1938 sein Ehrensold für Verdienste um die völkische Bewegung in Höhe von 300 Reichsmark in Reaktion auf seine Quertreibereien aberkannt wird, verschlechtert sich abermals seine Haushaltlage. So stellte er sich das Leben mit seiner dritten Frau Anita, die er im Juli 1937 heiratete, nicht vor. Bisweilen kann er noch Nebeneinnahmen verbuchen. Zum Beispiel für das Hörspiel "An der Saale hellem Strande", dass der Leipziger Reichssender am 10. Juni 1934 von 17.30 bis 18.30 Uhr sendete.

1937 begann die Ehe mit Anita Luise Stein, geborene Koll. Dem Ehepaar machen die kärglichen Einnahmen arg zu schaffen. Das Geld aus den Burgführungen und dem Verkauf von Ansichtskarten, es reicht hinten und vorne nicht, um den Lebensunterhalt vernünftig zu fristen.

 

Pleite der Baltikumkämpfer

Unentwegt webt der Kämpfer von der Ypern-Front und EK II Träger am Mythos als Patriot und Vorkämpfer eines freien Deutschlands. Stein überhöht gern seine Rolle in der völkisch-nationalen Freiheitsbewegung, was sich dann so anhört:

„Ich habe [1919] mit der Waffe in der Hand den Angriff der Kommunisten auf die Hauptpost [Halle] abgewehrt.“ (Sondergerichtsklage Stein)

Den regionalen NS-Granden gefiel das überhaupt nicht.

Am 3. Juni 1934 erfolgt auf Burg Saaleck am Ostturm die Einweihung der Erinnerungstafel für die Baltikumkämpfer. Damit kürt er seine seit 1931 bestehende Mitgliedschaft im Mitteldeutschenverband der Baltikumkämpfer. Trotz ihres faschistoiden Charakters, kommt seine Rede nicht zur rechten Zeit. Der Umtriebige verkennt die außenpolitische Ambitionen von Adolf Hitler und dessen Planungen, in der seine Friedensbeteuerungen eine spezielle Funktion zukommt. Als er für den 6. und 7. Juli 1935 abermals ein Treffen in Bad Kösen organisierte, reisten immerhin 400 bis 500 Personen an. Doch der Reichsinnenminister Wilhelm Frick verbietet die Veranstaltung. Zum 23. Juli 1935 verfügt er die Auflösung des Reichsverbandes der Baltikumkämpfer und aller Verbände der ehemaligen Freikorpskämpfer. Der nationalsozialistische Staat billigt den Verbänden kein Sonderleben mehr zu. Die Gestapo unternimmt alles, um die Kösner Veranstaltung zu verhindern. Darauf reagieren er und sein Freund Schwerdtfeger (Weißenfels) höchst ungehalten. Ursula Martin gibt uns in ihrem Buch „Der Hochstapler Hans Wilhelm Stein“ (2005, Seite 68 ff.) eine anschauliche Vorstellung, wie sie die Kontrolle über sich verlieren. Alles endet in den frühen Morgenstunden mit der Verhaftung seines Kumpanen.

Ein Jahr darauf, am 17. Juli verhindern zwei SA-Männer, dass Stein eine Rede zur Feierstunde am Grabe von Kern und Fischer in Saaleck hält. In einem Beschwerdebrief zum Entzug des Doktorgrades an den Rektor der Universität Jena im Jahr 1940 bezeichnet er dies als Kesseltreiben. - Ein letztes Mal hissen die Baltikumkämpfer am 10. Januar 1938 die Reichskriegsflagge auf der Burg Saaleck.

 

Die Schirach-Affäre

Kurhotel in Bad Kösen (2006)

Wie das Rost das Eisen, so zerfrisst die Schirach-Affäre sein Leben. Sie beginnt während der Feier nach einer HJ-Führertagung im Kurhotel Bad Kösen

am Abend des 12. April 1933.

Reichsjugendführer Baldur von Schirach schiesst in ein hässliches Adolf-Hitler-Bild. Als Stein davon erfährt, tut er nicht amüsiert wie etwa der NSDAP-Ortsgruppenleiter, sondern erkennt sofort auf Vaterlandsverrat und erstattet Anzeige. Man bearbeitet selbige nicht, was bei Stein großen Unmut hervorruft. In einer Führerbesprechung mit zwanzig Ortsgruppenleitern des Landesverbandes der Baltikumkämpfer im Jahr 1934 äußert er sich darüber ungehalten.

„Wir alle, die wir das hörten, waren hierüber im ersten Augenblick sprachlos“,

sagt ein Zeuge dazu später aus.

Ebenso beklagt er sich am 5. Mai 1935 betreffend seiner Anzeige über diesen Schiratzki, wie er Schirach nennt, bei den Herren aus dem Dresdner Kultusministerium, die von einer Tagung der Deutschen Christen in Weimar vorbeikamen. Daraufhin lachten die sechs Herren und sagten: “Das ist doch kein Wunder!“ Auf Steins Frage, was das heißen soll, hätte der Sächsische Kultusminister wörtlich geäußert:

„Hitler und Schirach sind doch warme Brüder!“

Und weiter: „Deshalb kann Schirach machen was er will.“ (Sondergerichtsklage Stein)

Seine Anzeige wird also nicht bearbeitet, weil der Reichsjugendführer „die Hure des Führers“ ist. Ein Päderastenstaat - also, schlussfolgert er.

Das Sondergericht Halle macht Schwerdtfeger am 6. Oktober 1936 den Prozess. Stein, der zuvor schon von der zentralen Anwaltschaft in Berlin vernommen wurde, erhält eine Vorladung als Zeuge. Auf entsprechende Nachfrage gibt er zu Protokoll, über die homoerotische Beziehung zwischen Adolf Hitler und Baldur von Schirach mit niemandem gesprochen zu haben. Bei seiner notorischen prahlsüchtigen Geschwätzigkeit konnte das eigentlich keiner glauben. Ein Meineid also. Allerdings, räumt Staatsanwalt Doktor Rothe beim Sondergericht Halle 1940 in seiner Anklageschrift ein, hätte eine wahre Aussage von Stein die Verfolgung wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz (1934) nach sich gezogen.

Stein tritt am 30. April 1936 aus der NSDAP. Er gehörte ihr seit 1929 an. Sein Widerspruch beim Parteigericht wird ablehnt. Nun strebt die Affäre ihrem Höhepunkt entgegen. Zum 1. Januar 1938 wird die Zahlung seines Ehrensolds als völkischer Vorkämpfer eingestellt. Noch immer zieht es ihn zum

Stammtisch in das Hotel Apel
(Apels Hotel, Bahnhofstraße 1, Besitzer Albert Busch).

Hier spielt er gerne Skat und macht jede Menge Schulden. Dazu gesellen sich seine Auftritte als Retter der deutschen Ehre in der Katze (Rudelsburgpromenade 8) und dem Kurhaus Mutiger Ritter. Die Gestapo erfährt so einiges durch die seit 1935 gegen ihn laufenden Ermittlungen - zum Beispiel am 25. März 1939 im Verhör von Franz Tränkner (geboren 16. August 1893), dem Gastwirt und Pächter der „Katze“.

1938 erhält er wegen Beleidigung des NSDAP-Ortsgruppenleiters von Bad Kösen, Georg Saalborn (Borlachstraße 44); und des Ortspolizisten Meder eine Geldstrafe.

Steins Äußerungen zum Thema Päderastenstaat klassifiziert das Heimtückegesetz als „öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP“. So wird der Nationalsozialist aus Berufung zum Fall für das Sondergericht Halle. Soweit scheint alles klar zu sein. Doch das Heimtückegesetz (1934) stellt nicht schlechthin alle Äußerungen, die dem „Wohl des Reiches“, dem „Ansehen der Reichsregierung“ oder der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ schaden unter Strafe. Mit Absicht spricht es von „entstellten“, nicht aber von “wahren“ oder „unwahren Behauptungen“. Ob sie wahr oder falsch sind, ist demnach völlig egal. Folglich braucht die Frage nach der Wahrheit oder Unwahrheit der Behauptung von Stein über die homoerotische Beziehung zwischen Hitler und Schirach nicht gestellt werden.

Hans Wilhelm Stein überschätzt seine Rolle in der nationalsozialistischen Bewegung. Sein ultra-rechtsextreme Querulantentum und die Stimmungsmache gegen den Schiratzki und Päderastenstaat, will die NS-Führung nicht mehr hinnehmen.

 

Urteil am Sondergericht in Halle

Nach einer turbulenten Fahndung wird der Burgherr am 31. Mai 1939 kurz vor Mitternacht auf Burg Saaleck verhaftet.

„Hans Wilhelm Stein ist jetzt 64 Jahre alt," notiert Ursula Martin in Der Hochstapler Hans Wilhelm Stein (2002, 92). " Eine menschliche Ruine mittlerweile, einer, der sich mit letzter Anspannung aufrecht hält. Sein angestrengtes Kaspergesicht bringt kein Lächeln mehr zustande.“

Unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wernicke mit den Beisitzern Landgerichtsrat Morsbach und Landgerichtsrat Keim verurteilt am 22. April 1940 das Sondergericht Halle den Angeklagten Hans Wilhelm Stein wegen Verbrechen gegen Paragraf 1 des Heimtückegesetzes und §§ 153 (Falsche uneidliche Aussage), 154 (Meineid) des Strafgesetzbuches zu drei Jahren Gefängnis. Das Urteil rechnet ihm ausdrücklich seine Verdienste in der deutsch-völkischen Bewegung zugute. Am 28. Juni 1940 entzieht ihm die Universität Jena seinen Doktorgrad und die Reichsschriftenkammer schliesst ihn als Mitglied aus.

Am 22. Oktober 1942 erfolgt die Entlassung aus dem Gefängnis in Ichtershausen. Zwei Jahre darauf, am 29. Oktober 1944, stirbt er in Saaleck.

Frau Anita Stein führt die Burg nach dem Krieg bis 1950 weiter. Zum 16. Februar 1950 kündigte der Rat der Gemeinde Saaleck ihr den Pachtvertrag und plant dort eine Jugendherberge einzurichten, was sich aber als unrealistisch herausstellt. Sie legt Widerspruch ein, der aber mit einem rechtskräftigen Räumungsbeschluss beantwortet wird. Die Ausführung zieht sich wegen weiterer Rechtsstreitigkeiten bis 1952 hin. (Vgl. Haufe 65f.)

 

 

Der Wirtschaftsverbrecher  nach oben

Paul Herrmann
28.4.1876-24.5.1945
(Zeichnung)

Gegen 10.40 Uhr nimmt Kriminalsekretär Scholz von der Ortspolizeibehörde in der Neustraße 15 von Staatsanwalt Rowoldt vom Sondergericht Halle einen Anruf entgegen. An ihn ergeht die Order, Rechtsanwalt Herrmann aus der Schönburger Straße 5 nach seiner heute noch zu erwartenden Rückkehr von einer Reise festzunehmen und dem Gerichtsgefängnis zuzuführen. Am Tag darauf - dem 14. September 1944 - ist er dem Herrn Staatsanwalt Rowoldt vom Sondergericht Halle zur Vernehmung zuzuführen, wozu außerdem ein Zimmer und eine geeignete Schreibkraft zur Verfügung zu stellen sind.

Unmittelbar nach Beendigung des Gesprächs - gegen 11 Uhr - ruft Kriminalsekretär Paul Scholz im Büro des stadtbekannten Rechtsanwalts an, um zu erfragen, ob dieser bereits von seiner Reise aus Westfalen zurück ist. Das Bürofräulein bestätigt die Anwesenheit ihres Chefs. Doch sei er jetzt gerade verhindert, sagt sie. Scholz bittet darum, dass der Rechtsanwalt sich noch heute 15.50 Uhr auf der Ortspolizeibehörde, Neustraße 15, im Zimmer 109 einfindet. Als Herrmann von seiner Sekretärin davon erfährt, verspürt er dazu aber wenig Lust. Er ahnt Ungemach.

Vom Haftbefehl, den das Amtsgericht Naumburg am 10. September 1944 ausstellte, weiß er noch nichts. Aber dass er seit 10 Jahren Geld zum Bankhaus Hope & Co. nach Amsterdam transferiert, weiß er nur zu gut. Was das für ihn bedeuten kann, weiß er ebenfalls, denn er kennt sich in den Gesetzen aus. Ihm droht eine Anklage wegen Verstoßes gegen das Devisengesetz und gegen das Gesetz gegen Verrat der Deutschen Volkswirtschaft vom 12. Juni 1933. Letzteres sichert zwar allen Personen die Straffreiheit für Steuerhinterziehung bis zum 31. August 1933 zu. Aber nur wenn die Steuerpflichtigen die im Ausland befindlichen vermögenssteuerpflichtigem Vermögenswerte (Immobilien, Beteiligungen an Gesellschaften, Schuldverschreibungen, Hypotheken, Patente, Devisenbestände über 200 Reichsmark) bis zum Stichtag beim zuständigen Finanzamt oder einer anderen Behörde der Reichsfinanzverwaltung anzeigen. Das versäumte der Rechtsanwalt absichtlich. In Anbetracht der Vorsätzlichkeit seines Handelns, die leicht nachzuweisen sind, drohen ihm mindestens drei Jahre Zuchthaus, vor einem Sondergericht möglicherweise noch mehr.

 

Deshalb zieht es Paul Herrmann nach dem Anruf von Kriminalsekretär Paul Scholz, vor seine notwendigsten Sachen in den Koffer zu packen, welchen er, um Auffälligkeiten zu vermeiden, vom Arbeiter Ködel [möglicherweise Erich Ködel, Möbelpacker, Große Fischstraße 20] zum Bahnhof nach Rossbach bei Naumburg bringen lässt, um sich schließlich nachmittags gegen 3 Uhr selbst unauffällig auf den Weg dorthin zu machen.

Zwischenzeitlich, es war so gegen 15.30 Uhr, ruft Kriminalsekretär Scholz nochmals im Büro des Rechtsanwalts in der Schönburger an, um ihm zu sagen, dass er doch bestimmte Schriftstücke, an denen der Staatsanwalt besonderes Interesse zeigte, mitbringen möchte. Das Bürofräulein erteilt die Auskunft: Herr Rechtsanwalt befindet auf dem Weg zum Herrn Staatsanwalt Rowoldt nach Halle, um die gewünschten Dokumente persönlich zu überbringen. - Geschickt, denn so gewinnt er viele Stunden, bis seine Flucht bemerkt werden kann.

In der 17. Stunde des Tages besteigt Paul Herrmann in Roßbach (Kleinjena) den Zug und fährt in Richtung Laucha. Über Zwischenstationen, der Fahrkartenverkauf bei der Deutschen Reichsbahn war zu dieser Zeit nur für jeweils bis 100 Kilometer möglich, geht es weiter nach Nordhausen und Northeim.

Auf der Reise nach Hamburg ist Zeit für etwas Besinnung. Vielleicht dachte der Achtundsechzigjährige zurück an sein Jurastudium an der Universität Leipzig und Halle, was doch so ganz im Sinne seines Vaters, dem Landgerichtsdirektor August Herrmann aus Nordhausen, war. Nach erfolgreichem Abschluss lässt er sich 1903 in Naumburg als Rechtsanwalt in der Schönburger Straße 5 nieder.

Ein Eckensteher war der Rechtsanwalt nie gewesen. Am 23. November 1918, im Jahr der Deutschen Revolution, fand in der Reichskrone eine wichtige Bürgerversammlung statt. Schon lange vor Beginn ist der Große Saal voll. Es gibt nur Stehplätze. Paul Herrmann hält den Einführungsvortrag. Zusammen mit den anderen Teilnehmern erlassen sie eine Resolution, die fordert, dass baldigst ein aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenes Parlament gebildet wird. Sie wollen eine demokratische Entwicklung einleiten, den endgültigen Frieden mit den Feinden und eine gesellschaftliches Leben, das die Gesetzlichkeit in jeder Beziehung achtet und sicherstellt. Das war damals im November 1918! Fünfeinhalb Jahre später, am 8. März 1924 gegen 8 ½ Uhr, treffen sich die Mitglieder der Deutschvölkischen Freiheitspartei - die Urzelle der NSDAP-Ortsgruppe - in Dunkelbergs Gasthof (Spechsart 26), um die Kandidaten für die Stadtverordnetenwahlen am 4. Mai 1924 zum Völkisch-Sozialen Block (VSB) festzulegen. Wieder dabei: Der Rechtsanwalt aus der Schönburger Straße 5. Allerdings sind die diesmal intendierten politischen Absichten, denen der Bürgerversammlung vor sechs Jahren entgegengerichtet.

Herrmann verlässt die NSDAP-Ortsgruppe 1928.

Im gleichen Jahr bekommt er für seine Lebensversicherung, die 1916 bereits ein Guthaben von 60 000 Mark auswies, anstatt der avisierten 120 000 Mark, die 1924 fällig gewesen wären, nur schlappe 6 000 Mark ausgezahlt. Eine herbe Enttäuschung für den EK II-Träger am weißen Band. Wenige Jahre zuvor schluckte die Superinflation 1923 seine Bargeldreserven.

Wenn er seine Frau und die Kinder - Wolfgang, Dietrich, Ilse und Annemarie - durch die Untiefen der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise bringen will, darf der Ertrag seiner Arbeit nicht verloren gehen. Er muss Schlußfolgerungen ziehen. Immer erhielt für seine Tätigkeit, wie die Rechtsberatung der Phrix AG Hamburg, wo übrigens sein Sohn Dietrich später eine Anstellung findet, gute Honorare.

Am 31. Juli 1930 eröffnet er bei der holländischen Bank Loon & Co. mit der Einzahlung von 8 900 Reichsmark ein Konto. Ein weiteres richtet er bei Hope & Co. ebenfalls in Amsterdam ein. Am 11. Januar 1932 deponiert er hier Wertpapiere in Höhe von 25 000 Reichsmark. Später, aber eben erst im Januar 1944 unter der Bedrängnis der Ermittler, gebe ich zu bedenken, wird er sagen, dass er dies im Auftrage des Argentiniers J. Alberto Molina tat.

Keine Frage, solche Fremdwährungsdepots und -versicherungen sind seit der Inflation 1922/23 in den vermögenden Kreisen populär, fließen doch die Erträge aus den Geldanlagen und Versicherungsleistungen in Devisen (US-Dollar, Schweizer Franken) zurück. So hoffen die Besitzer größerer Geldwerte der Inflation in Deutschland zu entkommen. Als Devisen-Flüchtlinge bilden sie eine geschlossene Gesellschaft, wo Rentner, kleine Beamte und Angestellte, Arbeiter, Handwerker, Kriegsversehrte, Arbeitslose, Waisen- und Witwenrentnerbezieher keinen Zutriit haben. Sie dürfen nicht mit.

Im regionalen Geldkreislauf fehlt das geldwerte Kapital der Fluchtgruppe. Für Naumburg mindestens ein geschätzter Schaden von 500 000 Reichsmark pro Jahr und ein herber Schlag für die regionale wirtschaftliche Entwicklung.

Die Nationalsozialisten wissen um dieses Problem. Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht (1877-1970) legt am 24. September 1934 einen Plan zur Wirtschaftslenkung und Außenhandelskontrolle vor. Die durch den Export von Waren erzielten Devisenerlöse sollen zur Stabilisierung der Binnenwährung eingesetzt werden. Eigentlich erfordert dies eine Pause in der Hochrüstung. Aber die Einführung der Wehrpflicht (1935), das deutsch-britische Flottenabkommen und der Aufbau der deutschen Luftwaffe führen zu einem steigenden Bedarf an importierten Rohstoffen und einer enormen Erhöhung der Rüstungsausgaben.

Mit dem Gesetz über die Devisenbewirtschaftung vom 12. Dezember 1938 gerät Paul Herrmann mit seinen Amsterdamer Geldanlagen von über 30 000 RM in das Visier der Fahnder der Devisenstelle des Finanzpräsidenten Mitteldeutschlands. Am 20. Juli 1943 findet das deutsche Devisenschutzkommando sein Vermögen in Amsterdam. Noch im November 1943 muss der Generalstaatsanwalt Hahn dem Reichsminister der Justiz mitteilen, dass die Ermittlungen gegen Paul Herrmann erfolglos geblieben sind.

Schönburger Straße (2008)

Ende September 1944, so ergeben es die Ermittlungen des Staatsanwalts, hält er sich in Hamburg auf. Zurück lässt der Flüchtende seine Frau Else (geborene Höpfner) und die Kinder, die alle von seinen wahren Beweggründen für seine plötzliche Abreise nichts ahnen. Sie haben keinen Kontakt mit ihm. Als Oberpfarrer in Ruhe Plath aus der Bürgergartenstraße 10 von dieser für Frau Herrmann so kritischen Situation erfährt, macht er ihr seine Aufwartung. Bereits vierundzwanzig Jahre kennt er die Familie, die nun über das Schicksal des Ehemannes und Vaters rätselt.

In die finanziellen Angelegenheiten gewährte der Advokat niemandem Einblick. Auch der Familie nicht. Darin sah sie bislang keinen Grund zur Besorgnis. Denn die Geschäfte liefen lange Zeit gut.

Aber nun wendet sich das Blatt. Gegründet auf langjährige Ermittlungen, erstellt Doktor Rowoldt vom Sondergericht Halle am 20. November 1944 eine Anklageschrift. Der Staatsanwalt beschuldigt Herrmann des Verbrechens laut Gesetz gegen den Verrat der deutschen Volkswirtschaft §§ 8, 14, Ziffer 1,3,46,48 und 69 und das Devisengesetz vom 12. Dezember 1938 §§ 267, 73, 74 und § 4 StGB.

Am 13. November 1944 setzt sich der Gesuchte aus Hamburg ab. Inzwischen ist das Sondergericht mit seiner Ermittlungsbehörde nicht untätig. Das Amtsgericht Naumburg beschlagnahmt am 12. Januar 1945, den Teil des Grundstücks des Flüchtigen, der zur Hälfte auf seinen Namen im Grundbuch eingetragen ist.

Der Beauftragte des Generalstaatsanwalts für Devisenvergehen des Sondergerichts Halle, Doktor Rowoldt ordnet weitere Ermittlungen an. Das Büro des Rechtsanwalts Schreiber, in Halle, Friedrichstraße 70, wird deshalb am 4. Januar 1945, gegen 13.20 Uhr wegen des Verdachts auf Unterstützung und Hilfe eines Devisenvergehens durchsucht. Inzwischen ist Herrmann von Hamburg nach Wien geflohen. Deshalb erfolgt am 15. Januar 1945 eine Durchsuchung bei Hilde Reif in Wien, Heilbronner Straße 46. Offiziell findet man hier keine Spuren. Trotzdem gelingt es den Ermittlern, Paul Herrmann in Wien am 19. Januar 1945 gegen 8 Uhr zu arretieren.

Das Sondergericht Halle verurteilt Paul Herrmann am 24. Februar 1945 unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wernicke mit den Beisitzern Landgerichtsrat Morsbach und Landgerichtsrat Schulze sowie in Anwesenheit dessen Rechtsanwalt zu dreieinhalb Jahre Zuchthaus und 70 000 Reichsmark Geldstrafe sowie zum Entzug der Ehrenrechte auf vier Jahre.

Herrmann tritt seine Haft im Roten Ochsen (Halle) an.

 

"In der Morgendämmerung des 11. April vorigen Jahres [1945] bewegt sich durch die Straßen der Stadt Halle vom Zuchthaus am Kirchtor bis nach Dieskau ein langer Elendszug menschlicher Gestalten, wie ihn wohl die Geschichte der Stadt noch nicht gesehen hat", erinnert sich ein ehemaliger Häftling aus dem "Roten Ochsen" im Jahr 1946 (Viebig, 188). Im "Elendszug" mit den etwa 400 Zuchthäuslern geht Paul Herrmann auf Transport. Sein Ziel ist das KZ Flossenburg in Bayern. Auf dem Verladebahnhof Halle-Diemitz stößt eine Kolonne von KZ-Häftlingen aus Nordhausen dazu. In Weißenfels muss der Transport bereits umkehren und bewegt sich dann über Halle, Torgau, Riesa und Dresden ins Erzgebirge. (Nach Viebig, 98) Für Paul Herrmann ist noch die Station Karlsbad dokumentiert, wo er dann von amerikanischen Truppen befreit wird, so berichtet es am 11. August 1945 Rechtsanwalt Ludwig Herzfeld vom Domplatz 12, der sich ebenfalls mit diesem Fall befasst.

Gezeichnet von der Haft und den übermenschlichen Anstrengungen der Fußmärsche, stirbt Paul Herrmann trotz aufopferungsvoller Pflege am 24. Mai 1945 im Alter von neunundsechzig Jahren in Klingenthal (Erzgebirge).

Seine Vermögensverhältnisse werfen Fragen auf. Allein am 22. November 1945 registriert sein Rechtsanwalt Doktor Hans Breymann (Leipzig, Petersstraße 32-34) aus einem Prozessvergleich den Eingang von 780 000 Reichsmark auf sein Konto, eingezahlt von Riebeck`schen Montanwerken GmbH.

Schenkt man der Äußerung des Präsidenten der Provinzialverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt Erhard Hübner (1881-1958) aus dem Jahr 1945 Glauben, dann soll Paul Herrmann Mitwisser und Mitwirkender beim Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gewesen sein.

 

 

Vor ihrem Haus hält die Anhaltekontrolle  nach oben

Marienstraße 20 (2006)

Eine sogenannte Anhaltekontrolle betritt am 8. April 1944, gegen 10 Uhr, das Geschäft für "Molkerei-Erzeugnisse" von August Fuhrmann in der Marienstraße 20. Umgehend überprüft Willy Dalichow die Einwaage der verpackten Butterstücke. Sie wiegen samt und sonders exakt 250 Gramm. Doch der Meister der Schutzpolizei traut der Frau im Laden, Frau Helene Fuhrmann, nicht. Zwischen 1939 und 1944 sprach man ihr schon zwölfmal wegen Verstößen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung eine gebührenpflichtige Verwarnung aus. Einmal, am 23. Dezember 1939, war die Milch zu knapp bemessen. Ein andermal, am 10. Juli 1941, wogen die Nudeln 5 bis 8 Gramm weniger als ausgepreist. Dann stellt die Kontrolle am 24. August 1943 wieder eine mangelhafte Preisauszeichnung fest. Aber heute bestreitet die Milchhändlerin den Verkauf untergewichtiger Butter. Was wird die weitere Kontrolle bringen? Bei der weiteren Durchsuchung des Geschäfts stoßen die Kontrolleure tatsächlich doch noch auf einen Karton mit Butterstückchen. Die Überprüfung von 15 Stück Butter mit einem Sollgewicht von 3 750 Gramm ergibt ein Ist-Gewicht von 3 480 Gramm, also ein Mindergewicht von 270 Gramm, was 8 Prozent entspricht.

Gegen Frau Fuhrmann, geboren am 20. November 1889 in Siegersleben bei Neuhaldensleben, ergeht mit dem 19. April 1944 von der Ortspolizeibehörde Naumburg wegen "Fortgesetzten Betrugs in Tateinheit des Verstoßes gegen die Kriegswirtschaftsbestimmungen" ein Haftbefehl, "weil sie eine hohe Strafe zu erwarten hat und daher Fluchtgefahr begründet" ist, schreibt Kriminalsekretär Robert Seifarth (geboren am 25. November 1900 in Erfurt) von der Ortspolizeibehörde. Deshalb wird der Volksschädling noch am selben Tag um 11.15 Uhr in das Polizeigefängnis Naumburg eingeliefert. Am 9. Juni kommt sie in U-Haft in den "Roten Ochsen" nach Halle.

Am 21. Mai 1944 autorisiert Hans von Egidy die Anklageschrift und erkennt auf einen schweren Fall von Betrug im Sinne Paragraf 263, Absatz 4, Strafgesetzbuch.

Ein schwerer Fall von Betrug? Wirklich? - Vorschlag: Für ein Jahr Übergabe der Milchversorgung in der Realschule am Bismarckplatz (Theaterplatz) von 9 bis 11 Uhr an Frau Fuhrmann ohne Arbeitslohn. So nützt sie dem Gemeinwesen und mit Augenzwinkern sagen wir ihr, wie tüchtig sie ist, dass wir sie brauchen und sie künftig besser die kleinen Sonderlichkeiten unterlässt. Natürlich, diese Art der Rechtspflege ist unter Kriegsverhältnissen nicht möglich, und sie setzt ein hoch entwickeltes Rechts- und Moralbewusstsein der Stadtgesellschaft voraus.

Die I. Kammer des Sondergerichts Halle urteilt am 13. Juni 1944 anders: sechs Monate Gefängnis wegen Verbrechens gegen Paragraf 4 VVO befinden der Vorsitzende Landgerichtsrat Morsbach mit den Beisitzern Landgerichtsrat Schulze und Landgerichtsrat Doktor Keim für Recht.

Am 18. Oktober 1944 wird Helene Fuhrmann aus dem Frauengefängnis in Heiligenstadt entlassen.

 

 

Hinrichtung von Gustav Wolf nach oben

Der Kleindarsteller Gustav Wolf arbeitet auf Jahrmärkten, zuletzt auf der Kleinen Messe in Leipzig. Am 5. September 1939 fährt er mit der Bahn nach Naumburg (Saale). Am nächsten Tag begibt er sich nach Bad Kösen und beobachtet dort ein junges Mädchen beim Morgenspaziergang. Er nähert sich ihr, wirft sie zu Boden und sticht mit dem Taschenmesser mehrmals zu. Damit die Gepeinigte nicht schreien kann, steckt er sein Taschentuch in ihren Mund. Dann versucht er sie zu vergewaltigen und entreißt ihr die Armbanduhr. Der Täter ist schon mehrfach mit Gefängnis und Zuchthaus bestraft worden. "Durch Urteil der Strafkammer Naumburg" wird Gustav Wolf (Naumburg) "am 25.10.39 wegen Straßenraubes und versuchter Notzucht zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt." - Am 1. oder 2. Dezember 1939 wird er durch Erschießen hingerichtet.

 

 

Todesstrafe für Max Thyrassa und Erich Rudorf  nach oben

Wegen Verbrechen gegen Paragraf 4 der Volksschädlings-Verordnung, in Tateinheit mit Paragraf 348 und 349 Strafgesetzbuch verurteilt das Sondergericht Halle am 16. September 1941 um 16.30 Uhr den Reichsbahnschaffner Max Thyrassa aus der Herrenstraße 3 in Naumburg (Saale) und den Zugschaffner Erich Rudorf aus Zeitz wegen gemeinschaftlichen Verbrechens zur Todesstrafe und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit.

Die Verurteilten kennen sich seit ihrer Versetzung nach Torun (deutsch Thorn) im Jahre 1940. Mit kurzer Unterbrechung taten sie in denselben Zügen Dienst. Sie öffneten die ihnen anvertrauten Pakete, Koffer und Expressgüter, entnahmen Lebensmittel und Sachen. Begleitpapiere wurden vernichtet. Bei einer Hausdurchsuchung stellte man fünfzehn Gegenstände sicher, die aus diesen Diebstählen stammten.

Max Thyrassa, geboren am 29. Juni 1913 in Altflemmingen, wird am 9. Februar 1942 hingerichtet.

Doktor Schlegelberg, Reichsminister für Justiz, begnadigt Erich Rudorf, geboren am 26. Februar 1912 in Köckritz, am 17. Dezember 1941. Auf Grund guter Führung wird er am 1. August 1944 zur Wehrmacht eingezogen und nimmt an den schweren Kämpfe an der Westfront, in Tschechien und der Slowakei teil. Bei einem Rückzugsgefecht am 7. Mai 1945 bei Freudenthal zieht er sich eine schwere Verletzung am linken Ellbogengelenk zu und kommt in russische Gefangenschaft. Bereits am 3. September 1945 erfolgt seine Entlassung. Sein Weg führt ihn wieder nach Zeitz. Der Justizminister des Landes Sachsen-Anhalt erlässt ihm am 1. September 1949 die Reststrafe von sieben Jahren Zuchthaus. (Vgl. Thyrassa/Rudorf)

"Die Strafakten [zu Thyrassa / Rudorf] sind durch Bombenbangriff am 31. März 1945 vernichtet worden." (Vergleiche Seite 3, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, C 134 Sondergericht Halle 1966/1) Daher kann eine detaillierte Rekonstruktion der Straftat und Bewertung schwerlich vorgenommen werden. Aber eine Hypothese lässt sich dennoch formulieren. Die Todesstrafe ist dem Straftatbestand Amtsunterschlagung in Berufsausübung als Eisenbahn- und Zugschaffner nicht angemessen. Dies widerspricht einem wichtigen Prinzip der modernen demokratischen Rechtsprechung: die Strafe muss der Tat proportional sein (vgl. Mill 99). Wohl begingen die Angeklagten eine kriminelle, aber eben keine unmenschliche Handlung. Dies blieb ihrem Richter vorbehalten.


 

Der Ladeschaffner beobachtet
wie er ein Paket hinaus schaffte.  nach oben 

Am 4. September 1944, 8 Uhr, meldet Dienstvorsteher Reichsbahnobersekretär Bernhard Witzel (Saalestraße 4) vom Hauptbahnhof Naumburg dem Fahndungsdienst den Diebstahl eines Gepäckstückes. Ladeschaffner Oskar Seidel beobachtete am 3. September 1944, gegen 4 Uhr, wie Fritz B. mit einem Paket den Laderaum verlässt. Im Polizeiverhör gibt dieser den Diebstahl von fünf Paketen zu. Pfingsten `44 soll er ein Paket beim Umladen entwendet haben. Im Juni des gleichen Jahres nahm er einen Damen-Lederkoffer von Bahnstein I mit.

Der Transportarbeiter wohnt in Naumburg (Saale) in der Halleschen Straße 56. Seine Frau gibt nach 19 Jahren Ehe mit ihrem Fritz bei der Polizei an, dass er eigentümlich geizig ist und es deshalb einige Auseinandersetzungen gab. - Aber sein Verdienst von 40 Reichsmark 14-täglich fällt wahrlich nicht üppig aus.

Am 5. September 1944 ergeht gegen den Transportarbeiter ein Haftbefehl vom Amtsgericht Naumburg.

Über Fritz B., geboren am 6. November 1899 in Großenhain in Sachsen, verhängt das Sondergericht Halle wegen Verbrechens gemäß Paragraf 4 der Volksschädlingsverordnung und des Strafgesetzbuches Paragraf 242, 246, 133 und 74, eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Das Urteil spricht Landgerichtsdirektor Wernicke mit seinen Beisitzern Landgerichtsrat Morsbach und Landgerichtsrat Schulze.

Der 3. Strafsenat am Reichsgericht in Leipzig kassiert das Urteil und unterzieht es der Revision. In seiner Verhandlung am 4. Dezember 1944 erkennt er unter Vorsitz des Präsidenten des Reichsgerichts Doktor Erwin Bumke (Beisitzer Regierungsrat Doktor Hartung, Regierungsrat Kamecke und Regierungsrat Paul Schaeffer II) auf fünf Jahre Zuchthaus gemäß Verbrechen im Sinne der Volkschädlingsverordnung.

Doch Fritz B. bekommt das Lebensglück wieder zu fassen und findet Tritt: Schon am 12. April 1945 erfolgt seine reguläre (?) Entlassung aus dem Zuchthaus Halle ("Roter Ochse"). Beim Kohlehändler Heinrich Eickmann in der Großen Marienstraße 15 findet er für einen Wochenlohn von 30,30 Mark Brutto wieder Arbeit. Sein Chef ist mit ihm zufrieden und kann nichts Nachteiliges über ihn sagen.

 

 

Feldpostbriefe  nach oben

Postmitarbeiter um 1941
Blick zur Post vom Marientor (2006)

Richard Kneist aus der Marienstraße 1 ist seit 1934 Beamter auf dem Postamt in Naumburg und mit dem Stempeldienst beauftragt.

Am 23. Juni 1941 unterschlägt er einen Feldpostbrief.

Das Sondergericht I Halle verurteilt den Postbeamten am 9. September 1941 in erster Sitzung unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wernicke mit den Beisitzern Landgerichtsgerichtsrat Morsbach und Landgerichtsrat Schulze nach Anklageerhebung durch Staatsanwalt Doktor Rothe wegen Diebstahls nach Paragraf 4 VVO in Tateinheit mit Paragraf 133 StGB (Strafgesetzbuch) zu einem Jahr Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf zwei Jahre.

Straferschwerend wirkt sich aus, dass der Verurteilte am 16. Dezember 1937 schriftlich darauf hingewiesen worden war, dass er in seinen Dienstverrichtungen als Beamter dem Strafgesetzbuch unterliegt und deshalb schon bei geringfügigen Vergehen härtere Strafen zu erwarten hat. Würdigung fand hingegen sein Verdienst um das "Ehrenkreuz für Frontkämpfer".

Am 9. September 1942, 15.20 Uhr, verlässt Richard Kneist als freier Mann das Zuchthaus Halle.

 

 

Diebstahl [Kurt K. und Klara H. , ]  nach oben

Frau Klara H. vom Markgrafenweg 47 sitzt wegen Diebstahls in der Haftanstalt Naumburg ein. Eigentlich wollte, wie sie der Polizei anvertraut, Kurt K. heiraten. Doch sie hat sich nun anders entschieden und erstattet am 17. Juni 1942 bei der Ortspolizeibehörde Naumburg gegen Kurt K., geboren 1913, wohnhaft Almerstraße 7 eine Anzeige wegen Diebstahls. Als Geschädigte gibt sie verschiedene Gaststätten in Leipzig und das Postamt Naumburg an. Kurt K. soll unter anderen eine bunte Tischdecke blau-weiß, ein Wehrmachtshandtuch und ein kleines Glas mit 1/10 Liter Größe gestohlen haben. Der Gesamtwert des Diebesguts beträgt 330 Reichsmark.

Aus den Protokollen ist meiner Ansicht nicht mit Sicherheit erkennbar, was Frau Klara H. zu dieser Anzeige veranlasst. Man kann jedoch spekulieren: Diente es der Relativierung eigener Diebstähle? Oder war es eher die Enttäuschung über die Homosexualität ihres Freundes?

Als Motivation für die kriminellen Handlungen ihres Freundes teilt sie der Ortspolizeibehörde mit, dass er stark raucht. Und mit einer Raucherkarte kann er nicht auskommen. Deshalb, muss ich annehmen, sagt sie der Polizei in Naumburg, dass er den Tabak aus Päckchen entwendet hat. Außerdem soll er Wurst und Gebäck mitgebracht haben. Ein Behauptung, den sie ohne Beweis äußert. - Ihr ehemaliger Freund ist als Postfacharbeiter in der Abteilung Reichspost bei der Reichsbahn Naumburg beschäftigt.

Das Sondergericht I Halle tagt am 23. Oktober 1942 unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Wernicke mit den Beisitzern Landgerichtsrat Morsbach sowie Landgerichtsrat Schulze. Als Vertreter der Staatsanwaltschaft tritt in diesem Fall Doktor Beume auf. Sie verurteilen Kurt K. wegen Diebstahls von Lebensmitteln und Rauchwaren aus Postsendungen unter Ausnutzung der besonderen Kriegsverhältnisse, begangen als Volksschädling, gemäß der Volksschädlingsverordnung (VVO) und wegen dreier Diebstähle von Einrichtungsgegenständen aus Gastwirtschaftsbetrieben zu drei Jahren Zuchthaus, wobei davon drei als Untersuchungshaft schon verbüßt sind. Angeklagte Klara H. erhält wegen Hehlerei an den von Kurt K. gestohlenen Lebensmitteln zusätzlich zu der durch Urteil der Strafkammer des Landgerichts Naumburg vom 5. August 1942 gegen sie erkannten Zuchthausstrafe von zwei Jahren und drei Monaten weitere neun Monate Zuchthaus. Desweiteren wird sie nach Verbüßung der Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt.

 


Die Schwarzschlachter   nach oben

Um Weihnachten `41 kaufte Otto K. beim Gutsinspektor in Neuflemmingen zwei Schafe. Als er am 1. April 1942 dort wieder zwei Schafe holen will, wird der Melker Hermann Thieme (geboren am 27. April 1907 in Oberschmon) auf ihn aufmerksam. Der kann sich nicht erklären wo ersten zwei Schafe geblieben sind. Deshalb erstattet er am nächsten Tag bei der Ortspolizeibehörde (OPB) in der Neustraße 15 gegen den Händler aus der Seilergasse 1 Anzeige. "Ich vermute," sagt er, "dass diese Schafe schwarz geschlachtet werden."

Der Beschuldigte wurde am 9. September 1882 in Halle-Trotha als Sohn eines Schachtarbeiters geboren. In der Volksschule erreicht er nicht immer das Klassenziel. Später war er dann als Fabrikarbeiter und als Rohproduktehändler tätig. 1912 heiratete er. Im Krieg `14/18 erhielt er als Soldat das EK II. 1920 pachtete der Handelsmann eine Obstplantage. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, die jetzt (1942) zweiunddreißig Jahre alt ist.

Seilergasse (2006)

Seit der Anzeige durch Herrn T. droht dem Schwarzschlachter eine Kollision mit der Kriegswirtschaftsverordnung (KWVO), Verbrauchsregelungs-Strafverordnung sowie Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Preisvorschriften. Mit KWVO vom 4. September 1939 sind die Strafen für Delikte wie Schwarzschlachten, Schwarzmarkt- und Tauschhandelgeschäfte, Hehlerei, Preistreiberei, Unterschlagung und Fälschung von Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen erheblich verschärft worden. Schon wegen geringfügiger Vergehen verhängen die Sondergerichte dafür hohe Strafen.

In der ersten Vernehmung auf der Ortspolizeibehörde am 11. April 1942 bestreitet K. die Schwarzschlachtung. Bei der nächsten am 2. Juni 1942 gibt er sich einsichtiger: Ja, im Oktober 1941 und März 1942 erwarb er in Neuflemmingen je zwei Schafe. (Die Zeitangaben von K. und T. differieren etwas.) Zwei davon kaufte ihm der Rudolf M. vom Buchholzgraben 30 bereits auf dem Wege nach Naumburg ab. Von 1921 bis 1933 erhielt der wegen Jagd- und Verkehrsvergehen bereist zehn Gerichtsstrafen. Die Vita eines rechtschaffenen Bürger sieht wohl anders aus. So wundert es niemanden, dass der nun ebenfalls keine Schlachterlaubnis vom Wirtschaftsamt vorlegen kann. Noch bleibt aber immer noch ungeklärt, wo die restlichen zwei Schafe verblieben sind. Schließlich das Geständnis von K.: "Ich habe sie geschlachtet."

Nun befasst sich das Sondergericht I in Halle mit den Schwarzschlachtern. Am 17. Juli 1942 sitzen hier der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Wernicke mit seinen Beisitzern Landgerichtsrat Morsbach und Landgerichtsrat Schulze sowie der Beamte der Staatsanwaltschaft Doktor Rothe zusammen und befinden über die Anklage, verfasst von Doktor Rowoldt am 8. Juli 1942. Das Gericht stützt sich dabei auf ein Gutachten des Viehwirtschaftsverbandes Sachsen-Anhalts vom 16. Juni 1942, wo es heißt: "Es besteht eine große Gefahr der Nachahmung. Die Gefährdung der Bedarfsdeckung ist auf jeden Fall zu bejahen." - Alles deutet eher auf eine hohe Strafe hin. - Dann das Urteil: Gegen die Angeklagten ergeht wegen gemeinschaftlichen Vergehens gegen die Kriegwirtschaftsverordnung, Paragraf 1, je eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und 30 Reichsmark Geldstrafe. In dessen Begründung heißt es: "Das Sondergericht hat die Tat der Angeklagten nicht so schwer bewertet, als dass sie mit einer Zuchthausstrafe geahndet werden müßte. Die Verhängung einer Gefängnisstrafe erscheint daher ausreichend …"

Ihre Strafe verbüßen K. und M. im Gefängnis von Naumburg.

Schwurgerichtsgebäude (um 1900), Richtfest 18. August 1858
Justizvollzugsanstalt
Naumburg (2006)

Bereits einen Tag nach dem Urteilspruch wendet sich Rudolf M. an die Oberstaatsanwaltschaft beim Sondergericht Halle und bittet um Aussetzung der Strafe, weil sonst die Gemüseernte von 5 000 Zentnern der Vernichtung anheimfällt. Drei Tage vorher wandte sich Rechtsanwalt Am Wege (Naumburg) in Sachen Otto K. an den Oberstaatsanwalt des Sondergerichts Halle. Als Gemüse- Ortssammelstellenleiter für Neidschütz, Boblas, Janisroda und Priessnitz und Pächter von Kirsch- und Hartobst-Parzellen des Oberbürgermeisters der Stadt Naumburg muss er doch jetzt die Ernte einbringen. Kriminalsekretär Scholz von der OPB befürwortet am 3. August 1942, dass ein Strafaufschub bis November gewährt wird.

Ab 2. November sitzen beide wieder im Strafgefängnis Naumburg ein. K. fällt nun ein, dass jetzt die Weihnachtsbäume geschlagen werden müssen, und stellt einen entsprechenden Antrag. Prompt erhält er vom 10. bis 13. November erneut eine Haftaussetzung. Doch dann kommt für ihn eine schwere Zeit: Er muss zum Arbeitseinsatz in der BRABAG (Braunkohle-Benzin AG). Auf dem 45 Minuten langen Fußmarsch vom Revier bis zur Arbeitsstelle in Holzpantinen zieht er sich am 28. Januar 1943 eine schwere Blutvergiftung zu. Wegen einer schweren Gewebsentzündung, wie es damals hieß, erfolgt auf ärztliches Anraten am 5. Februar 1943 erneut seine Entlassung aus dem Gefängnis Naumburg. Am 26. März muss er sich wieder zurückmelden, was er allerdings unterlässt und einen eigentümlichen Schatten auf seine Anträge zur Strafaussetzung wirft. Erneut ergeht gegen ihn ein Haftbefehl. Aber am 1. Juni 1943, 12 Uhr, kann er aus dem Gefängnis Naumburg endgültig entlassen werden.

Mootz verbüßte seine Strafe bereits bis 1. März.

Das Sondergericht in Halle befasst sich noch mit einem anderen Schwarzschlachter aus Naumburg (Saale). Erste Kenntnis erhalten wird davon mit der Anzeige von Schafmeister Wachsmuth aus Neuflemmingen, der am 12. November 1942 bei der Ortspolizeibehörde Naumburg gegen Max G. aus Hinter der Vogelstange eine Strafanzeige abgibt. Dieser kaufte bei ihm drei oder vier Schafe, erzählt er der Polizei. Aber beim Wirtschaftsamt sind keine Schlachtungen gemeldet. Verdächtig! Zwei Tage später verhört die Polizei den Beschuldigten dazu. Er gibt zu, vier Schafe vom Gut Neuflemmingen gekauft zu haben. Zwei seinen ihm im Sommer eingegangen und zwei besitze er noch. Folglich seien keine Schafe schwarzgeschlachtet worden, sagt er.

 

Das Fall Max G.

In einem weiteren Verhör am 2. Februar 1943 erinnert sich Max G. etwas anders und gibt zu, zwei Schafe ohne Anmeldung beim Wirtschaftsamt abgestochen zu haben. Darauf erlässt das Amtsgericht Naumburg am 25. März 1943 gegen ihn wegen Vernichtung lebenswichtiger Lebensmittel einen Haftbefehl. Der 67-Jährige ist verwitwet und hat drei Kinder im Alter von 33 bis 42 Jahre. Sein monatliches Einkommen beträgt 200 Reichsmark. Von 1919 bis 1920 diente er im Freikorps Maerker. 1929 trat er der NSDAP bei und war zuletzt Mitglied der Ortsgruppe Naumburg-Ost. Im April 1942 ereilte ihn an seiner Arbeitsstelle in der Wintershall AG in Krumpa (Geiseltal) eine Kesselexplosion. Aufgrund der erlittenen Verletzungen musste er als Maschinenmeister ausscheiden und betritt von nun an seinen Lebensunterhalt von einer kleinen Invalidenrente und Gelegenheitsarbeiten. Aber schon vor dem Unfall bei Wintershall kam er mit dem Gesetz in Konflikt. 1900 verurteilte ihn das Gericht wegen schweren Diebstahls zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis. 1921 erhielt er vier Jahre Zuchthaus wegen Blutschande und Sittlichkeitsverbrechen. Insgesamt bestrafte ihn das Gericht von 1890 bis 1923 achtmal.

Nun befasst sich das Sondergericht Halle am 20. April 1943 unter Vorsitz von Landgerichtsrat Morsbach erneut mit ihm. Dem Gericht scheint es als erwiesen, dass er im Frühjahr 1942 vier Lämmer von etwa je 30 bis 40 Pfund kaufte. Zwei davon tötete er im Laufe des Jahres ohne Schlachterlaubnis. Ihr Gewicht betrug mindestens 50 Pfund. In seiner zweiten Sitzung am 28. April 1943 ergeht gegen Max G., geboren am 28. Februar 1877 in Neumark (Weimar), wegen Missachtung Paragraf 1 der KWVO das Urteil: acht Monate Gefängnis wegen Schwarzschlachtung von zwei Schafen.

Am 27. Dezember 1943 wird er aus dem Strafgefängnis in Naumburg entlassen.

 

 

Die Entwendung der Maggi-Würfel  nach oben

Heinz Elste entwendet am 10. Oktober 1943 aus einem am Bahnhof Naumburg abgestellten Personenkraftwagen eine Autouhr und greift sich außerdem ein Päckchen mit Maggi-Erzeugnissen. Hunger trieb ihn dazu, sagt er der Polizei. Tatsächlich verdiente er als Transportarbeiter bei dem Kohle- und Speditionsgeschäft Jähnert (Roßbacher Straße 8a und Oststraße 41) wirklich wenig, sehr wenig, räumt selbst das Gericht ein.

Heinz Elste wurde am 19. Juli 1925 in Naumburg geboren und wohnte jetzt am Jägerplatz 22 (1943). Drei Jahre besuchte er die Volksschule. Ihm fiel es schwer, den schulischen Anforderungen gerecht zu werden. Deshalb besuchte er dann bis 1940 die Hilfsschule. 1939 war er kurzzeitig bei der Hitlerjugend. Das Amtsgericht Naumburg musste sich seiner am 20. August 1941 wegen Diebstahlsdelikten annehmen. Nicht lange vor seinem Vergehen diente der Rollkutscher vom 2. Februar bis 13. August 1943 noch bei der Waffen-SS Amersfoort in Holland. Wegen unerlaubter Entfernung vom Standort erging am 5. Juli 1943 vom SS- und Polizeigericht Den Haag gegen ihn eine Strafverfügung. Für die Übernahme militärischer Aufgaben erwies er sich als ungeeignet.

Drei Tage nach dem Diebstahl am Bahnhof ergeht vom Amtsgericht Naumburg ein Haftbefehl gegen den Achtzehnjährigen. Er kommt in Untersuchungshaft. Am 7. Dezember 1943 tritt das Sondergericht I Halle (Saale) unter Leitung von Landgerichtsdirektor Wernicke, mit den Beisitzenden Richtern Morsbach und Schulze und Landgerichtsrat von Egidy als Beamten der Staatsanwalt zusammen. "Der Angeklagte wird wegen Entwendung von Suppenwürfeln, die er als Rollkutscher einer Bahnspedition abzufahren hatte und wegen Wegnahme einer Autouhr zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Sieben Wochen sind durch U-Haft verbüßt. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahren zu tragen." (Elste, öffentliche Sitzung)

 

Strafgesetzbuch


§ 242 Diebstahl

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

Die Aburteilung von Heinz Elste erfolgt nicht als "Volksschädling". Denn er ist "in seiner Entwicklung zurückgeblieben", stellt das Gericht fest. Deshalb erfolgt seine Bestrafung nach dem Strafgesetzbuch Paragraf 242, Absatz 1.

Heinz Elste verbüßt seine Strafe vom 6. Januar bis 19. Juli 1944 im Jugendgefängnis Hohneck in Stollberg (Erzgebirge).

Generell stand aber die nationalsozialistische Ideologie Menschen mit normabweichendem sozialen Verhalten, wie bei sogenannten Asozialen, Bettlern, Tippelbrüdern oder Taschendieben anzutreffen, verständnislos gegenüber. Das Sondergericht Halle verurteilt also den Rollkutscher nicht nach den Sondergesetzen und Verordnungen, sondern nach den Normen des Strafgesetzbuches, es würdigt die soziale Situation wie die objektiven Grenzen der Persönlichkeitsentwicklung von Heinz Elste.

Trotzdem, neun Monate Gefängnishaft für ein paar entwendete Suppenwürfel und eine Autouhr sind eine schwere Strafe, zumal Heinz eigentlich Hilfe braucht. Aber dazu müssten personale und soziale Ressourcen zum Zweck gezielter humaner sozialer Intervention und sozialpädagogischer Arbeit mobilisiert werden. Doch diese Mittel und sozialen Kräfte bindet der Krieg.

 

 

Differenzen auf dem Milchhof   nach oben

Molkerei Naumburg
(etwa 1927)
Molkerei Naumburg nach der Rekonstruktion 1928
(Skizze von Unbekannt)
Wenzelsstrasse (vor 1945)

Am 12. Februar 1943 bringt die Kriminalpolizei Naumburg 6,5 Kilogramm Butter, 10 Liter Buttermilch, 16 Camembert in die Molkerei-Genossenschaft Naumburg eGmbH (Bahnhofstraße 45). Sie beschlagnahmte die Ware in der Großen Wenzelsstraße 37 bei Robert Gorzel. Schon lange bemerkte die Molkereileitung Differenzen zwischen der Auslieferung ab Rampe und der Summe der Anlieferungen bei den Kleinhändlern. Darüber unterrichtete sie bereits 1942 die Ortspolizeibehörde (OPB), die nun am 12. Februar 1943 unter dem Zeichen 3-149/43-6 wegen Diebstahls und Untreue eine Strafanzeige gegen den Milchfahrer, geboren am 3. Juni 1906 in Altsiedel, stellt. Seit 1938 arbeitet er in der Molkerei für einen Wochenlohn von 45 Reichsmark und ist UK (unabkömmlich) gestellt.

Noch am Tag der Anzeige stellt das Amtsgericht Naumburg für den Beschuldigten einen Haftbefehl aus; bald darauf erfolgt seine Festnahme. Das erste Verhör ist nicht ergiebig. Doch drei Tage später gibt Herr Gorzel zu Protokoll, dass er dem Direktor der Molkerei bereits vor einiger Zeit schon gestanden hatte, 59 Kannen Milch unterschlagen zu haben. Nach einer Unterbrechung des Verhörs schiebt er eine pikante Anschuldigung nach: Der Direktor hätte nach Betriebsschluss aus dem Keller für sich Butter entnommen. Dazu wird dann Buchhalter Bruno Müller (Roßbacher Straße 13) befragt. Er hält das - natürlich - für Unsinn, wie er der Kripo Naumburg in einem Verhör sagt und meint: "Das ganze Gerede schein ein Racheakt G. zu sein."

Noch am Tag der Verhaftung lädt die OPB die sechsunddreißigjährige Ehefrau Frieda, geborene Heft, vor. Sie bestätigt, dass die von der Polizei beschlagnahmten Molkereiprodukte und Kanne von ihrem Ehemann heute in die Wohnung mitgebracht wurden. Die Sachen brachte er meistens abends mit.

Blick in die Wenzelsstrasse (2006)

Aber die letzte Milchkanne schon früh 5.30 Uhr. Frieda gibt weiter zu, dass ihr Ehemann seit zwei Jahren fortgesetzt Milch, mit nach Hause bringt. Ebenso Butter und Käse, die sie aber an ihre Mutter verschenkt. Mit Päckchen versendet sie es weiter an ihren Schwager Erich Jahn, der zurzeit Soldat in Wittenberg ist.

Das Sondergericht Halle verurteilt den Milchfahrer Robert Gorzel am 28. Mai 1943 unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Wernicke und mit den Besitzern Landgerichtsrat Schulze und Amtsgerichtsrat Doktor Fickel gemäß Paragraf 246 und 259 Strafgesetzbuch zu einem Jahr und 6 Monaten Zuchthaus. Frieda G. und Eva J. erklärte es der Beihilfe schuldig, sie erhalten drei Monate Gefängnis beziehungsweise 100 Reichsmark Geldstrafe.

Richard Gorzel verbüßt die Strafe im "Roten Ochsen" und in Rensburg. Gnade sucht ihn nicht Heim, weil die Vollzuganstalt keine besondere Schuldeinsicht erkennen kann. Das war am 30. Januar 1945.

 


Strafgesetzbuch (StGB)
in der Ausfertigung vom 15. Mai 1871

§ 246 Unterschlagung
(1) Wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat
nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.
(2) Ist in den Fällen des Absatzes 1 die Sache dem Täter anvertraut, so ist die Strafe
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
(3) Der Versuch ist strafbar.

§ 259 Hehlerei
(1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die §§ 247 und 248a gelten sinngemäß.
(3) Der Versuch ist strafbar.

 

 

 

Gemäß dem Potsdamer Abkommen übernehmen die Alliierten (Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, Vereinigte Staaten von Amerika, Vereinigte Königreich England, Französische Republik) die oberste Gewalt in Deutschland. Sie vereinbaren, "alle nazistischen Gesetze, welche die Grundlagen für das Hitlerregime geliefert haben oder eine Diskriminierung auf Grund der Rasse, Religion oder politischen Überzeugung errichteten", abzuschaffen, was mit dem Kontrollratsgesetz (Erlass der vier Oberbefehlshaber als Kontrollorgan) Nummer 1 vom 20. September 1945 erfolgt. Aufgehoben sind alle Gesetze zur Sicherung der Nazi-Herrschaft, einschliesslich die zur Liquidierung der KPD und der Verfolgung von Kommunisten. Mit dem Kontrollratsgesetz Nummer 11 vom 30. Januar 1946 erfolgt die weitere Aufhebung von Strafgesetzen, darunter die VO über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939 und die VO gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939.


Ein schwieriges rechtspolitisches Problem war, wie der Fall Heinrich Hedicke (1881-1952) zeigt, die Entschädigung der Opfer des Sondergerichtsbarkeit.

 

 

[Beck, Robert] Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Halle. Sondergericht Halle. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 103/1 und 103/2

[B., Fritz] Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Halle. Sondergericht Halle. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 128

[Böttger, Rosemarie] Frauen-Zuchthaus Cottbus. Entlassungs-Schein. Rosemarie Böttger, Naumburg / Saale, Marienplatz 3, war vom 14.7.1943 bis heute in der unterzeichneten Haftanstalt in Haft. Aktenzeichen: 2a Sg.Ls.131/43, Cottbus, den 15. Februar 1945

[Böttger, Rosemarie] Nr. 163. Urkunde über die Eheschließung von Offizier Stefan Dubrowsky und Medizinalassistentin Rosemarie Liselotte Böttger vom 23. Mai 1945. Treuzeugen: Käthe Callmeier, 46 Jahre alt. Anneliese Klingel, 26 Jahre alt. Standesamt Naumburg. Naumburg, den 23. Mai 1945. - [Ungültigkeitserklärung der Trauung:] Naumburg, den 24. Oktober 1951: Gemäß Verfügung des Ministers des Inneren der Deutschen Demokratischen Republik vom 28. September 1951 ist die Ehe Stefan Dubrowsky/ Rosemarie Liselotte Böttger nicht zustande gekommen. Der Standesbeamte. Röder. [Erläuterung: Beglaubigung der Eheschließung und deren Ungültigkeitserklärung befinden sich auf einem Dokument.]

[Böttger, Rosemarie] Brief von Stefan Dubrowsky an Rosemarie Böttger vom 26. Januar 1947, unveröffentlicht

[Böttger, Rosemarie] Aussage von Else-Anna […] über Rosemarie Böttger vor der Staatspolizei, Außenstelle Weißenfels, vom 25. März 1943. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

[Böttger, Rosemarie] Aussage von Gerda […] über Rosemarie Böttger vor der Staatspolizei, Außenstelle Weißenfels, 25. März 1943. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

[Böttger, Rosemarie] Aussage von Rosa […] über Rosemarie Böttger vor der Staatspolizei, Außenstelle Weißenfels, vom 24. März 1943. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

[Böttger, Rosemarie] Aussage der Rosemarie Böttger (Naumburg, Marienplatz 3) am 26. März 1943 in Haft bei der Staatspolizei Halle, Außenstelle Weißenfels. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

[Böttger, Rosemarie] Mitteilung von Kriminaloberassistent Reimers und Kriminalsekretär Seifarth vom der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 25. März 1943. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

[Böttger, Rosemarie] NSDAP-Kreisleitung Naumburg an die Staatspolizeistelle Halle/Saale, Außenstelle Weißenfels, 13. April 1943. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

[Böttger, Rosemarie] Vernehmung des russischen Kriegsgefangenen Unteroffizier Alexej Awdeow, geboren am 15. April 1918, von Beruf Lehrer, ledig, aus Skalo im Ural, am 7. April 1943. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, 207

[Böttger, Rosemarie] Sondergerichtsanklage! Verfasser: Landgerichtsrat Egidy. 13. Mai 1943. An den Herrn Vorsitzenden des Sondergerichts Halle - Saale. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

[Böttger, Rosemarie] Strafsache vor dem Sondergericht Halle. Urteil vom 16. Juni 1943. Staatsanwaltschaft Halle, Strafsache Sondergericht. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 207

Das Sondergericht Halle. Ausstellungstafel. Ausstellung "Verbrechen im Namen des Volkes" am Oberlandesgericht, Naumburg 2009

[Ebert, Karl] Staatsanwaltschaft beim Landgericht Halle an der Saale. Sondergericht Halle Karl Ebert. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 436

[Elste, Heinz] Schreiben des Oberstaatsanwalts als Leiter der Anklagegebäude im Sondergericht vom 13. November 1943. Staatsanwaltschaft Halle. Strafsache Elste, Heinz. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 435/1

[Elste, Heinz] Öffentliche Sitzung des Sondergerichts I Halle / Saale am 7. Dezember 1943 in der Strafsache Heinz Elste. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 435/1

Fichtner, Dr. Klaus-Dieter (Bad Kösen). Brief an Detlef Belau, Naumburg (Saale) vom 21. August 2010

[Fuhrmann, Helene] Strafanzeige der Ortspolizeibehörde Naumburg gegen Frau Helene Fuhrmann, Große Marienstraße 20, Naumburg an der Saale vom 8. April 1944, Geschäftszeichen 366/44, unterzeichnet vom Meister der Schutzpolizei Dalichow. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, C 134 Halle, Nr. 521/1

[Fuhrmann, Helene] Einlieferungs-Anzeige der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 19. April 1944 für Frau Helene Fuhrmann, Große Marienstraße 20, Naumburg an der Saale. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, C 134 Halle, Nr. 542/1

[Fuhrmann, Helene] Strafsache des Sondergerichts Halle an der Saale gegen die Ehefrau Helene Fuhrmann, geborene Menzel, aus Naumburg an der Saale, Große Marienstraße 20, geboren am 20. November 1889 in Siegersleben bei Neuhaldensleben, wegen Verbrechen nach § 4 VVO. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, C Halle 134, 542/1

[G., Max] Staatsanwaltschaft Halle. Strafsache Max G.. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134, Nr. 578/1

[G., Robert] Staatsanwaltschaft Halle. Strafsache Robert G.. Landes-hauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 616/1

[Gagel] Berufungsverfahren von Otto Gagel vor dem Landgericht in Naumburg (Saale) am 29. Oktober 1934. In: Landeshauptarchiv von Sachsen-Anhalt, Merseburg C 128, Naumburg, Nr. 144

Gürge, Friedrich: Kriegsbeginn 1939: Internetseite des Stadtmuseums Naumburg, www. museumnaumburg.de, Januar 2006

Haufe, Rüdiger. Die Geister der Burg Saaleck. Der "Burgherr" Hans Wilhelm Stein im Schnittpunkt von völkischer Bewegung und Heimatbewegung. In: Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalt, Heft 23: Deutsche Erinnerungslandschaften Rudelsburg-Saaleck-Kyffhäuser. Protokollband der wissenschaftlichen Tagungen 14.-16.Juni 2002 in Bad Kösen und 13.-15. Juni 2013 in Bad Frankenhausen. Heimatbund Thüringen e.V., Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V. Halle 2004, Seite 50 bis 72

[Herrmann, Paul] Der Beauftragte des Generalstaatsanwalts für Devisenverfahren, Z.Z. Naumburg, 29. August 1944. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134 819/2

[Hertel, Richard] Sondergerichtsanklage. Der Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde bei dem Sondergericht. Anklageverfasser: Staatsanwalt Dr. Rowoldt. 2a SG Js 60/44 J, Halle/Saale 20. April 1944, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, 832/2

[Hertel, Richard] Urteil. Öffentliche Sitzung der I. Kammer des Sondergerichts beim Landgericht Halle, 16. Mai 1944. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, 832/2

[Hertel, Richard] Vernehmungsprotokoll von Kriminalsekretär Seyfarth von der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 15. Dezeber 1943. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, 832/2

[Hertel, Richard] Dr. Loofs, Oberregierungsmedizinalrat, Facharzt für Nerven- und Geisteskrankheiten, Lafontainstraße 6, Halle (Saale). An den Herrn Oberstaatsanwalt des Sondegerichts Halle (Saale). Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, 832/2

[Hertel, Richard] Schlußbericht des Kriminalangestellten vom 22. Januar 1944. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, 832/2

[K., Otto] Strafsache Otto K.. Staatsanwaltschaft Halle. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr. 998/1

[Kayser, Wilhelm] Urteil in Strafsache SG Ms 75/42 vom 9. September 1942. Staatsanwaltschaft beim Landgerichte Halle, Strafsache Kayser, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg SG Halle, C 134, Nr. 1003/1

[Kneist, Richard] Präsident der Reichsbahndirektion an den Herrn Oberstaatsanwalt Naumburg (Saale). Leipzig, den 25. Juli 1941. Staatsanwaltschaft beim Landgericht alle, Strafsache Kneist, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle C 134, Nr.1058/1

[Kneist, Richard] Urteil des Sondergerichts I Halle gegen den Postfacharbeiter Richard K. aus Naumburg / Saale, geboren am 22. August 1896 in NAumburg (Saale). Staatsanwaltschaft beim Landgericht Halle, Strafsache Kneist, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134, Nr.1058/1

[Kurt, K.] Anzeigen gegen Postarbeiter Kurt K. … geboren 1913 …. Ortspolizeibehörde Naumburg. Naumburg (Saale), den 17. Juni 1942. Staatsanwaltschaft beim Landgericht Halle, Strafsache Kurt K., Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134, Nr. 1032/1

[Kurt, K.] Auszugsweise Abschrift aus der Anzeige Krimi.-Nr. 5/535/42 vom 15. Juni 1942. Staatsanwaltschaft beim Landgericht Halle, Strafsache Kurt K., Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134, Nr. 1032/1

[Kurt, K.] Urteil des Sondergerichts Halle gegen Kurt H. .. aus Naumburg / Saale
und Klara H. … aus Naumburg / Saale vom 23. Oktober 1942. Staatsanwaltschaft beim Landgericht Halle, Strafsache Kurt K., Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134, Nr. 1032/1

Lack, Waltraud (Wolfersdorf 40er Jahre): Kindheit im Krieg. Internetseite des Stadtmuseums Naumburg: www.museumnaumburg.de, Januar 2006

Marx, Karl: Betrachtungen eines Jünglings bei der Wahl eines Berufes. In: Marx-Engels-Werke, Ergänzungsband 1, Dietz Verlag, Berlin 1973, Seite 592

Meldungen aus dem Reich 1938-1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS. Herausgegeben und eingeleitet von Heinz Boberach. Band 6: Meldungen aus dem Reich Nr. 142 vom 18. November 1940 - Nr. 179 vom 17. April 1941. Pawlak Verlag, Hersching 1984

Martin, Ursula: Der Hochstapler Hans Wilhelm Stein. Verlag Janos Stekovics, Dössel 2002

Mill, John Stuart: Der Utilitarismus. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1997

[Reinhold, Heinz] Urteil des Sondergerichts Halle II vom 25. Februar 1942 zu Heinz Reinhold [… und andere]. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134, Nr. 973/1

[Reinhold, Heinz] Schreiben der Ammoniakwerke Merseburg vom 27. September 1942 an die Geheime Staatspolizei, Staatspolizei Halle, Außenstelle Merseburg. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, SG Halle, C 134, Nr. 973/1

Sattelmacher, Paul: Auszug aus den persönlichen Aufzeichnungen von Oberlandesgerichtspräsident Prof. Dr. Sattelmacher. (13.4.1879 - Frühjahr 1947), Manuskript, unveröffentlicht

[Stapo 1933e] Lagebericht der Staatspolizeistelle Halle für Oktober 1934. In: Die Lageberichte der Geheimen Staatspolizei zur Provinz Sachsen 1933 bis 1936. Herausgegeben von Hermann-J. Rupieper und Alexander Sperk, Band 2: Regierungsbezirk Merseburg, mdv, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2004, Seite 199 ff.

Sondergerichtsprozess gegen Hans Wilhelm Stein am 22.4.1940. Staatsanwaltschaft beim Landgericht Naumburg. Landeshauptarchiv Sachsen Anhalt Merseburg, Strafprozessakten C 134 SG Halle 1907-1

[Stein] Sondergerichtsklage, Oberstaatsanwalt als Leiter der Anklagebehörde beim dem Sondergericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts Naumburg vom 1. März 1940. Verfasser Anklageschrift Staatsanwalt Dr. Rothe gegen Hans Wilhelm Stein, Landeshauptarchiv Sachsen Anhalt, Merseburg. Blattsammlung des Staatsanwalts beim Landegerichte Halle. Vorverfahren C 134 SG Halle 1907-3

Strafsache Kayser, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg SG Halle, C 134, Nr. 1003/1

Stunden der Entscheidung. In: "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 2. September 1939

[Thyrassa / Rudorf] Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, C 134 Sondergericht Halle 1966/1

Viebig, Michael: Das Zuchthaus Halle/Saale als Richtstätte der nationalsozialistischen Justiz (1942 bis 1945). Gedenkstätten und Gedenkstättenarbeit im Land Sachsen-Anhalt, Heft 5, Druck Heinrich John Halle, 1998

[Wehrhahn] Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, C 134, Sondergericht Halle, Nummer 2054

Werneck: Stein-Saaleck, ein heldischer Dichter unsrer Zeit. In: Hans Wilhelm: Burg Saaleck. Geschichte Sage und Dichtung. Edda Verlag Rudolstadt, 15.10.1935, Seite 53 ff.

[Wolf, Gustav] Liste des Reichsjustizministeriums über 18 Fälle von Erschießungen durch die Polizei vom 6.9.1939 bis 20.1.1940. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Deutsche-Verlagsanstalt Stuttgart, Jahrgang 6 (1958), Heft 4, Seite 412 ff.

Wrobel, Senatsrat Dr. Hans: Niedersächsisches Justizministerium. Zur Theorie und Praxis der Sondergerichte - am Beispiel des Sondergerichts Bremen (1940 - 1945). Vortrag von Senatsrat Dr. Hans Wrobel (Bremen) am 28. Juni 2001. Anlässlich der Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus - Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes" im Landgericht Oldenburg

Woock, Joachim: NS-Justiz und NS-Juristenkarrieren nach 1945 im Landgerichtsbezirk Verden Vortrag von Joachim Woock. Vortrag am 19. März 2002 im Landgericht Verden Anlässlich der Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus - Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes" im Landgericht Verden (Förderverein Regionalgeschichte des Landkreises Verden 1933 - 1945 e.V.)

* Fotoalbum der Rosemarie Böttger (1921-2005)

 

Weiterführende Literatur:

Henz, Chris: Richter und Staatsanwälte im Dienst des Dritten Reiches: Die Praxis der Strafjustiz am Sondergericht Halle. [Arbeit zu Erlangung des akademischen Grades des Magister Artium (M.A.) an der Philosophischen Fakultät I der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Erstgutachter: Prof. Dr. Patrick Wagner, Zweitgutachter: Professor Dr. Manfred Hettling. Eingereicht: 1. August 2007] Institut für Geschichtswissenschaften der Martin-Luther-Universität zu Halle Wittenberg, 2007, 114 Seiten

 

Danksagung

Für die fachliche Beratung bei der Quellensuche und der Bereitstellung von Archivgut bedanke ich mich nachdrücklich bei Herrn Kirbs vom Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Merseburg.

Im Februar 2010, also etwa drei Jahre nachdem der Beitrag zu Rosemarie Böttger in seiner ersten Fassung als Manuskript entstanden (und seit 29. Mai 2008 im Internet präsent), meldet sich beim Autor Alexander Böttger, der Sohn von Frau Rosemarie Böttger. Ihm verdanke ich wertvolle Gespräche, wichtige Hinweise und die Fotografien von seiner Mutter.

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Autor:
Detlef Belau


Geschrieben:
November 2009.
Aktualisiert: 25. Juli 2011

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